Angesichts der Herausforderungen, die der aktuelle Klimawandels mit sich bringt, erforscht die Wissenschaft auch, wie menschliche Gesellschaften mit Umweltveränderungen generell umgehen. Die Vergangenheit liefert dazu wertvolle Erkenntnisse. Eine neue Studie, die Wissenschaftlerinnen des Exzellenzclusters ROOTS an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) jetzt zusammen mit Kollegen aus Oslo, Tromsø und Stavanger (Norwegen) in der internationalen Fachzeitschrift Quaternary Science Reviews veröffentlicht haben, präsentiert eine beispiellos umfangreiche Sammlung archäologischer und umweltbezogener Daten, die Zusammenhänge zwischen Klimaschwankungen, Bevölkerungsdynamik und kulturellen Veränderungen im heutigen Norddeutschland und Skandinavien während der Jungsteinzeit und der Älteren Bronzezeit (ca. 4100 bis 1100 vor unserer Zeitrechnung) aufzeigen. „Im Gegensatz zu der Vorstellung, dass frühe Gesellschaften Umweltveränderungen passiv hinnehmen mussten, zeigt unsere Studie, dass sie ausgeklügelte Strategien entwickelten, um sich an die veränderten Bedingungen anzupassen“, sagt Dr. Magdalena Bunbury, die Hauptautorin der Studie.
Tausende Datenpunkte berücksichtigt
Die Studie nutzt unter anderem die Kohlenstoffisotopenanalyse (14C-Daten), um Spuren menschlicher Aktivitäten im Forschungsgebiet zu datieren. Die Autoren erhoben mehr als 20.000 14C-Daten, die die vergangenen 17.000 Jahre abdecken. Nach einer strengen Qualitätskontrolle blieben 6268 Datenpunkte übrig, die für die Studie nutzbar waren. „Mit mehreren statistischen Ansätze können wir anhand dieser 14C-Daten rekonstruieren, ob die Bevölkerungszahl in bestimmten Epochen zu- oder abgenommen hat“, erklärt Dr. Bunbury.
„Zusätzlich haben wir 49 hochauflösende Klimaarchive aus dem Bereich zwischen 50 und 70 Grad nördlicher Breite analysiert, die eine detaillierte Rekonstruktion der Umweltbedingungen in der Untersuchungsregion zwischen 4100 und 1100 vor unserer Zeitrechung ermöglichen“, fügt Dr. Mara Weinelt vom Exzellenzcluster ROOTS hinzu, die die Studie initiiert und betreut hatte. Darüber hinaus bezog das Team archäologische Informationen zu mehr als 3600 Häusern aus fast 1500 Fundorten im größten Teil des Untersuchungsgebiets ein.
Bevölkerungsentwicklung und Klimaschwankungen sind verknüpft
Auf der Grundlage dieses umfangreichen Datensatzes unterstreichen die Ergebnisse der Studie die komplexen Verknüpfungen zwischen regionalen Klimatrends und lokalen Anpassungen. So hatte beispielsweise eine ausgeprägte Warmzeit im Holozän zwischen etwa 7050 und 2050 v. u. Z. in Skandinavien je nach Breitengrad unterschiedliche Auswirkungen. „In Südskandinavien könnte dieses wärmere Klima die Ausbreitung der Landwirtschaft im frühen 4. Jahrtausend v. Chr. begünstigt haben, was mit einem erheblichen Bevölkerungswachstum einherging“, sagt Dr. Bunbury, die bis 2022 als Postdoktorandin bei ROOTS forschte und jetzt an der James Cook University in Cairns, Australien, tätig ist.
Ein Abkühlungstrend um 2250 v. u. Z. markierte dann den Beginn einer Klimaverschiebung. Sie variierte allerdings in Bezug auf Dauer und Zeitpunkt in den verschiedenen Breitengraden und Regionen des Untersuchungsgebiets. Die jungsteinzeitlichen Gemeinschaften in Südnorwegen bewiesen trotz der Abkühlungstendenzen ihre Widerstandsfähigkeit, indem sie weiter Landwirtschaft betrieben und sich weiter in der Region niederließen. Gleichzeitig bauten die Menschen im heutigen Dänemark eine größere Vielfalt an Feldfrüchten an und entwickelten Häuser, in denen die Ernten über längere Zeiträume gelagert werden konnten. „Diese Prozesse können als Anpassungen an die veränderten Umweltbedingungen interpretiert werden“, erklärt Mitautorin Dr. Jutta Kneisel von der CAU.
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Je nach Region unterschiedliche Anpassungsstrategien
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Die Studie erfasst auch das 2. Jahrtausend v. u. Z und zeigt dann abrupte Abkühlungsperioden auf. Die Daten weisen auf gleichzeitige kurzfristige Rückgänge der Bevölkerungszahlen hin. Archäologische Funde legen den Schluss nahe, dass Handelsnetze mit Kontinentaleuropa unterbrochen waren. Nach diesen kurzfristigen Abkühlungsphasen begann die Bevölkerung ab Mitte des 2. Jahrtausends wieder zu wachsen. Sie entwickelte sogar eine neue, stabile Hausform.
„Wir können nicht alle Veränderungen in menschlichen Gesellschaften auf das Klima zurückführen. Die Daten zeigen jedoch eindeutig signifikante Zusammenhänge zwischen der Bevölkerungsentwicklung, der Besiedlung und den wirtschaftlichen Praktiken auf der einen Seite und den Klimatrends auf der anderen Seite. Insbesondere die Erholung der Bevölkerungszahlen nach abrupten Abkühlungsereignissen im 2. Jahrtausend v. u. Z. ist ein deutlicher Hinweis auf die Widerstandsfähigkeit beziehungsweise Anpassungsfähigkeit der frühen Gesellschaften in Skandinavien gegenüber Klimaschwankungen“, sagt Dr. Weinelt.
Weitere Untersuchungen, die sich auf kleinere Regionen konzentrieren, könnten weitere Erkenntnisse über die Verknüpfungen zwischen Mensch und Umwelt liefern.
Originalarbeit
Bunbury, M. M. E., Austvoll, K. I., Jørgensen, E. K., Nielsen, S. V., Kneisel, J., Weinelt, M. (2023): Understanding climate resilience in Scandinavia during the Neolithic and Early Bronze Age. Quaternary Science Reviews 322 (2023), https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2023.108391
Pressemitteilung der Uni Kiel