Alte DNA schreibt die Geschichte der Verschütteten von Pompeji neu

Forschende der Universität Florenz, der Harvard University und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben durch die Analyse alter DNA bisher gängige Annahmen über die Bewohner Pompejis in Frage gestellt. Im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild lieferte die DNA unerwartete neue Informationen über Geschlecht und Verwandtschaftsverhältnisse und widerlegt eine seit 1748 erzählte Geschichte. Die genetischen Daten unterstreichen außerdem den kosmopolitischen Charakter des Römischen Reiches und zeigen, dass die Bewohner Pompejis hauptsächlich von Einwanderern aus dem östlichen Mittelmeerraum abstammten.

Gruppe von Abgüssen aus dem Haus des Goldenen Armbands. Abgüsse Nr. 50-51-52, Entstehungsjahr 1974.
Gruppe von Abgüssen aus dem Haus des Goldenen Armbands. Abgüsse Nr. 50-51-52, Entstehungsjahr 1974.© courtesy of Archaeological Park of Pompeii

Im Jahr 79 n. Chr. ereignete sich einer der schwersten Ausbrüche des Vesuvs, bei dem die römische Stadt Pompeji und ihre Bewohner unter einer dicken Schicht aus kleinen Steinen und Asche, den so genannten Lapilli, begraben wurden.  Diejenigen, die die erste Phase des Ausbruchs überlebten, erlagen schließlich den gefährlichen pyroklastischen Strömen. Der sich schnell bewegende Strom aus heißen Gasen und vulkanischem Material hüllte ihre Körper sofort in eine feste Ascheschicht ein und konservierte sie wirkungsvoll, einschließlich ihrer Gesichtszüge.

Seit dem 19. Jahrhundert wurden Abgüsse hergestellt, indem Gips in die Hohlräume gegossen wurde, die diese Körper nach ihrem Verfall hinterlassen hatten. Das Forschungsteam extrahierte DNA aus den stark fragmentierten Skelettresten von 14 der 86 berühmten Abgüsse, die gerade restauriert wurden. Auf diese Weise konnten sie die biologischen Verwandtschaftsverhältnisse genau bestimmen, das genetische Geschlecht feststellen und die Abstammung zurückverfolgen. Interessanterweise widersprachen ihre Ergebnisse weitgehend früheren Annahmen, die ausschließlich auf dem äußeren Erscheinungsbild und der Positionierung der Abgüsse beruhten.

„Unsere Studie zeigt, wie die Analyse alter DNA auf archäologischen Daten basierende Interpretationen wesentlich ergänzen kann“, sagt Professor David Caramelli vom Institut für Anthropologie der Universität Florenz. „Die wissenschaftlichen Daten, die wir liefern, stimmen nicht immer mit den gängigen Annahmen überein“, sagt David Reich von der Harvard University. „Ein besonders interessantes Beispiel ist die Entdeckung, dass eine erwachsene Person mit einem goldenen Armreif und einem Kind auf dem Arm nicht, wie traditionell angenommen, eine Mutter mit ihrem Kind war, sondern ein erwachsener Mann mit einem Kind, das nicht mit ihm verwandt war. Weiterhin konnten wir feststellen, dass mindestens eines von zwei Individuen, die bisher als Schwestern oder Mutter und Tochter galten, männlich war. Diese Ergebnisse stellen traditionelle Annahmen über Geschlecht und Familie in Frage.“

Das Römische Reich war kosmopolitisch

Auch über die Abstammung der Bewohner Pompejis und ihre unterschiedliche genomische Herkunft gaben die genetischen Daten Aufschluss. Dass sie hauptsächlich von kürzlich eingewanderten Bevölkerungsgruppen aus dem östlichen Mittelmeerraum abstammten, unterstreicht den kosmopolitischen Charakter des Römischen Reiches.

„Der Pompeji-Park hat seit Jahren die Analyse alter DNA in seine Studienprotokolle aufgenommen - nicht nur von menschlichen Opfern, sondern auch von Tieren“, sagt Gabriel Zuchtriegel, Direktor des Pompeji-Parks. Er erklärt, dass der Park in seinen eigenen Labors eine Vielzahl von Forschungsprojekten durchführt. Dazu gehören Isotopenanalyse, Diagnostik, Geologie, Vulkanologie und vor allem die Rekonstruktion alter Technologien durch Reverse Engineering. Zuchtriegel betont: „All diese Elemente tragen zu einer umfassenden Neuinterpretation der archäologischen Funde bei. Diese Bemühungen machen Pompeji zu einem wahren Inkubator für die Entwicklung neuer Methoden, Ressourcen und wissenschaftlicher Vergleichsstudien“.

Meldung MPG

Originalpublikation:

Elena Pilli, Stefania Vai, Victoria Carley Moses, Stefania Morelli, Martina Lari, Alessandra Modi, Maria Angela Diroma, Valeria Amoretti, Gabriel Zuchtriegel, Massimo Osanna, Douglas J. Kennett, Richard J. George, John Krigbaum, Nadin Rohland, Swapan Mallick, David Caramelli, David Reich, and Alissa Mittnik
Ancient DNA challenges prevailing interpretations of the Pompeii plaster casts
Current Biology, 07 November 2024, DOI: 10.1016/j.cub.2024.10.007

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