Die Analyse von frühen Netzwerken anhand von Rohmaterial-Funden und den dazugehörigen Rohmaterial-Quellen ist nicht neu. Schon seit etwa 50 Jahren nutzt die Archäologie diese Möglichkeit. „Sie hat uns viele wertvolle Erkenntnisse über die Vergangenheit erbracht. Doch wegen des Aufwands und der Spezialisierung einzelner Expertinnen oder Experten befassten sich die Studien lange jeweils nur mit einem Rohmaterial“, erklärt Dr. Johanna Hilpert, Archäologin am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Postdoc am Datencampus der CAU Kiel.
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Artefakte im Experiment
Naturwissenschaftliche Methoden haben die Erforschung
der Vorzeit in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend
voran gebracht. Nichts zeigt dies so deutlich wie die Experimentelle Archäologie: Mittels Versuchen werden die Thesen der Geisteswissenschaftler auf den Prüfstand gestellt.
Exklusiv in der AiD 2/2020
Mehr als 6000 Fundstellen mit Millionen Einzelfunden verzeichnet
Erst in jüngster Zeit ermöglicht die Digitalisierung auch komplexere Analysen mit mehreren Rohmaterialien gleichzeitig. „Der Ansatz unseres Projektes ‚Big Exchange‘ ist jetzt, für die Zeit von der Mittelsteinzeit bis in die Antike alle erfassbaren Rohmaterialen, deren Fund- und Herkunftsorte in die Auswertungen einzubeziehen. Das kann nur noch mit Mitteln der Netzwerkanalyse und mit KI erfolgen“, betont Dr. Hilpert.
Bis jetzt hat das Projekt schon mehr als 6000 Fundstellen mit Millionen Einzelfunden von Westeuropa bis Mittelasien verzeichnet. Die damit möglichen Netzwerkanalysen erlauben Aussagen, wie die gleichzeitige Verteilung verschiedener Güter mit dem mehr oder weniger eingeschränkten Zugang der jeweiligen Menschen zu Rohmaterialen zusammenhängt. Das betrifft auch grundsätzliche Fragen zu sozialer Ungleichheit und verschiedenen Machtverhältnissen.
Gleichzeitig ist das Projekt ein soziales Experiment. „Es geht nicht nur darum, Datensätze in passende Datenbanken zu füttern und automatisch auswerten zu lassen. Wir wollen die Archäologinnen und Archäologen für jeden Datensatz mit an Bord haben“, betont Dr. Kerig. Archäologische Datensätze seien sehr unterschiedlich, einige lägen nur analog vor. „Deshalb ist es wichtig, die Kolleginnen und Kollegen, die die zugrunde liegenden Grabungen oder Prospektionen kennen, in die Analyse einzubeziehen. Wir wollen also nicht nur prähistorische Netzwerke analysieren, sondern auch wissenschaftliche Netzwerke aufbauen und Archäologie mit Datenwissenschaft verknüpfen“.
Aufruf zur Mitarbeit
Ein erstes Ergebnis des Projekts stellen die Autorinnen und Autoren bereits jetzt in Antiquity vor. Die Linearbandkeramische Kultur ist die erste bäuerliche Kultur Mitteleuropas. Ihre nordwestliche Ausprägung galt lange Zeit als idealtypisch für ihre Epoche. Unter Berücksichtigung neuester Ausgrabungen zeigt die Netzwerkanalyse von „Big Exchange“ allerdings, dass das Produktgemisch der nordwestlichen Linearbandkeramik eher einen Sonderfall darstellt. „Vermutlich werden wir bei einer systematischen Analyse der vorhandenen Daten noch mehr derartige Überraschungen erleben“, sagt Dr. Kerig.
Die Autorinnen und Autoren verstehen ihren Artikel auch als Aufruf an Kolleginnen und Kollegen, sich an „Big Exchange“ zu beteiligen und eigene Datensätze einzubringen. „Je mehr Beteiligung, desto besser können wir die vergangenen Beziehungs- und Netzwerk-Dynamiken verstehen“, fasst Tim Kerig zusammen.
Hintergrundinformationen:
Das Projekt „Big Exchange“ wird seit 2020 vom Exzellenzcluster ROOTS an der CAU Kiel finanziert.
Pressemitteilung der CAU