Der moderne Mensch trägt in seinen Zellen eine kleine Menge DNA, die von anderen menschlichen Spezies stammt. Dabei handelt es sich um die von Neandertalern und den schwer fassbaren Denisova-Menschen. Im Jahr 2018 gaben Wissenschaftler der Welt die Entdeckung eines Individuums bekannt, das später den Spitznamen Denny erhielt. Sie lebte vor 90.000 Jahren und konnte als Tochter eines Denisova-Menschen und einer Neandertalerin identifiziert werden. Denny und andere Individuen gemischter Abstammungen, die in der Denisova-Höhle gefunden wurden, belegen, dass Kreuzungen unter Hominiden wahrscheinlich üblich waren.
Um herauszufinden, wann und wo die menschliche Hybridisierung stattgefunden hat, stützen sich die Wissenschaftler normalerweise auf paläogenomische Analysen von extrem seltenen fossilen Exemplaren und deren noch seltenerem alten DNA-Gehalt.
Unterschiedliche Umweltvorlieben
In dem neuen Science-Artikel verfolgte das Team aus Klimaexperten und Paläobiologen einen anderen Ansatz. Anhand vorhandener paläoanthropologischer Beweise, genetischer Daten und Supercomputer-Simulationen des vergangenen Klimas fand das Team heraus, dass Neandertaler und Denisova-Menschen unterschiedliche Umweltvorlieben hatten. Genauer gesagt waren Denisovaner viel stärker an ein kaltes Klima angepasst. Die kalte Umgebung war gekennzeichnet durch boreale Wälder und sogar Tundren. Der Neandertaler bevorzugte hingegen gemäßigte Wälder und Grasland. „Das bedeutet, dass ihre bevorzugten Lebensräume geografisch getrennt waren. Dabei präferierten die Neandertaler typischerweise den Südwesten Eurasiens und die Denisovaner den Nordosten“, sagt Dr. Jiaoyang Ruan, Hauptautor der Studie.
Ihren realistischen Computersimulationen zufolge fanden die Wissenschaftler jedoch heraus, dass sich die Lebensräume der Hominiden in warmen Zwischeneiszeiten geografisch zu überlappen begannen. „Wenn Neandertaler und Denisova-Menschen einen gemeinsamen Lebensraum teilten, gab es mehr Begegnungen und Interaktionen zwischen den Gruppen, was die Wahrscheinlichkeit der Kreuzung erhöht hätte“, fügt Prof. Axel Timmermann, korrespondierender Autor der Studie hinzu.
Das könnte Sie auch interessieren!
Multitalente – Moore für Klima-, Arten- und Denkmalschutz
Moore gelten als Multitalente im Kampf gegen Klima- und Artenkrise, zugleich sind sie umrankt von Mythen und Märchen. Dass diese für den Planeten wichtigen Ökosysteme aber nicht nur für den Natur-, sondern auch für den Denkmalschutz eine bedeutende Rolle spielen, dürfte viele überraschen.
Um die klimatischen Ursachen für die Ost-West-Kreuzung zu ermitteln, untersuchten die Wissenschaftler genauer, wie sich die Vegetationsmuster in Eurasien in den letzten 400 000 Jahren verändert haben. Sie entdeckten, dass erhöhte atmosphärische CO2-Konzentrationen und milde interglaziale Bedingungen eine östliche Ausdehnung der gemäßigten Wälder in Mitteleurasien verursachten. Dadurch entstanden Ausbreitungskorridore für Neandertaler in das Land der Denisovaner. „Es scheint, als ob die glazial-interglazialen Klimaverschiebungen die Bühne für eine einzigartige und lang anhaltende menschliche Liebesgeschichte schufen. Und ihre genetischen Spuren sind heute noch sichtbar“, kommentiert Dr. Ruan.
Eine der größten Herausforderungen, mit denen die Forscher in ihrer Studie konfrontiert waren, bestand darin, die bevorzugten klimatischen Bedingungen für Denisovaner zu schätzen. „Um mit dem sehr spärlichen Denisovan-Datensatz umzugehen, mussten wir neue statistische Werkzeuge entwickeln, die auch die bekannten Vorfahrenbeziehungen zwischen den menschlichen Arten berücksichtigen konnten“, sagt Prof. Pasquale Raia, Mitautor der Studie. „Dadurch konnten wir zum ersten Mal abschätzen, wo die Denisovaner gelebt haben könnten. Zu unserer Überraschung stellten wir fest, dass neben Gebieten in Russland und China auch Nordeuropa für sie eine geeignete Umgebung gewesen wäre“, fügt er hinzu.
Ob die Denisovaner jemals westlich des Altai-Gebirges gelebt haben, ist nicht bekannt. Es kann aber anhand von groß angelegten genetischen Analysen der Abstammung der Denisovaner in europäischen Populationen überprüft werden. Eine solche Analyse dürfte neue Erkenntnisse über die Beziehung zwischen früher Ausbreitung, der Beeinträchtigung des Lebensraums und der genetischen Diversifizierung des Menschen liefern.
Meldung des ibs
Originalpublikation:
Climate shifts orchestrated hominin interbreeding events across Eurasia, Jiaoyang Ruan, Axel Timmermann, Pasquale Raia, Kyung-Sook Yun, Elke Zeller, Alessandro Monadanaro, Mirko Di Febbraro, Danielle Lemmon, Silvia Castiglione, Marina Melchionna (2023): Science, doi: https://doi.org/10.1126/science.add4459