„Die längste der drei Pfahlreihen erstreckt sich über 600 Meter zwischen St. Georg und Schopflen“, erklärte Landesarchäologe Prof. Dr. Dirk Krausse. Eine weitere 500 Meter lange Reihe liege vor der Bucht beim Bauernhorn westlich von Mittelzell. Eine kürzere Pfahlsetzung erstrecke sich zudem vor Niederzell, so Krausse weiter. Im Rahmen der taucharchäologischen Untersuchungen seien von der beauftragten Firma UwArc 1.300 Pfähle eingemessen worden, wobei ein Teil einsedimentiert und daher nicht sichtbar sei. Der Gesamtbestand könne auf zirka 2.500 Stück beziffert werden. „Die Stämme oder Spaltlinge wurden mit Metalläxten angespitzt und bestehen vorwiegend aus Eichenholz“, ergänzte Dr. Bertram Jenisch vom Fachgebiet Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit am LAD.
Dr. Oliver Nelle vom Dendrochronologischen Labor Hemmenhofen des LAD konnte bereits für mehrere Bäume das einheitliche Fälldatum 909 n. Chr. ermitteln. Die Errichtung der Pfahlreihen fallen demnach laut der Einschätzung von Dr. Bertram Jenisch in die Amtszeit von Hatto III., einem der schillerndsten Äbte der Reichenau. Hatto (* um 850; † 15. Mai 913) war von 888 bis 913 Abt des Klosters Reichenau und anderer Reichsklöster sowie Erzbischof von Mainz. Er war Kanzler mehrerer deutscher Könige und damit einer der mächtigsten Männer am Übergang des 9. zum 10. Jahrhundert. In seine Zeit als Abt fällt der Neubau des Münsters und von St. Georg in Oberzell.
Die Archäologinnen und Archäologen vermuten, dass die Pfahlreihen in der Blütezeit des Inselklosters zur Lenkung des Schiffsverkehrs am Nordufer der Reichenau angelegt wurden. Dr. Julia Goldhammer, Referentin für Feuchtbodenarchäologie am LAD, sagte: „Der vorliegende Befund bestätigt, dass die archäologische Betrachtung von Landschaften nicht an den Ufern von Gewässern enden darf. Unter Wasser verbergen sich oft spannende Strukturen, die mit Befunden an Land in Verbindung stehen.“
Alle Beiträge lesen in der AiD 5/22
- Kulturerbe in Nord- und Ostsee von Jens Auer und Matthias Maluck
- Aufnahmen aus der Tiefe von Ralph Behr
- Große Schaufeln und ein hölzernes Wrack – Begleitung von Offshore-Bauvorhaben von Jens Auer und Michal Grabowski
- Archäologie zwischen Ebbe und Flut von Marion Heumüller und Jan F. Kegler
- Lindwurm unter dem Sand – ein Schiff aus dem 17. Jh. von Stefanie Klooß
- Steinzeitliedlungen unter Wasser in Dänemark von Jørgen Spaanheden Dencker; übersetzt von Annine Fuchs
- Kulturerbemanagement auf dem Meeresgrund – Beispiel Niederlande von Martijn Manders; übersetzt von Michael Becker
- Rezepte für byzantinische Goldschmiede von Erica Hanning, Susanne Greiff, Günter Prinzing und Antje Bosselmann-Ruickbie
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Die Insel Reichenau gehört seit dem Jahr 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Bisher umfasst der geschützte Bereich die Fläche der Insel bis zur Uferzone.
Die zuständige Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, Nicole Razavi MdL, teilte anlässlich des Termins mit: „Die Untersuchungen der Flachwasserzone schlagen ein neues Kapitel in der Erforschung der Welterbestätte Insel Reichenau auf. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein!“
Susanne Bay, Regierungspräsidentin des Regierungspräsidiums Stuttgart, zeigte sich anlässlich des Vor-Ort Termins ebenso beeindruckt: „Die ersten Untersuchungsergebnisse machen deutlich, wie umfangreich sich die Raumplanung rund um das Kloster schon im Mittelalter gestaltete. Das Unter-Wasser-Projekt des Landesamts für Denkmalpflege zeigt einmal mehr die Bedeutung der archäologischen Denkmalpflege für die Erforschung und Bewahrung unseres kulturellen Erbes.“
In den kommenden Wochen und Monaten werden sich die Archäologinnen und Archäologen mit der weiteren Auswertung der Ergebnisse befassen. Weitere Tauchgänge sind zunächst nicht geplant.
Die Ergebnisse der Untersuchungen werden 2024 im Rahmen der großen Landesausstellung zur Reichenau des Badischen Landesmuseums in den Räumen des Archäologischen Landesmuseum in Konstanz der Öffentlichkeit präsentiert werden. Das LAD ist hierbei Kooperationspartner.
Nach Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart