Antike Sprachen Europas: Migration und Gespräche über das Wetter

Antike Sprachen in Europa liefern neue Informationen über einen der größten Migrationszüge der Geschichte und das Vokabular des Klimas. Das Ostiranische Khotanesisch ist eine der Sprachen, die das antike Tocharische beeinflusst haben.

Antike Sprachen - Folio aus dem khotanesischen buddhistischen Text "Das Buch von Zambasta"- British Library.
Khotanesischer Text – „Das Buch von Zambasta“- British Library. Foto: Wikimedia Commons

Eine sorgfältige archäologische Erkundung ist eine vertraute und oft weit bewunderte Methode, um Geschichte aufzudecken. Weniger gefeiert, aber genauso wertvoll, ist das Zusammensetzen von Fragmenten antiker Sprachen und die Analyse über die Veränderung. Historische Linguisten haben eine gemeinsame Ursprungssprache für die meisten der heute in Europa und Südasien gesprochenen Sprachen rekonstruiert. Englisch, Deutsch, Griechisch und Hindi – u.a. in der indoeuropäischen Sprachfamilie – können ihre Ursprünge auf die gesprochene Sprache Proto-Indo-Europäisch (PIE) zurückverfolgen.

Linguistische Auswirkungen auf antike Sprachen

Die antike Sprache soll etwa 4500-2500 v.Chr. gesprochen worden sein. Schriftlichen Spuren sind leider nicht erhalten geblieben. Die Menschen, die PIE sprachen, lebten wahrscheinlich in einem Gebiet, das heute die östliche Ukraine ist. Im Laufe der Migration über die einzelnen Kontinente, erstreckten sich Tochtersprachen von Irland bis zum Indischen Ozean. Dennoch gab es eine bemerkenswerte Ausnahme. Ein ausgestorbener Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie machte sich aus Europa auf den Weg zum Tarim-Becken im Nordwesten Chinas.

Finanziert wird das Forschungsprojekt von der EU. Das Ziel ist die Erforschung, wie und wann diese Menschen, bekannt als Tocharier, diese Odyssee unternommen haben.

„Es gibt uns faszinierende Einblicke darüber, wie weit Menschen migrieren konnten und welche Art von Risiken sie tatsächlich bereit waren, sich auszusetzen“, sagte Professor Michaël Peyrot vom Zentrum für Linguistik an der Universität Leiden in den Niederlanden. Peyrot koordiniert das europäische Projekt mit dem Namen TheTocharianTrek, das im Dezember 2023 nach fast sechs Jahren enden soll.

Tocharische Wanderung

Die Forschung trägt dazu bei, den Ort zu bestimmen, an dem sich die Tocharier in der Zeit zwischen 3500 v.Chr., als sie ihr angestammtes Zuhause verlassen haben könnten, und ihrer ersten schriftlichen Geschichte im Jahr 400 n.Chr. befanden. Zusammenfassend genommen, kartiert die Initiative die Migrationsroute von der PIE-Heimat bis nach China.

Auf ihrer Reise brachten die Tocharier ihren Dialekt des PIE in Kontakt mit Menschen, mit verschiedenen antiken Sprachen. Dies beeinflusste und veränderte die Art und Weise des Sprachgebrauchs der Tocharier, bis ihre aufgezeichneten Sprachen sich schließlich entwickelten.

Archäologische und genetische Beweise deuten darauf hin, dass die Tocharier zuerst nach Südsibirien zogen. Peyrot und seine Forschungskollegen haben versucht, eine sprachliche Bewertung dieser Route abzugeben. Ihre Arbeit zeigt, dass einige der Merkmale der Sprache tatsächlich sehr gut zu den in Südsibirien gesprochenen Sprachen passen.

„Sprachen bewahren wertvolle Informationen über ihre Vorgeschichte durch die Auswirkungen von Sprachkontakt“, sagte Peyrot. „Die Beobachtung von z.B. entlehnten Wörtern, ermöglicht es uns, Schlussfolgerungen über die Nähe der Sprecher verschiedener Sprachen und den Zeitpunkt des Kontakts zu ziehen.“

Als Beispiel für ein entlehntes Wort führte er einen Begriff für Schwert in einer Sprachvariante namens Tocharisch B an: „kertte“ wurde von „karta“ im Altpersischen übernommen.

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Das Forschungsteam kamen zum Schluss , dass die Tocharier um etwa 1000 v.Chr. im Tarim-Becken angekommen sind – später als bisher angenommen. Infolgedessen hat sich ihr Einflussfenster im Tarim-Becken verengt. Den Tochariern wird in der Vorgeschichte der Region eine gedämpftere Rolle zugewiesen, als sie ihnen traditionell zugeschrieben wurde. Stattdessen hat das Projekt eine gestärkte Rolle für iranische Sprachen und Völker in der Region gefunden, insbesondere für Khotanesisch, seine verwandte Sprache Tumshuqesisch und Niya Prakrit. Alle haben das Tocharische beeinflusst.

Das Projekt setzt auch zusammen, welche Sprachen die PIE-Gemeinschaft zuerst verlassen haben und wann. Da ihre Arbeit in die Endphase eintritt, stimmen die Forscher mit der Theorie überein, dass die Tocharier die PIE-Familie wahrscheinlich als zweite verlassen haben und sicherlich weit nach den Anatoliern, einer Gruppe von antiken Sprachen, die einst in der heutigen Türkei gesprochen wurden.

Wetterterminologie

Neben Einblicken in die Interaktionen und Bewegungen der Menschen bietet der Vergleich von Vokabularen in Sprachen, die von PIE abstammen, ein Bild der materiellen Welt und des Alltagslebens zu dieser Zeit. Es wurde bereits viel Forschung zur Familien- und Sozialstruktur des Tages, dem Vieh, das die Menschen hatten, und ihren Werkzeugen im täglichen Leben betrieben. Aber nur wenige Studien haben das gemeinsame Vokabular untersucht, das die antiken Menschen sprachen – das tägliche Wetter.

Dr. Julia Sturm durchsucht die Lexika der antike Sprachen, um Wörter im Zusammenhang mit Wetter und Klima als Teil eines weiteren von der EU finanzierten Projekts namens IE CLIMATE herauszufinden, welches sie leitet.

„Es ist wichtig, viele Perspektiven darauf zu haben, wie wir mit dem Klima umgehen und wie wir uns in der Welt erleben“, sagte Sturm, eine Postdoktorandin am Roots of Europe Centre der Universität Kopenhagen in Dänemark. Das europäische Projekt soll im Oktober 2023 nach zwei Jahren abgeschlossen sein.

Die Arbeit bestand darin, die schriftlichen Belege von mehr als 10 indoeuropäischen Sprachen zu überprüfen, um beispielsweise ein Wort für Wolke zu finden und dann Schlussfolgerungen und Zeitrahmen darüber zu erstellen, wie eine Sprache eine andere beeinflusst hat.

Wortatlas

Das ultimative Ziel besteht darin, einen Atlas zu erstellen, der zeigt, wo die Wörter verwendet wurden und wann. Der fertige Atlas soll ab Ende 2023 auf der Website der Universität verfügbar sein. Während Archäologinnen und Archäologen physische Objekte an historischen Stätten ausgräbt, kombiniert Sturm formale Linguistik und Philologie – die Erforschung von Sprache in schriftlichen und mündlichen historischen Quellen – um Wörter „auszugraben“. In beiden Fällen geht es darum, Schlussfolgerungen über die materielle Welt der fernen Vergangenheit zu ziehen.

In Verbindung mit der Paläoklimatologie, der Erforschung der klimatischen Bedingungen in verschiedenen Perioden der Geschichte, liefert Sturms Arbeit neue Einblicke in das Wetter der Vergangenheit und die Einstellungen der Menschen dazu. Die Beharrlichkeit von Metaphern ist beeindruckend: wie Menschen Elemente in der natürlichen Welt personifizierten und sich mit ihnen in Beziehung gesetzt haben. Griechisch, Latein und Vedisch-Sanskrit beschreiben beispielsweise Götter, die Wolken tragen, und verwenden dasselbe Verb, um zu zeigen, wie Menschen ein Tuch oder einen Umhang anlegen würden.

„Je mehr Informationen wir über Geographie und Zeit haben, desto besser“, sagte Sturm. „In einer Welt, in der sich das Klima so stark verändert und wir unsere Rolle im System erkennen, bringt der Blick in die Vergangenheit eine wichtige neue Perspektive.“

Die Forschung in diesem Artikel wurde von der EU über den Europäischen Forschungsrat (ERC) und die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA) finanziert.

Nach einer Meldung von Horizon – The EU Research & Innovation Magazine

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