Bislang nur neun bekannte Tempel mit Löwenkopf aus Marmor
Der Löwenkopf ist eine sogenannte Sima, also der oberste Abschluss des Daches, hinter dem sich das Regenwasser sammelte und dann abgeleitet wurde. Für diese Ableitung des Wassers verwendete man Wasserspeier in der Form von Löwenköpfen. „Während man insbesondere im 6. Jahrhundert vor Christus diese Dekoration aus Terrakotta hergestellt hat, finden sich vor allem im 5. Jahrhundert vor Christus die ersten Simen aus Stein“, erläutert Jon Albers. Besonders bekannt sind die Funde vom Heraklestempel in Agrigent und vom Siegestempel in Himera. Diese stehen am Anfang dieser Entwicklung und sind aus qualitätvollem lokalen Kalkstein geschaffen. Beide hatten mit etwa 70 Zentimetern Höhe die größten Simen dieses Typs.
Der neue Fund aus Selinunt ist mit etwa 60 Zentimetern ebenfalls noch sehr hoch und deutlich größer als andere Simen der Region. Er wurde jedoch aus Marmor hergestellt, ein im westgriechischen Raum seltenes und kostbares Material. „Diesen Marmor importierte man von den griechischen Inseln – wahrscheinlich aus Paros – nach Sizilien“, so Jon Albers. „Insgesamt sind in ganz Süditalien und auf Sizilien bislang nur neun Tempel aus dem 5. Jahrhundert vor Christus bekannt, die eine Sima aus griechischem Marmor besaßen.“ Die Dächer wurden vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert entdeckt.
Ein neuer, zehnter Tempel
„Die neu gefundene Sima aus Selinunt lässt sich mit keinem dieser Tempel vergleichen und ist daher Teil eines zehnten Tempels mit einem solchen Marmordach“, folgert Jon Albers. Ob das Objekt einstmals für den bekannten Tempel E in Selinunt bestimmt war oder für einen anderen, heute noch unbekannten monumentalen Tempel, können die Forschenden noch nicht entscheiden.
Die Sima war jedoch scheinbar noch nicht verbaut, denn sie ist noch nicht fertig bearbeitet. Zwar ist der Block deutlich besser erhalten als andere Dächer mit Löwenkopfspeiern, allerdings war der charakteristische Wasserauslass noch nicht eingearbeitet. Auch fehlt die hintere Löwenmähne, und die Dekoration am oberen Abschluss der Platte ist noch nicht fertig. „Durch diesen Zustand erlaubt das Fundstück es uns, auch die Herstellungsprozesse für solche Architekturteile besser zu verstehen“, freut sich der Archäologe. „Da der Fund gleichzeitig aus der Hafenzone und dem unmittelbaren Umfeld des Werkstattviertels von Selinunt stammt, erlaubt es weitere Rückschlüsse auf die Handelskontakte der Stadt und die technischen Fähigkeiten der antiken Bewohner von Selinunt.“
Pressemeldung der Ruhr-Universität Bochum