Rechtslage zum Schutz von Kulturgütern

Ein wirkungsvoller Kulturgutschutz benötigt klare rechtliche Grundlagen, um im Falle von Naturkatastrophen, Bränden oder terroristischen Anschlägen den Erhalt von Kulturgütern zu sichern. In Deutschland gibt es jedoch bisher keine detaillierten, verbindlichen Regelungen, so das Mitte Dezember 2022 veröffentlichte Leopoldina-Diskussionspapier „Die rechtlichen Grundlagen der Notfallvorsorge für Kulturgüter“. Die Veröffentlichung bietet einen umfassenden Überblick über die Regelungen des Völkerrechts, des Europarechts sowie über die Gesetze in Deutschland. Die Autorin des Diskussionspapiers legt Argumente für einen kompletten rechtlichen Neuansatz dar.

Cover des Mitte Dezember 2022 zum Schutz von Kulturgütern veröffentlichten Leopoldina-Diskussionspapiers „Die rechtlichen Grundlagen der Notfallvorsorge für Kulturgüter“.

Das Völkerrecht als überstaatliche Rechtsordnung unterscheidet zwischen dem Kriegsvölkerrecht und dem Friedensvölkerrecht. Demzufolge gibt es auch unterschiedliche Richtlinien für die Notfallvorsorge in Kriegs- oder Friedenszeiten. Im Kriegsvölkerrecht gibt es genaue Vorgaben, wie die Staaten ihre Kulturgüter im Falle eines bewaffneten Konflikts zu schützen haben. In Friedenszeiten können „Notfälle“ wie Naturkatastrophen, Brände oder auch terroristische Angriffe Kulturgüter gefährden. Hier gelten klare und detaillierte Pflichten lediglich bei Kulturgütern, die in die Welterbe-Liste eingetragen sind. Für alle anderen Kulturgüter enthält das Friedensvölkerrecht nur allgemeine und unverbindliche Empfehlungen.

Auch das Europarecht schafft für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) keine Pflichten oder verbindlichen Vorgaben zur Ausgestaltung ihrer Notfallvorsorge für Kulturgüter. Die EU hat in den Bereichen Kultur und Katastrophenschutz nur beschränkte Zuständigkeiten. Ähnlich wie das Völkerrecht stuft das Europarecht den Schutz von Kulturgütern vor Katastrophen als Aufgabe der jeweiligen Staaten ein.

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Cover AiD 5/22

Nicht nur steinzeitliche Jäger und Sammler hinterließen ihre Spuren auf den ehemals begehbaren Flächen in unseren Meeren, tausende von Schiffswracks und versunkene Ladungen zeugen von Jahrhunderten regen Seehandels und kriegerischen Auseinandersetzungen auf See. Allein während der beiden Weltkriege fanden unzählige Schiffe und Flugzeuge ihre letzte Ruhestätte in Nord- und Ostsee. Doch was wissen wir eigentlich über dieses einzigartige »unsichtbare« Kulturerbe? Wie können wir Fundstellen am Meeresgrund schützen? Welche Zielkonflikte entstehen durch Bauvorhaben Offshore und wie kann das Unterwasserkulturerbe bei Planungs- und Bauprozessen berücksichtigt werden?

Exklusiv in der AiD 5/22

In Deutschland sind die wenigen völker- und europarechtlichen Vorgaben bzw. Leitlinien für die Notfallvorsorge von Kulturgütern bislang nicht vollständig und vor allem nicht bundesweit umgesetzt. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern erschwert zudem eine klare Aufgabenverteilung. Für Schadensereignisse in Friedenszeiten sind die Länder zuständig. Der in diesem Bereich geltende Katastrophenschutz umfasst zwar auch Vorsorge-, Vorbereitungs- und Planungsmaßnahmen, er kommt jedoch schwerpunktmäßig erst dann zum Zuge, wenn es tatsächlich zu einem Schadensereignis kommt, also bei der Ausrufung des Katastrophenfalls. Vorsorgeaufgaben werden anderen Rechtsgebieten zugeordnet wie dem Brandschutz-, dem Denkmal- und dem Bibliotheksrecht. Oft bleibt die Verantwortung deshalb in den Händen der jeweiligen Kultureinrichtungen bzw. Gefahrenabwehrbehörden, die sich an unverbindlichen Leitlinien orientieren können und sich teilweise aus eigener Initiative zu Notfallverbünden zusammenschließen.

Das Diskussionspapier regt an, den Regelungslücken und -defiziten klar zu begegnen, beispielsweise durch die vollständige und bundesweite Umsetzung der wenigen völker- und europarechtlichen Vorgaben und Leitlinien. Außerdem sollten Zuständigkeiten, Aufgaben, inhaltliche Vorgaben und Handlungsempfehlungen für die Notfallvorsorge gezielt und umfassend zwischen Bund und Ländern sowie zwischen allen Akteuren koordiniert und klar definiert werden.

Die Autorin des Diskussionspapiers „Die rechtlichen Grundlagen der Notfallvorsorge für Kulturgüter“ Kerstin von der Decken ist Professorin für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allgemeine Staatslehre sowie Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit Juni 2022 ist sie Justiz- und Gesundheitsministerin des Landes Schleswig-Holstein. Das Diskussionspapier hat sie bereits zuvor fertiggestellt.

Publikationen in der Reihe „Leopoldina-Diskussion“ sind Beiträge der genannten Autorinnen und Autoren. Mit den Diskussionspapieren bietet die Akademie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, flexibel und ohne einen formellen Arbeitsgruppen-Prozess Denkanstöße zu geben oder Diskurse anzuregen und hierfür auch Empfehlungen zu formulieren.

Kerstin von der Decken ist Mitglied der Leopoldina-Arbeitsgruppe „Archäologisches Kulturerbe”, die unter anderem an Publikationen zu Katastrophenvorsorge und Risikomanagement für das kulturelle Erbe, illegalen Ausgrabungen und illegalen Handel arbeitet. Die Arbeitsgruppe veröffentlichte bereits das Diskussionspapier „Spuren unter Wasser – Das kulturelle Erbe in Nord- und Ostsee erforschen und schützen“.

Die Leopoldina auf Twitter: www.twitter.com/leopoldina

Über die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina

Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Dazu erarbeitet die Akademie interdisziplinäre Stellungnahmen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesen Veröffentlichungen werden Handlungsoptionen aufgezeigt, zu entscheiden ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik. Die Expertinnen und Experten, die Stellungnahmen verfassen, arbeiten ehrenamtlich und ergebnisoffen. Die Leopoldina vertritt die deutsche Wissenschaft in internationalen Gremien, unter anderem bei der wissenschaftsbasierten Beratung der jährlichen G7- und G20-Gipfel. Sie hat 1.600 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. Sie wurde 1652 gegründet und 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Die Leopoldina ist als unabhängige Wissenschaftsakademie dem Gemeinwohl verpflichtet.

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