Bronzezeitliche Fernverbindungen: Baltischer Bernstein in Aššur

Unter der großen Zikkurat von Aššur im Irak wurden bereits 1914 zwei Perlen in einer Fundamentablagerung gefunden, die um 1800–1750 v. Chr. datiert. Ihr Material konnte mittels Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie (FT-IR) nun sicher als Bernstein bestimmt werden. Die Perlen stellen einen der frühesten Belege für Bernstein in Südwestasien dar und auch einen der von den Fundgebieten im Baltikum räumlich am weitesten entfernten.

Zikkurat Ashur
Ziggurat, Ashur, Iraq, 1977. Zikkurate waren Tempeltürme in Form von Terrassenpyramiden, die von den alten Zivilisationen Mesopotamiens errichtet wurden. Ashur war zwischen 1813 und 1781 v. Chr. die Hauptstadt von Assyrien und das religiöse Zentrum des Reiches. Im Vordergrund ist ein muslimischer Friedhof zu sehen. Foto: Heritage-Images / Vivienne Sharp / akg-images

Aššur (heute Qala’at Sherqat), am Westufer des Tigris im Irak ist einer der wichtigsten archäologischen Fundorte im Norden Mesopotamiens. Die Anfänge der Besiedlung reichen bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. zurück. Ende des 19. Jh. v. Chr. wurde die Stadt zum Zentrum eines assyrischen Territorialstaates.

Von 1903 bis 1914 führten die Königlichen Museen zu Berlin und die Deutsche Orient-Gesellschaft unter der Leitung von Walter Andrae (1875–1956) Ausgrabungen in Aššur durch. Eines der Grabungsziele war die Untersuchung der großen Zikkurat (gestufter Tempelturm). Auf der Suche nach den Gründungsschichten erweiterten die Ausgräber im April 1914 einen bereits bestehenden alten Tunnel. Dabei stießen sie auf mehrere Tausend Perlen aus Muschelschalen, Stein, Glas und Keramik, die direkt auf dem Grundgestein unter der ersten Lehmziegelschicht lagen. Auf der Grundlage von Fundteilungsvereinbarungen gelangten Teile der Funde in die Sammlung des Vorderasiatischen Museums in Berlin.
Unter den Perlen waren zwei scheibenförmige, deren Material von den übrigen abwich. Sie wurden nun von Forschern des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Staatlichen Museen Berlin neu untersucht.

Zwei Perlen aus Bernstein aus dem Baltikum

Fragmente der beiden Perlen wurden 2019 vom Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz mittels Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie (FT-IR) untersucht. Trotz starker Verwitterung stimmten die Spektren weitgehend mit denen des baltischen Bernsteins (Succinit) überein, was darauf hindeutet, dass der Bernstein unter der großen Zikkurat von Aššur höchstwahrscheinlich aus der Ostsee- oder Nordseeregion stammt. Sie gehören in die Zeit um 1800 v. Chr. oder die erste Hälfte des 18. Jh. v. Chr.

Weiträumige Kontakte in der frühen Bronzezeit

Die Perlen stellen damit einen der frühesten Belege für Bernstein in Südwestasien dar und auch einen der von den Fundgebieten im Baltikum räumlich am weitesten entfernten. Die extreme Seltenheit von Bernstein im Mittelmeerraum und im Nahen Osten vor etwa 1550 v. Chr. und die Beschränkung auf hochrangige Kontexte lässt sich damit erklären, dass die mitteldeutsche Aunjetitzer Kultur, deren Reichtum und Bedeutung sich neben reich ausgestatteten Fürstengräbern (Leubingen, Helmsdorf, Bornhöck) etwa in der Himmelsscheibe von Nebra ausdrückt, die Wege über die Bernstein nach Süden gelangen konnte, kontrollierte.
Bei den ausgesprochen seltenen Bernsteinfunden des frühen 2. Jt. v. Chr. dürfte es sich um exklusive Geschenke weitgereister Personen aus Mittel- oder Westeuropa an die Eliten im Süden handeln. Nach dem Ende der Aunjetitzer Kultur um 1550 v. Chr. ändert sich das Bild und man kann von weiträumigem Handel sprechen, durch den Bernstein im Mittelmeerraum und im Nahen Osten in größeren Mengen verfügbar wurde.

Nach einer Pressemeldung des idw

Originalpublikation:

Bunnefeld, J., Becker, J., Martin, L., Pausewein, R., Simon, S., & Meller, H. (2023). Baltic Amber in Aššur. Forms and Significance of Amber Exchange between Europe and the Middle East, c.2000–1300 BC, Acta Archaeologica, 92(2), 228-243. doi: https://doi.org/10.1163/16000390-20210031

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