Egal, ob Antifaltencremes, Paläodiät, Unterwasseryoga oder Body Positivity – die aktive Beschäftigung und bewusste Auseinandersetzung mit dem Körper ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Körper werden nicht einfach nur als eine von der Natur gegebene Selbstverständlichkeit wahrgenommen, sondern auch als vielfältig veränderbar. Sie bilden die Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft, an der sich üblicherweise in Bruchteilen von Sekunden Alter, Geschlecht oder soziale Position ablesen lassen.
Den Körper zu modifizieren, ist und war schon immer ein fortlaufender Prozess. Hierbei spielt auch gesellschaftlicher Wandel eine Rolle, der mit Veränderungen des Körpers einhergeht – sei es in Bezug auf bestimmte Schönheitsideale oder im Hinblick auf seine generelle Funktion. In diesem Zusammenhang sind unsere Körper als soziokulturelle Konstrukte zu verstehen, die den Geist unserer Zeit spiegeln und zugleich unsere Wahrnehmung prägen. So beschreibt die Soziologin Gabriele Klein beispielsweise einen grundsätzlich feststellbaren Umbruch in der Postmoderne, dessen Auswirkungen bis in die heutige Zeit spürbar sind, mit den folgenden Worten: »Die mit der gesellschaftlichen Aufwertung des Körpers seit den 1970er-Jahren einhergehende Fitnessbewegung leistet […] einen wesentlichen Beitrag dazu, den Arbeitskörper der Industriegesellschaft in den Fitnesskörper der Mediengesellschaft umzuwandeln.«
Wo wir auch hinschauen, sehen wir Körper, die mal mehr, mal weniger nach Idealen wie Jugendlichkeit, Sportlichkeit oder Attraktivität geformt werden, um individuellen und gesellschaftlichen Vorstellungen zu entsprechen – oder bewusst gerade nicht. Wie verhält es sich aber, wenn wir den Blick in die Vergangenheit richten und Individuen, Gemeinschaften, Kulturen und Völker aus unterschiedlichen Regionen und Zeiträumen betrachten? Wie und aus welchem Grund wurden Körper verändert? Welche Untersuchungsmethoden lassen sich auf archäologisch, ethnologisch oder historisch dokumentierte Körper anwenden? Welche Schlüsse können aus der Erforschung von modifizierten Körpern gezogen werden?
Von den ältesten Tätowierungen auf Mumien über das weltweite Phänomen geformter Köpfe bis hin zu gefeilten Zähnen bei den Wikingern bietet der vorliegende Band einen spannenden und erkenntnisreichen Einblick in die Erforschung von Körpermodifikationen in der Vergangenheit. Dabei handelt es sich um die erste umfangreiche deutschsprachige Zusammenstellung von Beiträgen, die sich mit dem Thema der Archäologie der Körpermodifikationen beschäftigt. Körperkult – so der Titel des Heftes – ist als ein Oberbegriff für die bewusste vielfältige Veränderung des Körpers vor dem Hintergrund bestimmter soziokultureller Normen und Ideale zu verstehen. Ähnlich wie heute war der menschliche Körper schon immer ein Medium, mit dem verschiedene Botschaften kommuniziert wurden. Körpermodifikationen dienten in der Vergangenheit unter anderem dem Ausdruck von individueller und kultureller Identität, Schönheit oder Status und üben auf die heutigen Betrachterinnen und Betrachter eine große Faszination aus.
Mein Dank für die Entstehung dieses Hefts gilt allen Autorinnen und Autoren, die sich ausnahmslos, ohne zu zögern, mit hoch spannenden Beiträgen zu ihren jeweiligen Forschungsfeldern beteiligt haben. Weiterhin danke ich Ralf Gleser (Leiter der Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Münster) für die Betreuung meines Promotionsprojekts mit dem Arbeitstitel »Archäologisch evidente permanente Körpermodifikationen«, Valeska Becker, Matthias S. Toplak für den Anstoß, mich mit meinem Vorhaben an die AiD zu wenden, Matthias Sandberg für die Durchsicht meines Beitrags zu »Körpermodifikationen im Spiegel schriftlicher Quellen« und Friederike T. Kranig für ihre kritischen Anmerkungen zur Einleitung. Für die Aufnahme des Themas in die Reihe der Sonderhefte der Zeitschrift Archäologie in Deutschland danke ich dem Herder Verlag, allen voran Leoni Hellmayr, sowie dem Verlagsbüro Wais & Partner, insbesondere Maximilian Göbel und Annine Fuchs, für die redaktionelle Betreuung. Nicht zuletzt bedanke ich mich auch bei den zahlreichen hier nicht namentlich genannten Personen und Institutionen für die Erlaubnis, ihr Bildmaterial nutzen zu dürfen.
Gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren wünsche ich allen Leserinnen und Lesern viel Spaß bei der Lektüre des Heftes!