Genetische Daten aus dem Altai weisen auf hohe Mobilität früher Jäger und Sammler hin

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Tübingen, des Senckenberg Centres for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP) in Tübingen und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig identifizierte eine etwa 7.500 Jahre alte und bisher unbekannte Population im zentralasiatischen Altai, an der es belegen konnte, dass Jäger- und Sammlerpopulationen in Sibirien und in anderen Teilen Nordasiens über große Distanzen mobil waren. Unter der Leitung von Cosimo Posth, Professor für Archäo- und Paläogenetik in Tübingen, fand das Forschungsteam heraus, dass die neolithischen Jäger- und Sammlerpopulation aus dem Altai eine Mischung aus zwei verschiedenen Gruppen war, die während der letzten Eiszeit in Sibirien gelebt hatten. Wie weit die Mobilität dieser Jäger und Sammler reichte, zeigt ihr genetischer Beitrag zu vielen zur gleichen Zeit lebenden und späteren Populationen in ganz Nordasien. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Current Biology erschienen.

Blick auf das Tal im Altai, in dem sich die Nizhnetytkesken-Höhle befindet.
Blick auf das Tal im Altai, in dem sich die Nizhnetytkesken-Höhle befindet. Foto: Alexey A.Tishkin

Archäologisch bekannt ist der Altai bereits als erster Fundort der prähistorischen Denisova-Menschen. „Doch auch für die demografische Geschichte unserer eigenen Art ist diese Region von großer Bedeutung“, erklärt Cosimo Posth. „Über Jahrtausende hinweg machte seine geografische Lage den Altai zu einem wichtigen Knotenpunkt für Bevölkerungsbewegungen zwischen Nordsibirien, Zentralasien und Ostasien“, führt er weiter aus. Die genetischen Daten aus dem Altai zeigten, dass es zwischen den Genpools der Menschen in Osteurasien spätestens seit dem frühen Holozän, also seit etwa 10.000 Jahren, häufig Austausch gab. „Eine solche Verbindung über große geografische Entfernungen hinweg ist bemerkenswert. Allesdeutet darauf hin, dass menschliche Wanderungen und Vermischungen auch bei prähistorischen Jäger- und Sammlergesellschaften die Norm waren und nicht die Ausnahme“, fasst Posth zusammen.

Gene und Kulturen nordasiatischer Jäger und Sammler

Schädel des Nizhnetytkesken-Individuums
Schädel des Nizhnetytkesken-Individuums. Foto: Sergey V. Semenov

Zur Überraschung der Forscherinnen und Forscher stellten sie bei einer Einzelbestattung in der Region aus der Zeit der Altai-Jäger und Sammler ein stark von diesen abweichendes genetisches Profil fest. Dieses wies vielmehr Ähnlichkeiten zu Populationen im Osten Russlands auf. Der als „Nizhnetytkesken-Individuum“ bezeichnete Mann wurde in einer mit zahlreichen Grabbeigaben bestückten Höhle gefunden. Die Gegenständewurden als mögliche Zeugnisse von Schamanismus interpretiert. „Das zeigt, dass in diesem Gebiet Menschen mit sehr unterschiedlichen genetischen Profilen lebten“, sagt Dr. Ke Wang, die Erstautorin der Studie, die jetzt an der Fudan-Universität in China forscht. Es ist nicht klar, ob der bestattete Mann von weit her kam oder ob die Bevölkerung, aus der er stammte, in der Nähe lebte. „Seine Grabbeigaben scheinen sich jedoch von denen anderer archäologischer Fundorte zu unterscheiden, was darauf hindeutet, dass sowohl kulturell als auch genetisch unterschiedliche Individuen in die Altai-Region gezogen sind“, so Wang.

In der Publikation werden weitere Daten eines 7.000 Jahre alten Individuums aus dem Osten Russlands veröffentlicht, welche genetische Verbindungen zu Jägern und Sammlern aus dem japanischen Archipel aufweisen. Darüber hinaus zeigen neu gewonnene alte Genome von der Halbinsel Kamtschatka, dass es zwischen den amerikanischen Ureinwohnern und Nordostasien in den letzten Jahrtausenden einen Genfluss in mehreren Phasen gegeben hat.

Diese Ergebnisse werfen die Frage auf, inwieweit genetische Profile und archäologische Kulturen bei den sibirischen Jäger- und Sammlergruppen zusammenhängen. Laut Posth gibt es in dieser riesigen geografischen Region noch große zeitliche Lücken, die durch weitere interdisziplinäre, archäologische Forschung und die Untersuchung alter DNA geschlossen werden müssen. „Wir brauchen mehr archäogenetische-Studien, die sich auf Nordasien konzentrieren, um herauszufinden, welche demografischen Prozesse an der Bildung verschiedener Jäger- und Sammler-Genpools beteiligt und wie diese möglicherweise mit unterschiedlichen kulturellen Praktiken verbunden waren“, schließt er ab.

Publikation

Ke Wang, He Yu, Rita Radzevičiūtė, Yu. F. Kirushin, Alexey A. Tishkin, Yaroslav V. Frolov, Nadezhda F. Stepanova, Kirill Yu. Kirushin, Artur L. Kungurov, Svetlana V. Shnaider, Svetlana S. Tur, Mikhail P. Tiunov, Alisa V. Zubova, Maria Pevzner, Timur Karimov, Alexandra Buzhilova, Viviane Slon, Choongwon Jeong, Johannes Krause, Cosimo Posth: Middle Holocene Siberian genomes reveal highly connected gene pools throughout North Asia. Current Biology

Nach Pressemitteilung der Universität Tübingen

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