Lebten Nashörner in Deutschland? Kein Scherz: Es hat sie einst hier gegeben, während des vergangenen Eiszeitalters. Das dokumentieren zahlreiche Knochenfunde und nun auch genetische Spuren, die ein Forschungsteam aus Baden-Württemberg jüngst ausgewertet hat. Bei Ausgrabungen in Höhlen des Lonetals (nordöstlich von Ulm; Bockstein-Loch und Hohlenstein-Stadel) in den 1930er-Jahren durch die Universität Tübingen sowie zwischen 2008 und 2013 durch das Landesamt für Denkmalpflege fanden sich nahezu versteinerte Exkremente von Hyänen aus der mittleren Altsteinzeit (spätes Mittelpaläolithikum, Zeit der späten Neandertaler, 60.000 bis 45.000 Jahre vor heute). Neue genetische Analysen brachten nun zu Tage, dass die Hyänen Wollnashörner verdaut hatten. Die Funde zeigen, dass Höhlen nicht nur für Menschen wichtige Aufenthaltsorte waren, sondern auch Tieren Unterschlupf boten.
In einem Kooperationsprojekt widmen sich die beteiligten Forschenden der Rekonstruktion der Tier- und Pflanzenwelt der späten Neandertalerzeit in Südwestdeutschland. Dabei erweisen sich fossile Exkremente als hervorragende Datenquelle. „Diese fossilen Exkremente werden Koprolithen genannt. Sie sehen versteinert aus, sind aber sehr porös, fast wie Bimsstein, und nicht wirklich versteinert“, erklärt die Konstanzer Umweltgenomikerin Laura Epp. Wie in einer Zeitkapsel komprimiert und geschützt vor Verunreinigung, enthalten sie Hinweise auf die Produzenten der Exkremente und deren Nahrung: die verdauten Tiere und Pflanzen, die die eiszeitliche Landschaft prägten.
Ein Team der Universität Konstanz um Laura Epp konnte genetisch nachweisen, dass diese Ausscheidungen DNA des Wollnashorns enthalten. Sprich: Die Hyänen müssen Wollnashörner erbeutet und gefressen haben. Dadurch lässt sich nicht nur nachweisen, dass es in Süddeutschland einst Hyänen und Wollnashörner gab. Die Forscher*innen konnten anhand der Funde zudem erstmalig ein komplettes mitochondrielles Genom des europäischen Wollnashorns erstellen. Das erlaubt Rückschlüsse auf den Stammbaum des europäischen Wollnashorns – und seine Verwandtschaftsbeziehungen zu seinen sibirischen Artgenossen.
Spurensuche in der Vergangenheit
Die Konstanzer Biologin Laura Epp ist auf die Rekonstruktion der Vergangenheit spezialisiert: Anhand von genetischen Ablagerungen in Sedimenten von Gewässern oder aus Ausgrabungen ermittelt sie, wie die Flora und Fauna vor Jahrtausenden ausgesehen haben muss. Die DNA-Rückstände von Tieren, Pflanzen und auch Algen verraten vieles über das Leben und Zusammenleben vor Jahrtausenden, in früheren Erdzeitaltern. Dass sie aber ausgerechnet auf relativ gut erhaltene Spuren eines Wollnashorns in fossilen Exkrementen stoßen würde, war überraschend.
Die Koprolithen wurden aufgebohrt; die darin gefundene DNA wurde genetisch analysiert (Gensequenzierung). Aus dem genetischen Puzzle konnte Material von gleich zwei Tieren gefunden werden – von der Hyäne und vom Wollnashorn, das diese verdaut hatte. Eine zweite Probe aus einer weiteren Höhle im Lonetal ergab eine sehr ähnliche Spur: wieder eine Hyäne, wieder ein gefressenes Wollnashorn.
Der genetische Stammbaum des Wollnashorns
Dass es einst Wollnashörner in Süddeutschland gegeben haben muss, war bereits aus Knochenfunden bekannt. Neu ist aber, dass nun erstmalig das mitochondrielle Genom des europäischen Wollnashorns erstellt wurde. Diese „genetische Karte“ erlaubt Rückschlüsse auf den Stammbaum der Tierart.
„Wir haben festgestellt, dass dieses europäische Wollnashorn genetisch relativ weit entfernt ist von allen sibirischen Wollnashörnern, die bis jetzt sequenziert wurden“, schildert Peter Seeber aus dem Konstanzer Team: „Die molekulare Datierung legt nahe, dass die Abspaltung der mütterlichen Linie unseres europäischen Wollnashorns von seinen sibirischen Artgenossen vor einigen hunderttausend Jahren stattfand – das passt zur Zeit der frühesten Fossilienfunde in Europa vor etwa 400.000 Jahren.“ Das könnte bedeuten, dass es seit dieser Zeit eine stabile Population in Europa gegeben hat, die von der sibirischen getrennt gelebt hat. Ein genaueres Bild der Geschichte der Art könnte sich aus weiteren genetischen Proben zeichnen lassen – und dafür eignen sich nicht nur Knochen.
„Es ist ein bisschen verrückt, dass wir rein aus den fossilen Exkrementen einer Hyäne das erste mitochondrielle Genom eines europäischen Wollnashorns rekonstruiert haben. Es deutet aber darauf hin, woher wir alles genomische Daten beziehen können – auch aus Proben, die auf den ersten Blick scheinbar nichts mit den Organismen zu tun haben“, argumentiert die Umweltgenomikerin Laura Epp.
Die Forschung hilft, die Vergangenheit zu rekonstruieren und die Evolution der Tierart nachzuvollziehen. In der genetischen Spurensuche können aber auch Einflüsse erdgeschichtlicher Ereignisse (z. B. Klimawandel in der Eiszeit) auf die Organismen sichtbar gemacht werden, um letztlich zu begreifen, weshalb die Art sich genau so entwickelt hat und warum sie ausgestorben ist. „Darüber hinaus können wir die Anpassung pleistozäner Jäger und Sammler an ihre Umwelt nur durch eine möglichst umfassende Rekonstruktion der sie umgebenden Landschaft verstehen“, gibt Yvonne Tafelmaier vom Landesamt für Denkmalpflege zu bedenken.
In einem nächsten Schritt widmen sich die Forschenden nun der Rekonstruktion der Flora. Die Koprolithen enthalten nämlich neben tierischer auch pflanzliche DNA und Reste mitverdauter Pollen. Daraus erhofft sich das Team eine genauere zeitliche Eingliederung der einbettenden Sedimente in die wechselvolle Klima-Geschichte der letzten Eiszeit und ein besseres Verständnis des Verhaltens später Neandertaler.
Coelodonta antiquitatis lautet der wissenschaftliche Name des Wollnashorns. Vor rund 14.000 Jahren starb es schließlich in Sibirien aus. Der nächste lebende Verwandte des Wollnashorns ist das Sumatra-Nashorn. Es lebt in den tropischen Regenwäldern Südostasiens und wurde nahezu ausgerottet.
Pressemitteilung der Uni Konstanz