Das älteste Kaufhaus nördlich der Alpen dank Augmented Reality erlebbar

In den Jahren 2015 und 2016 wurden der Stendaler Marktplatz und die angrenzenden Straßen grundlegend erneuert. Im Zuge dieser Arbeiten führte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit der Hansestadt Stendal und dem Landkreis Stendal großflächige archäologische Untersuchungen durch. Im Rahmen der Ausgrabungen wurden die Spuren eines 60 Meter langen, sogenannten ›domus mercatorum‹ aus dem frühen 12. Jahrhundert freigelegt. Dank moderner Augmented-Reality-Technik kann dieses beeindruckende Gebäude nun wieder erlebt werden.

Überblick über das Grabungsareal im Jahr 2016 vor dem Rathaus der Hansestadt Stendal
Überblick über das Grabungsareal im Jahr 2016 vor dem Rathaus der Hansestadt Stendal© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Manfred Böhme

Die archäologischen Ausgrabungen 2015/2016

Die grundlegende Erneuerung des Stendaler Marktplatzes sowie angrenzender Straßen in den Jahren 2015 und 2016 ermöglichte die großflächige archäologische Untersuchung des mittelalterlichen Marktareals. Wertvolle personelle Unterstützung erfuhr die Grabung dabei durch eine Integrationsmaßnahme der Hansestadt Stendal und des Landkreises Stendal für Geflüchtete. Im Rahmen der Ausgrabungen wurden die Spuren eines 60 Meter langen, sogenannten ›domus mercatorum‹ aus dem frühen 12. Jahrhundert freigelegt. Dank moderner Augmented-Reality-Technik kann dieses beeindruckende Gebäude nun wieder erlebt werden.

Historischer Hintergrund ›domus mercatorum‹

Der Brandenburger Markgraf Albrecht der Bär stellte um das Jahr 1160 ein Privileg zur Gründung einer Marktsiedlung im damaligen Dorf ›Stendale‹ aus. Die Neugründung erfolgte in der feuchten Niederung der Uchte, einem Nebenfluss der Elbe, und umfasste ein von Gräben abgegrenztes Marktareal von 60 Metern Seitenlänge. Sie knüpfte an eine bereits seit mehreren Jahrzehnten existierende, unmittelbar südöstlich gelegene Siedlung an. Auf der nördlichen Hälfte des Marktplatzes entstanden feste Verkaufsbuden mit darunter befindlichen Vorratsgruben oder Halbkellern. Eine Entwässerung des sandigen Untergrundes erfolgte über Gräben. Bereits 1188 wird von einer ›domus mercatorum‹ in Stendal berichtet. Anhand der archäologischen Befunde kann der Aufbau dieses Gebäudes genau rekonstruiert werden.

Das erste Kaufhaus in Stendal

Das aus Ziegelsteinen errichtete Gebäude gehört zu den frühen profanen Ziegelarchitekturen der Region. Die für den Bau verwendeten Backsteine waren 28 Zentimeter lang, zwölf Zentimeter breit und sieben bis acht Zentimeter dick. Aufgrund des verwendeten Tons, der Feuersteinsplitter enthielt, kam es häufig zu Rissen und Brüchen der Ziegel. Nach Fertigstellung des Kaufhauses blieben größere Mengen an Ziegelbruch sowie Restposten des Baumaterials auf dem Platz, darunter auch Bohlen und Bretter. Anhand von dendrochronologischen Daten einiger qualitativ gut bearbeiteter Bohlen konnte das Jahr 1178 als Baubeginn für die ›domus mercatorum‹ festgestellt werden. Im Verhältnis zu seiner Länge von 60 Metern war das Kaufhaus mit einer Breite von 9,2 Metern recht schmal. Es bestand aus zwei Reihen von jeweils 15 Läden, die zu beiden Seiten einer durchgehenden Mittelwand angeordnet waren. Ein einzelner Laden verfügte über eine fast quadratische Grundfläche von 3,4 Meter Seitenlänge und konnte durch eine schmale Tür von 0,51 Meter Breite betreten werden. Die fensterlosen Läden im Erdgeschoss fungierten als Lager, Kontor und Aufenthaltsraum für die Händler, die ihre Waren auf einem Tisch vor dem Gebäude feilboten. Abgesehen von der durchgehenden Mittelwand waren die Läden nur durch hölzerne Einbauten voneinander getrennt. Jeder Laden hatte eine Herdstelle, die vorzugsweise an der Mittelwand platziert war.

Archäologische Befunde und schriftliche Quellen lassen auf ein massives Obergeschoss aus Ziegelsteinen schließen, wahrscheinlich ein saalartiger Raum mit Fenstern. Dieses über Treppen erreichbare Geschoss war dem Handel mit kostbaren Gütern wie Stoffen, Pelzen und ähnlichem vorbehalten. Überspannt wurde dieses Geschoss von einem Ziegeldach. 

Mit einer Länge von circa 60 Metern muss das Kaufhaus einen imposanten Eindruck auf die Einwohner und Besucher Stendals gemacht haben. Zusammen mit der Marienkirche dominierte es auf lange Zeit den gesamten Platz. 

Mit Beginn des 16. Jahrhunderts wurden die noch erhaltenen Reste der ›domus mercatorum‹ abgerissen, der nachfolgende Bau übernahm keine Bauteile des Ziegelbaus, wodurch dieser in Vergessenheit geriet und erst im Laufe der archäologischen Ausgrabungen durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit der Hansestadt Stendal wiederentdeckt wurde – das älteste dokumentierte Kaufhaus nördlich der Alpen.

Das ›domus mercatorum‹ digital

Auf Grundlage der archäologischen Befunde sowie historischer Quellen hat die Hansestadt Stendal zusammen mit der Firma GEO-METRIK-Ingenieurgesellschaft mbH Stendal und dem LDA Sachsen-Anhalt eine Augumented-Reality-Anwendung erstellt, die es ermöglicht, die Dimensionen und das Aussehen des Kaufhauses per Tablet und/oder Smartphone mittels Scannen eines QR-Codes für den heutigen Betrachter und die heutige Betrachterin am ehemaligen Original-Standort Realität werden zu lassen.

Meldung Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

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