Während der tausendjährigen Herrschaft des Römischen Reiches begannen die verschiedenen Völker, sich auf neue Weise zu verbinden – durch Handelswege, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit und gemeinsame militärische Unternehmungen. Ein internationales Team unter der Leitung von Forscher der Stanford Medicine und Co-Leitung von Ron Pinhasi von der Universität Wien hat nun genetisches Material aus antiken Skeletten analysiert, um ein detailliertes Bild der Reise- und Migrationsmuster während der Blütezeit des Reiches zu erstellen.
In der Studie konzentrierten sie sich auf ein engeres Zeitfenster – vom Ende der Eisenzeit vor 3.000 Jahren bis zum Mittelalter –, untersuchten dafür aber ein geografisches Gebiet, das das gesamte Römische Reich umfasst. So konnten sie schließlich auch nachzeichnen, wie vielfältig unterschiedliche Regionen im Vergleich zueinander bevölkert waren. Geografisch isolierte Gebiete, wie das armenische Hochland, das von Bergen umgeben ist, waren am wenigsten divers. Insgesamt gab es jedoch in den meisten Gebieten des Römischen Reiches Skelette unterschiedlicher genetischer Herkunft. Zu den besonders vielfältig bevölkerten Gebieten gehörten Sardinien, der Balkan und Teile Mittel- und Westeuropas.
Welche Gebiete waren miteinander verbunden?
Um besser zu verstehen, welche Gebiete miteinander verbunden waren, führte das Team eine umfassende Analyse der Knochenfunde durch, deren genetische Abstammung nicht mit dem Fundort übereinstimmte – was darauf hindeutet, dass sie oder ihre jüngsten Vorfahren gereist oder gewandert waren. „So konnten wir zeigen, dass es unter den Menschen, die nicht aus dem Gebiet stammten, in dem sie gefunden wurden, gemeinsame Abstammungsmuster gab“, erklärt Pinhasi. Menschen, die in Großbritannien und Irland gefunden wurden, stammten beispielsweise mit großer Wahrscheinlichkeit aus Nord- oder Mitteleuropa und weit weniger wahrscheinlich aus Südwesteuropa oder Nordafrika.
„Die Ausdehnung des Römischen Reichs war ein gewaltiges Unterfangen, das Tausende von Truppen mit Handel, Arbeit, Sklaverei und Zwangsumsiedlung erforderte“, so Clemens Weiss, ebenfalls Co-Leiter der Studie, PhD an der Stanford Medicine und ein ehemaliger Postdoktorand von Jonathan Pritchard, einer der Hauptautor*innen der Studie. „Mit der Ausdehnung des Reiches wurden immer mehr Menschen angezogen und die Mobilität über ganze Kontinente hinweg erhöht“, so Weiss. Während die meisten Analysen antiker DNA eine Streuung der Bevölkerung über viele Generationen hinweg erkennen lassen, zeigen die neuen Ergebnisse, dass viele Menschen dieser Zeit während ihres Lebens große Entfernungen zurücklegten. Die Schlussfolgerung daraus: „Das waren vermutlich die ersten Menschen in der Geschichte, die jemals einen ganz Kontinent bereist haben“, erklärt Ron Pinhasi.
Ging die Mobilität mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches drastisch zurück?
In der Studie wurden vorhandene DNA-Daten von Tausenden von Skelettfunden aus dem Römischen Reich sowie aus Mitteleuropa, Osteuropa und Zentralasien, Großbritannien und Nordeuropa sowie Nordafrika analysiert. Zusätzlich sequenzierten die Wissenschaftler 204 neue Genome aus 53 archäologischen Stätten in 18 Ländern. Die meisten stammten von Personen, die in der Zeit des kaiserlichen Roms und der Spätantike, vom ersten bis zum siebten Jahrhundert v. u. Z., gestorben sind.
Die neuen Daten gaben den Forscher jedoch auch ein Rätsel auf: Hätten sich die Menschen im untersuchten Zeitraum weiterhin so schnell fortbewegt, wären die regionalen Unterschiede allmählich verschwunden. Die Genome der Menschen in Osteuropa zum Beispiel hätten sich nicht mehr von denen in Westeuropa und Nordafrika unterscheiden lassen und umgekehrt. Die meisten dieser Populationen sind jedoch – auch heute noch – genetisch unterschiedlich. Die Hypothese der Wissenschaftler dazu: Die Mobilität der Menschen ging mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches drastisch zurück. „Es gibt nicht genügend Daten aus dieser Zeit, um das mit Sicherheit sagen zu können – das wird nun Inhalt nachfolgender Studien sein“, so Pinhasi.
Meldung der Universität Wien
Originalpublikation:
Antonio ML, Weiß CL, Gao Z, Sawyer S, Oberreiter V, Moots HM, Spence JP, Cheronet O, Zagorc B, Praxmarer E, Özdoğan KT, Demetz L, Gelabert P, Fernandes D, Lucci M, Alihodžić T, Amrani S, Avetisyan P, Baillif-Ducros C, Bedić Ž, Bertrand A, Bilić M, Bondioli L, Borówka P, Botte E, Burmaz J, Bužanić D, Candilio F, Cvetko M, De Angelis D, Drnić I, Elschek K, Fantar M, Gaspari A, Gasperetti G, Genchi F, Golubović S, Hukeľová Z, Jankauskas R, Vučković KJ, Jeremić G, Kaić I, Kazek K, Khachatryan H, Khudaverdyan A, Kirchengast S, Korać M, Kozlowski V, Krošláková M, Kušan Špalj D, La Pastina F, Laguardia M, Legrand S, Leleković T, Leskovar T, Lorkiewicz W, Los D, Silva AM, Masaryk R, Matijević V, Cherifi YMS, Meyer N, Mikić I,
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