Der Fall Kosenivka – Einzigartige Einblicke in Leben und Tod „steinzeitalter" Großstadtbewohner

Mit bis zu 15.000 Einwohnern gehören die jungsteinzeitlichen Trypillia-Megasiedlungen, entstanden um circa 4.200-3.600 vor unserer Zeitrechnung im heutigen Moldawien und der Ukraine, zu den frühesten und größten stadtähnlichen Ansiedlungen im prähistorischen Europa. Diese außergewöhnliche Siedlungsweise wird seit Jahrzehnten erforscht, etwas Anderes jedoch bleibt ein großes Rätsel: Die Gräber und sterblichen Überreste ihrer zahllosen Bewohner fehlen. Jetzt wurde eine neue Studie durch den Sonderforschungsbereich (SFB) 1266 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) veröffentlich, die einen Einblick in das Leben – und vielleicht auch den Tod – dieser Menschen ermöglicht. Dafür brauchte es nur ein paar Skelettfragmente.

 Die archäologischen Überreste des abgebrannten Wohnhauses, Teil der Siedlung Kosenivka (Ukraine), in dem die menschlichen Skelettreste in den 1980er Jahren gefunden wurden.
Die archäologischen Überreste des abgebrannten Wohnhauses, Teil der Siedlung Kosenivka (Ukraine), in dem die menschlichen Skelettreste in den 1980er Jahren gefunden wurden.© Vladislav Chabanyuk, Staatlich-kulturelles Zentrum „Triploye Kultur“, Legedzyne, Ukraine

Die Knochenfunde stammen aus der Siedlung Kosenivka, einer kleineren Trypillia-Megasiedlung im Gebiet der heutigen Ukraine. Hier wurden in den 1980er Jahren in den Resten eines verbrannten Hauses kleine Skelettfragmente von mindestens sieben Menschen gefunden, die ebenfalls teils verbrannt waren. Die Altgrabung wurde nun von einem interdisziplinären Team des SFB 1266 aufgearbeitet und neu bewertet. 

Dr. Katharina Fuchs, Teilprojektleitende im SFB 1266 an der Uni Kiel und Erstautorin der Studie, verdeutlicht: „Skelettreste sind echte biologische Archive, auch ein kleines Knochenfragment kann etwas zur Lebensgeschichte des Menschen erzählen. Daher sind die Funde von Kosenivka für die Erforschung der Trypillia-Gesellschaften ein absoluter Glücksfall. Bisher einmalig ist auch, dass wir osteologische, paläopathologische und histologische Analysen mit neuen isotopischen, archäobotanischen und archäologischen Informationen zu diesen Bevölkerungen verknüpfen konnten.“ 

 

Dr. Katharina Fuchs, Teilprojektleitende im SFB 1266 und Erstautorin der Studie
Dr. Katharina Fuchs, Teilprojektleitende im SFB 1266 und Erstautorin der Studie Sara Jagiolla/Institut für Ur- und Frühgeschichte

 

Seltene Bestattungssitte oder Tod durch Feuer?

Der untersuchte Fund ist bisher einzigartig. Der Archäologe Dr. Robert Hofmann und die Archäologin Dr. Liudmyla Shatilo, beide Mitglieder des SFB 1266, erklären dazu: „Möglich ist, dass die Praxis der Hausverbrennung damals eine selten praktizierte Form des Bestattungsritus war. Unsere Analysen lassen jedoch darauf schließen, dass diese weniger als ein Prozent der Toten zuteilwurde. In diesem besonderen Fall aber stellt sich die Frage, ob nicht auch ein Brandunfall zum Tod geführt hat.“ Mikroskopische Untersuchungen der Knochenmatrix zeigten, dass die Verbrennung wohl recht schnell nach dem Tod stattfand. Unverheilte Schädelverletzungen wiederum lassen rätseln, ob auch Gewalt eine Rolle gespielt haben könnte.

Wer waren die Verstorbenen?

50 kleine Knochenfragmente haben fast 6.000 Jahre überdauert – die Skelettreste von mindestens sieben Menschen. Professor Dr. Johannes Müller, Sprecher des SFB 1266 und Professur für Ur- und Frühgeschichte und Prähistorische Archäologie an der CAU, betont: „Interessant ist insbesondere, dass es sich bei den Verstorbenen dem Alter und Geschlecht nach um Kinder, Eltern und Großeltern gehandelt haben kann, also möglicherweise um die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses. So ein Nachweis ist absolut selten für die urgeschichtlichen Epochen und ermöglicht eine bessere Rekonstruktion von Bevölkerungsgrößen in vergangenen Gesellschaften“.

Die Skelettreste offenbaren Details aus dem Leben der Verstorbenen, zum Beispiel aßen sie viel Getreide und Gemüse, putzen sie sich die Zähne und litten unter den schon damals üblichen Erkrankungen wie Sinusitis und anderen Entzündungen. Fuchs schließt: „Natürlich sind für uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerade solche Fälle wie der der Trypillia-Gesellschaften eine Herausforderung für unser Verständnis, wie Menschen vor 6.000 Jahren in so einer Großsiedlung lebten. Viele Fragen sind noch offen und es bleibt spannend für die nächsten Skelettfunde.“

Meldung Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Originalpublikation:

Fuchs K, Hofman R, Shatilo L, Schlütz F, Storch S, Chabanyuk V, Kirleis W, Müller J (2024). Life and death in Trypillia times: Interdisciplinary analysis of the unique human remains from the settlement of Kosenivka, Ukraine (3600–3700 BCE). PLOS ONE. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0289769

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