Bewegung zwischen Stadt und Heiligtum

Beitrag aus dem Heftthema der ANTIKEN WELT 3/23

Foto, das die Überreste der Heiligen Straße von der Stadt Athen zum Heiligtum in Eleusis zeigt.
Überreste der Heiligen Straße von Athen nach Eleusis (© akg-images / UIG / PHAS / UIG).

Textauszug des Beitrags von Felipe Perissato; Titelbild: Zeichnerische Rekonstruktion des Eingangs des Heiligtums von Eleusis in seinem städtischen Kontext. © akg-images / Balage Balogh / archaeologyillustrated.com

Wie war die Beziehung zwischen Territorium und Urbanität in der jährlichen Prozession zwischen Athen und Eleusis, die während der Eleusinischen Mysterien gefeiert wurde? Vor allem soll dabei die Analyse der Aneignung der gebauten und natürlichen Umwelt durch die Teilnehmer:innen während der Wanderung nach Eleusis als Schüsselfaktor im Prozess der Eingeweihtenwerdung im Vordergrund liegen.

Die Wanderung der Demeter auf der Suche nach ihrer Tochter Kore ist ein in der Antike verbreitetes Motiv. Der Mythos stützt sich auf diese tragische Erzählung, um die griechische Deutung des Zyklus der Jahreszeiten und der Erfindung des Ackerbaus zu formulieren. Er ermöglichte es, Leben und Tod in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, ob individuell oder kollektiv, in Beziehung zu setzen. Im westlichen Attika wurde die Erzählung durch rituelle Praktiken während des Festes der Herbstmonate des attischen Kalenders dramatisiert: die Eleusinischen Mysterien.

Das Heiligtum von Eleusis war der Schauplatz der von den Teilnehmenden praktizierten Initiationen, aber die Landschaft der rituellen Praktiken war viel weiter gefasst. Schließlich fand auf der etwa 20 km langen Strecke zwischen dem städtischen Heiligtum Eleusinion, das in der Nähe des Stadtzentrums von Athen lag, und Eleusis in der Thriassion-Ebene eine große Prozession statt. Die Heilige Straße, wie sie die Athener nannten, führte von den Stadttoren in der Nähe von Kerameikos in Richtung der Olivenhaine im Westen durch eine sanfte Öffnung zwischen den Bergen Aigaleon und Poikilon, vorbei am Ufer des Rheitoi und anderen heiligen Orten nach Eleusis (Abb. 1). Für das Verständnis des Verhältnisses von Stadt und Umland wie von Urbanität und Religion bietet das ein spannendes Beispiel und zeigt, wie religiöse und städtische Erfahrungen einander beeinflussen konnten.

Initiation ist Sprechen Lernen

Die Einweihung stand allen offen: Männern, Frauen, Einwohnern ohne Bürgerrecht (Metöken) und Sklaven. Aus den Textquellen geht hervor, dass es nur zwei Voraussetzungen gab, um eingeweiht zu werden. Erstens war das Beherrschen der griechischen Sprache obligatorisch, was die Einweihung von nicht Griechisch Sprechenden (der «Barbaren») ausschloss. Und zweitens war die Teilnahme von Personen, die ein durch Blut zu sühnendes Verbrechen (Mord) begangen hatten, wegen ihrer Unreinheit streng verboten. Die erste Einschränkung offenbart ein grundlegendes Detail: Die Sprache war ein zentrales Element bei der Ausübung der rituellen Praktiken.

Sprache war also ein Schlüsselelement für das Verständnis der individuellen und kollektiven Transformation während der Eleusinischen Mysterien. Sie war das Mittel, das steuerte, wie die Eingeweihten die rituellen Praktiken verstanden und sie durchführten, und in der oft unmerklichen Veränderung von Sprache und der Rituale veränderte sich, wie wir sehen werden, auch das städtische Leben und Lebensgefühl, die Urbanität Athens und der Athener. Aber Sprache war nicht der einzige Erfahrungs- und Veränderungsbereich. Die räumliche Konfiguration des Heiligtums und der Prozession zwischen Eleusis und Athen war nicht minder wichtig.

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Die Stadt verlassen, um zu Städtern zu werden

Die allmähliche und religiöse Entfernung vom städtischen Zentrum Athens zum Heiligtum, das an der Grenze des athenischen Territoriums liegt, war nicht nur für die Dramatisierung des Mythos von Demeter und Kore durch die Teilnehmenden wichtig. Zugleich war sie eine grundlegende Praxis der Erfahrung und damit des Vollzugs der Initiation. Wer mitging, verließ während der Prozession seine städtische Verortung, seine soziale Position und die städtische Gesellschaftsordnung insgesamt, um in vollem Maße in die Mysterien eingeweiht zu werden.

Die rituelle Vereinheitlichung des Erscheinungsbildes der Einzuweihenden und Eingeweihten, so zeigen unsere Forschungen, ist in den Details vielfältig. Das schlägt sich so auch in den Quellen nieder. Immerhin sind ja die religiöse Erfahrung und die Teilnahme an rituellen Praktiken im Wesentlichen individuelle Vollzüge. Dennoch werden Muster deutlich, wie sich gerade im Verlassen des unmittelbaren städtischen Lebensraums eine Urbanität ausbildete, die städtische Umgangsformen veränderte.

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Antike Welt 3/23 Götter machen Städte

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