Fensterlos, tief und dunkel
Burgen dienten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit der Durchsetzung von Herrschaft. Ihre Herren hatten in aller Regel wenigstens die niedere Gerichtsbarkeit inne, übten in Fehden und anderweitigen militärischen Auseinandersetzungen aber auch kriegerische Gewalt aus, in deren Rahmen sie Gefangene machten. Die Verschleppung von Menschen zum Zwecke der Lösegelderpressung konnte sogar zu ihren Erwerbsquellen gehören, insbesondere in den fortgeschrittenen Phasen des Mittelalters. So ist es einleuchtend, dass es auf ihren Sitzen Orte gab, an denen man Personen festhalten konnte. Man sucht diese Kerker in den Untergeschossen der Bergfriede oder anderer Türme, die aufgrund der üblichen Hocheingänge fast immer Räumlichkeiten besaßen, die nur durch eine Öffnung in der Decke zugänglich waren. Fensterlos, tief, dunkel und durch das »Angstloch« schemenhaft einsehbar, gehören solche Verliese heute zu den schaurigen Attraktionen vieler touristisch erschlossener Burgen.
Eine ansehnliche Burgruine: Questenberg
Die Questenberg bei Sangerhausen (Lkr. Mansfeld-Südharz) wurde vermutlich im mittleren 13. Jh., wohl seitens der Grafen von Beichlingen-Rothenburg, erbaut. Heute bildet die Spornbefestigung in beherrschender Lage über dem Tal eine ansehnliche Burgruine. In der länglichen Haupt- oder Oberburg befinden sich die Ruinen des Palas, einiger Nebengebäude sowie des runden, von Steinräubern seiner Außenschalen weitgehend entblößten Bergfriedstumpfs. Der Turm deckte die Fortifikation auf der durch tiefe, in den Felsen geschlagene Gräben geschützten Angriffsseite im Nordwesten. Südwestlich unterhalb sind der Hauptburg eine mit Mauern befestigte Vorburg und eine weitere, wohl ebenfalls in den Befestigungskomplex einbezogene Terrasse vorgelagert. Hier befanden sich wahrscheinlich Fachwerkbauten. Als Baumaterial diente ansonsten überwiegend ein hellgrauer, recht weicher Dolomitkalkstein bzw. Gips.
Im runden, etwa 3,2 m durchmessenden Untergeschoss des heute dachlosen, außen 8,8 m breiten und noch gut 7 m hohen Turms der Burg, der im mittleren 13. Jh. oder in der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts erbaut worden sein dürfte, hat sich jemand mit zahlreichen Ritzzeichnungen verewigt. Als Grundlage dienten die Innenseiten der weichen, eher roh vermörtelten Kalksteinquader. Waren in den 1920er Jahren noch über 70 Darstellungen sichtbar, so ließen sich bei einer Neuaufnahme noch gut 60 unterschiedliche Darstellungen identifizieren. Stilistisch lassen sich die meisten einer Person zuordnen, in geringerer Zahl sind Darstellungen eines zweiten und dritten Gefangenen erkennbar, stellte Prof. Dr. Felix Biermann fest, der die Darstellungen nun im aktuellen Band der „Jahresschrift für Mitteldeutsche Vorgeschichte“ neu vorlegt.
Ritzzeichnungen im Burgverlies
Die Bilder müssen wohl im späten Mittelalter oder in der frühesten Neuzeit entstanden sein, denn die dargestellten Geräte sind nach ihrem Stil in jene Epoche zu datieren. Es handelt sich um Werkzeuge, landwirtschaftliche Geräte, Alltagsgegenstände, christliche, heraldische oder magische Symbole, geometrische Formen, sexuell konnotierte und szenische Darstellungen. Letztere umfassen beispielsweise Hämmer, die auf einen Amboss schlagen und möglicherweise tief symbolträchtige Bilder wie eine Komposition aus Schloss und Schlüssel.
Die gesamte Graffitipracht setzt erst etwa 0,5 m über der heutigen Sohle des Turms der Burg ein. Da nicht eine einzige Ritzung tiefer angebracht wurde, dürften die unteren Partien damals durch eine Auffüllung bedeckt gewesen sein – hier kann man an Schutt oder Unrat denken, ein beredtes Zeugnis der Umstände, unter denen die Gefangenen eingekerkert waren.
Nach einer Meldung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt