Die Lehrgrabung gehört in jedem Sommersemester zum Angebot des Vorgeschichtlichen Seminars im Studiengang „Archäologische Wissenschaften“. Sie vermittelt die Grabungspraxis und damit die Grundlage der archäologischen Quellenbeschaffung.
Neben internationalen Feldforschungsprojekten unter anderem auf der iberischen Halbinsel, in Afrika oder Anatolien stehen auch in Hessen liegende Forschungsfelder immer wieder im Fokus der Marburger Archäolog*innen. Erstmals wird die Lehrgrabung aber in diesem Sommer im Marburger Stadtgebiet durchgeführt. 20 Studierende haben bis zum 28. Juli 2023 die Möglichkeit, auf dem Gartengrundstück zwischen dem ehemaligen Kugelherrenhaus, zuletzt Institutsgebäude des Fachbereiches Gesellschaftswissenschaften und Philosophie, und der Kugelkirche einen Teil der Geschichte der eigenen Universitätsstadt zu erforschen.
Besonders steht dabei die Untersuchung eines das Grundstück nach Westen begrenzenden Stadtmauerabschnittes im Fokus, der im Zuge der Stadterweiterung der Jahre 1234/1235 mit dem Ziel errichtet worden war, das im selben Jahr erbaute Barfüßerkloster in den Schutz- und Rechtsbezirk Marburgs einzubeziehen. „Der avisierte Abschnitt ist unmittelbar unterhalb des zeitgleich errichteten Kalbstors gelegen und lässt auf Basis bereits im aufgehenden Mauerwerk erkennbarer Unregelmäßigkeiten den Schluss zu, dass hier im Laufe der Jahrhunderte mehrere Befestigungs- und Ausbaumaßnahmen ergriffen wurden. Es besteht weiterhin die Aussicht, Informationen zur Baugeschichte der um 1500 errichteten Kugelkirche und des ebenfalls zum ehemaligen Kloster der Brüder vom gemeinsamen Leben gehörenden Kugelherrenhauses zu gewinnen“, sagt Teichner. „Gleichzeitig hoffen wir auf archäologische Spuren auch der jüngsten Geschichte des Areals, das zeitweise unter anderem als Universitätsinstitut und Landesgefängnis diente.“
Hintergrund zur Methodik
Grabungsleiter Professor Dr. Felix Teichner nutzt bei den Lehrgrabungen die Möglichkeit, den Studierenden quasi vor der Haustür ein breites Methodenspektrum praktisch zu vermitteln. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften verschiedener Zeitstellungen, von der Mittelalterarchäologie bis hin zur „historical archaeology“, die auch die Überreste jüngerer und jüngster Vergangenheit betrachtet, ist dabei ein ebenso wichtiges Ziel wie das Erlernen archäologischer Feldmethoden.
Zunächst werden, der eigentlichen Ausgrabung vorgreifend, geophysikalische Prospektionsmethoden angewendet, welche ohne den Spaten ansetzen zu müssen durch „Durchleuchtung“ des Bodens bereits einen Einblick in zu erwartende Strukturen liefern können; eine am Marburger Geoarchäologischen Labor bereits seit längerem mit Erfolg angewandte nicht-invasive Methode.
Die eigentliche Ausgrabung, traditionell mit Hacke und Spaten ausgeführt, erfolgt im Umfang von zwei Grabungsschnitten. Dabei sollen die Studierenden zunächst unter Anleitung, später eigenständiger, die praktische Grabungsmethode erlernen. Angefangen beim Anlegen der Schnitte über das Freilegen von Strukturen und Funden, Vermessung, die zeichnerische, fotografische und schriftliche Dokumentation bis hin zur Fundversorgung. Werkzeugkunde und Arbeitssicherheit werden begleitend vermittelt. Die Auswertung und Interpretation der gewonnenen Ergebnisse erfolgt anschließend in universitären Lehrveranstaltungen des kommenden Semesters.
Damit bildet das Vorgeschichtliche Seminar der Philipps-Universität als einzige hessische Universität eine gezielt auf die Anforderungen der Landesbehörden und Grabungsfirmen ausgerichtete berufspraktische Ausbildung für die Zeitepochen Frühgeschichte, Mittelalter und Neuzeit.
Pressemitteilung der Uni Marburg
Das könnte Sie auch interessieren!
HAWK und Uni Marburg kartieren Tiefenschäden per Terahertz-Tomographie
Seit über zehn Jahren entwickelt die Göttinger Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen und die Philipps-Universität Marburg mit Unterstützung der Firma Menlo Systems ein Verfahren, mit dem sich Hohlräume bis hin zu minimalen Materialablösungen mit Terahertz-Strahlung in Kulturgütern detektieren lassen. Das Verfahren tastet Holzskulpturen dabei erstmalig mit einem Roboterarm dreidimensional ab und übernimmt die Messergebnisse in eine neuartige Tiefenkartierung.