Birkenpech ist eines der ältesten von frühen Menschen künstlich hergestellten Materialien. Es wurde beispielsweise als Klebstoff benutzt, etwa um Steingeräte an hölzernen Schäftungen zu befestigen. Die frühesten Belege werden mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht. Der genaue Prozess der Herstellung von Birkenpech ist umstritten. An dieser Frage nach der verwendeten Produktionstechnik hängen wesentliche Einsichten zu den kulturellen Fähigkeiten des Neandertalers.
Birkenpech und die kognitiven Fähigkeiten des Neandertalers
Birkenpech kann in einem komplizierten mehrstufigen Schwelprozess in einer Grube unter Luftabschluss produziert werden. Die Beherrschung eines solchen Prozesses wäre ein Beleg für umfangreiche kognitive Fähigkeiten des Neandertalers. Experimente haben jedoch ergeben, dass Birkenpech auch auf Steinen aus brennender Rinde kondensieren kann. Wäre dieser Prozess an prähistorischen Funden nachweisbar, würde ein wesentliches Argument für anspruchsvolle kognitive Fähigkeiten des Neandertalers entfallen.
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Neandertaler des Nordens
Neandertaler streiften durch ein riesiges Gebiet von Portugal im Westen, über England bis nach Sibirien im Osten. Im Norden wurde ihr Lebensraum durch das eiszeitliche Klima beschnitten: Vor 300000 bis 40000 Jahren verlief diese Linie mitten durch Norddeutschland und Polen. Funde aus diesem Grenzraum sprechen von Großwildjägern mit technisch ausgefeilter Ausrüstung. Sie kümmerten sich um geschwächte Mitglieder, nutzten heilende Pflanzen, bestatteten ihre Toten und schätzten ausgefallene Materialien. Grund genug also, sich das Leben der Neandertaler am Rand der bewohnbaren Welt genauer anzusehen.
Exklusiv in der AiD 1/2022
Zur Klärung dieser Frage hat ein Team aus Wissenschaftlern der Universität Tübingen, der Universität Straßburg und des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unter Leitung von Patrick Schmidt zwei Schlüsselfunde zur frühen Birkenpechherstellung von dem bekannten Fundplatz Königsaue (Ldkr. Aschersleben-Staßfurt) neu chemisch untersucht und mit experimentell durch unterschiedliche Verfahren hergestellten Proben verglichen.
Der Fundplatz Königsaue
In Königsaue bei Aschersleben in Sachsen-Anhalt wurden 1963-1964 durch den Braunkohletagebau archäologische Fundschichten aufgeschlossen. Spuren mehrerer saisonaler Jagdlager von Neandertalern an einem ehemaligen See konnten beobachtet werden, die ältesten Fundschichten datieren etwa um 80.000 Jahre v. H. Unter den Funden waren zwei Stücke von Birkenpech. Auf einem davon konnten bereits vor den aktuellen Untersuchungen Abdrücke eines Steins und eines Holzstücks sowie der Fingerabdruck eines Neandertalers festgestellt werden. Es kann im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) bewundert werden.
Belege für einen komplexen Herstellungsprozess
Die Forscher untersuchten die Funde durch Infrarotspektroskopie, Gaschromatographie und erstellten CT-Bilder. Die Ergebnisse verglichen sie mit Untersuchungen an experimentell hergestelltem Birkenpech. Im Ergebnis steht nun fest: das Birkenpech aus Königsaue wurde im Rahmen eines aufwendigen technologischen Prozesses unter Luftabschluss hergestellt. Die Beherrschung dieser Technologie deutet nicht nur auf erhebliche geistige Fähigkeiten der Neandertaler, auch darf angenommen werden, dass unsere frühen Verwandten in der Lage waren, das Wissen um solche Prozesse zu erhalten und an nachfolgende Generationen weiterzugeben.
Nach Pressemitteilung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte
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