Diese Bewertung stellt das Team von Professor Nicholas Conard aus der Abteilung Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen nun in Frage: „Wir können die dargestellte Tierart immer noch nicht sicher bestimmen, aber es könnte ein Höhlenlöwe oder ein Höhlenbär sein“, sagte Professor Conard bei einer Pressekonferenz zum „Fund des Jahres“ am Donnerstag. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung zu der Figur, deren Teile in Schichten der altsteinzeitlichen Kultur des Aurignacien geborgen wurden und die vor 35.000 Jahren geschnitzt worden war, erscheint in der aktuellen Ausgabe der Fachpublikation Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg, herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg.
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Feuerstein-Artefakt belegt Großwildjagd der Neandertaler am Hohle Fels
Schon in der Mittleren Altsteinzeit, vor mehr als 65.000 Jahren, jagten die Neandertaler auf der Schwäbischen Alb mit komplex hergestellten Waffen Großwild wie Rentiere oder Wildpferde. Das belegt ein Fund aus der Welterbe-Höhle Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb nahe Schelklingen.
Professor Conard selbst hält das Eiszeitkunstwerk aus der jüngeren Altsteinzeit für eine Bärenfigur: „Die Figurine hat nun einen massigen Körper, zeigt den typisch ausgeprägten Bärenbuckel in Schulterhöhe und präsentiert sich in einer Körperhaltung, die den trottenden Gang eines Bären nachahmen könnte.“ Es gebe aber auch Kollegen, die der Figur anatomische und physiognomische Eigenschaften eines Höhlenlöwen zuschrieben, räumt Professor Conard ein. „Es ist keineswegs immer einfach, eiszeitliche Darstellungen verbindlich zu bestimmen, besonders wenn sie so bruchstückhaft erhalten sind. Daher bleibt es sinnvoll, in den kommenden Jahren besonders aufmerksam nach den fehlenden Teilen dieses Tiers zu suchen.“
Tatsächlich ist die Tierfigur mittlerweile aus fünf Fundfragmenten zusammengesetzt, die man in unterschiedlichen Grabungsjahren geborgen hat. Auf den 1999 gefundenen Kopf, der im Halsbereich abgebrochen war, konnte kurz darauf unter den Elfenbeinfunden ein kleines Stück der Backe identifiziert und angepasst werden. So wurde der Fund gut zwanzig Jahre lang im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren ausgestellt.
Das neue Fragment
Der aktuelle Elfenbeinfund, der 3,99 Zentimeter lang, 2,49 Zentimeter hoch und 0,55 Zentimeter dick ist und auf einer Seite mit mehreren feinen, bewusst gravierten Linienmustern versehen ist, wurde kurz nach der Ausgrabung als rechte Schulter und Brustkorb des Tieres erkannt und angefügt. Dies ließ die Forscher unter den zahlreichen Elfenbeinfunden aus dem Hohle Fels nach weiteren Teilen der Figurine suchen. Mit Erfolg: Ein weiterer kleiner Teil der rechten Körperseite konnte anhand seiner Gravuren ausfindig gemacht werden. Dieser kleine, an die Figur angesetzte Rumpfteil trägt wie die anderen Stücke sehr feine Linien in der gleichen Ausführung. Sie beweisen eindeutig, dass die Zusammensetzungen stimmig sind. Sehr wahrscheinlich gehört überdies noch ein weiteres Fragment zu der Figur: Es könnte ein Teil des linken Vorderbeines sein. Es kann aber nicht mit dem restlichen Körper unmittelbar verbunden werden.
Die ergänzte Elfenbeinfigurine ist nun wieder ins urmu zurückgekehrt, wo sie für die Öffentlichkeit ausgestellt wird. „Diese Figur zeigt uns und unseren Besuchern, wie keine andere, dass die archäologische Arbeit niemals abgeschlossen ist“, sagt Dr. Stefanie Kölbl, geschäftsführende Direktorin des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren. Dieses ist zugleich Zweigmuseum des Archäologischen Landesmuseums und Forschungsmuseum der Universität Tübingen. So werden im Nachbargebäude des Museums die Funde aus dem Hohle Fels in kleinteiligster Arbeit ausgelesen. „Es ist faszinierend, die Ausgräber dort mit Lupe und Pinzette bei ihrer Arbeit zu sehen“, meint Dr. Kölbl, „und noch faszinierender, dabei festzustellen, dass über diese lange, lange Zeit irgendwie nichts verloren zu gehen scheint, und wir hoffen dürfen, diese Figur irgendwann vervollständigen zu können.“
Pressemeldung des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren
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