Perfekt erhaltene Rarität
„Der Zahn ist perfekt erhalten“, schwärmt Prof. Dr. Thomas Martin. Er ist Experte für Säugetiere aus der Zeit der Dinosaurier an der Universität Bonn. „Absolut bemerkenswert ist, dass dies erst der sechste Zahn dieser Tiergruppe ist, den wir aus der Zeit der Unterkreide in Europa kennen. Für das europäische Festland ist es sogar der erste Zahn dieser Art, alle anderen stammen aus England.“ Eine absolute Rarität also, die aber nicht überraschend kam. „Wir wussten schon vorher, dass es zu der Zeit, als die Ablagerungen in Balve entstanden sind, diese Säugetiergruppe gegeben hat. Es bestand also immer Hoffnung, dass wir diese Gruppe belegen können“, erklärt Schwermann. „Allerdings sind die Tribosphenida unter den Säugetierfossilien aus der Zeit der Unterkreide große Seltenheiten. Tatsächlich haben wir also mehr von so einem Fund geträumt, als dass wir gehofft haben.“
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Zu welchem Tier gehört der Backenzahn?
Hinter dem Zahn verbirgt sich ein sehr kleines Tier. Die Zahnkrone ist lediglich 1,6 Millimeter lang. Die Form zeigt, dass es sich um einen linken, unteren Backenzahn handelt. Die einzelnen Höcker der Zahnkrone sind im vorderen Bereich sehr spitz, ein Merkmal, das auf eine Ernährung als Insektenfresser hinweist. Im hinteren Bereich schließt sich ein flaches Becken an. „Dies ist eine Schlüsselentwicklung gewesen, die zum evolutiven Erfolg der Tribosphenida beigetragen hat. In dieses Becken greift ein Höcker aus dem entgegengesetzten Backenzahn des Oberkiefers. Es entsteht eine Kombination, die mit einem Mörser vergleichbar ist“, so Schwermann. „Diese Tiere konnten nun nicht nur Nahrung mit spitzen Höckern zerschneiden, sondern sie auch zermahlen. Das bot Möglichkeiten zur Erschließung neuer Nahrungsquellen“, ergänzt Martin.
Die Nadel im Heuhaufen
Säugetiere, also die Tiergruppe, zu der heute unter anderem Mäuse, Wale, Kängurus, Schnabeltiere und auch Menschen gehören, haben eine ähnlich weit zurückreichende Vergangenheit wie Dinosaurier. Allerdings brachten sie über Millionen von Jahren zunächst nur kleine Formen hervor. Die Säugetiere sind bis zum Aussterbeereignis vor 66 Millionen Jahren, bei dem bis auf die Vögel alle Dinosaurier verschwunden sind, von ihrer Körpergröße recht klein gewesen. „Entsprechend klein sind auch ihre Fossilien. Fundstellen, die Fossilien von Säugetieren aus der Zeit der Dinosaurier liefern, sind weltweit selten und die winzigen Überreste zu finden ist eine mühselige und langwierige Aufgabe. Es gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Schwermann. „In Balve schlämmen wir jeden Sommer etliche Tonnen Sedimente aus der Zeit der Dinosaurier, um auch noch die kleinsten Reste von damaligen Wirbeltieren zu finden“, so der LWL-Experte. Unter „Schlämmen“ wird das Waschen der Ablagerungen über verschiedene Siebe verstanden. Dabei beträgt die kleinste Maschenweite 0,5 Millimeter. Die feineren Sedimentpartikel, zu denen etwa 90 % des Materials gehören, werden ausgewaschen, um die winzigen Fossilien frei zu legen. „Mit dieser Methode wurden in der Vergangenheit schon beachtliche Erfolge in Balve erzielt und auch der neueste Fund des Zahns zeigt, dass wir damit spannende Ergebnisse erreichen können.“
Neuer Name mit Geschichte
Der neue Zahn ist nicht nur aufschlussreich und selten, er ist sogar einzigartig. Schwermann betont: „Der Grundaufbau der unteren Backenzähne dieser Tiergruppe war schon vor dem Fund bekannt. Die genaue Konfiguration ist jedoch artspezifisch. Und da weltweit kaum Zähne dieser Form aus der Zeit der Unterkreide bekannt sind, überrascht es wenig, dass es sich bei diesem Fund um den Beleg einer neuen Gattung und Art handelt.“ Entsprechend kam den Forschenden die Ehre zu, einen neuen Namen für diese Säugetiergattung und – art aufzustellen. Sie heißt nun Spelaeomolitor speratus. Was auf den ersten Blick unaussprechlich anmutet erzählt in der Übersetzung eine Geschichte. Der Gattungsname – Spelaeomolitor – bedeutet so viel wie „Höhlenmüller“. Die Höhle meint dabei den Fundort, denn die Ablagerungen wurden vor 125 Millionen Jahren in unterirdische Karsthohlräume eingespült. Die Bezeichnung Müller verweist auf die mechanische, mahlende Struktur, die für diese Tiergruppe so charakteristisch ist. Und die Artbezeichnung speratus bedeutet „erhofft“ (lateinisch). „Dies ist also der lange erhoffte Höhlenmüller“, so Schwermann.
Originalveröffentlichung: Thomas Martin, Alexander O. Averianov, Julia A. Schultz, and Achim H. Schwermann: A stem therian mammal from the Early Cretaceous of Germany. – Journal of Vertebrate Paleontology Article: e2224848
http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/02724634.2023.2224848
Pressemitteilung des LWL
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