Noch heute erinnern die Überreste des einstigen Klosters Memleben daran, dass der Ort an der Unstrut zu den bedeutendsten historischen Stätten im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt zählt. Als Pfalz und Sterbeort des ostfränkischen Königs Heinrich I. (verstorben 936) sowie von dessen Sohn und Nachfolger, dem römisch-deutschen Kaiser Otto dem Großen (verstorben 973), ging Memleben in die Geschichte ein.
Regelmäßige archäologische Grabungen seit 2017
Bereits seit 2017 finden auf dem Gelände des ehemaligen Klosters in Memleben regelmäßig archäologische Lehr- und Forschungsgrabungen statt. Darüber hinaus steht seit einigen Jahren auch dessen räumliches Umfeld im Zentrum eines großangelegten Forschungsprojektes des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. In seinem Rahmen wurden frühmittelalterliche Burgen und Siedlungen bei Wangen und Wendelstein untersucht sowie systematische Geländebegehungen und geophysikalische Untersuchungen durchgeführt. Mit dieser intensiven landschaftsarchäologischen Betrachtung realisiert das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt ein europaweit einmaliges Forschungsvorhaben zum Verständnis eines ottonischen Zentralortes aus der Epoche des mittelalterlichen Reisekönigtums.
Das Projekt verfolgt das Ziel, nicht nur die Pfalz selbst zu identifizieren und zu erforschen, sondern auch einen tieferen Einblick in die komplexe Infrastruktur eines derartigen Herrschaftszentrums zu erhalten, zu dem nicht nur die aus Palatium, Versammlungshalle und Pfalzkirche bestehende Pfalz selbst gehörte, sondern auch befestigte Plätze beziehungsweise Burgen, gegebenenfalls Marktorte sowie Dienst- und Versorgungssiedlungen. Nicht zuletzt erforderte eine Pfalz auch ein großes agrarisches Hinterland als Basis für den Unterhalt des reisenden Herrschers, seines vielköpfigen Gefolges und seiner Gäste.
Die neu entdeckte befestigte Siedlung nördlich der Unstrut
Bei den Geländesurveys der letzten Jahre gelang gut 1,2 Kilometer nördlich des heutigen Ortes Memleben jenseits der Unstrut die Entdeckung einer befestigten Siedlung, die im Rahmen einer archäologischen Ausgrabung unter der Leitung von Prof. Dr. Felix Biermann vom 2. April bis zum 2. Mai 2024 nun näher untersucht wurde. Geophysikalische Prospektionen und die Ausgrabung ermöglichen bemerkenswerte Einblicke in diese bislang vollkommen unbekannte Fundstätte, von der im Ackerland oberirdisch nichts mehr erkennbar ist.
Ein gut 240 mal 170 Meter großes, rechteckiges Wall-Grabenwerk umgab ein dicht besiedeltes Areal. Tore im Norden und Westen waren wahrscheinlich mit Steinbauten bewehrt. Die aktuellen archäologischen Ausgrabungen konzentrieren sich auf einen Bereich im Westen der Wehranlage, in dem sich die eindrucksvollen Relikte zweier stattlicher Steinbauten erhalten haben.
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Im Mittelalter erhob sich hier eine 16 Meter lange, einschiffige Kirche mit einer halbrunden Apsis im Osten und einem unterkellerten Anbau im Westen, der einen Treppenzugang besaß. Die Kirche ersetzte einen älteren, kleineren Sakralbau von lediglich gut 8 Metern Länge. Dazu gehörte ein dicht belegter Friedhof, dessen Gräber vielfach die für das 10. bis 12. Jahrhundert charakteristischen Kopfnischen sowie steingesetzte Sarkophage zeigen. Im rechten Winkel zur Kirche wurde ein großer steinerner Wohnbau von mindestens 17 mal 6,5 Meter Fläche angetroffen. Er wies sehr starke Mauern auf und erfuhr im Laufe seiner Nutzungsgeschichte mehrfache Um- und Anbauten. In seinen Ruinen wirkten im späten Mittelalter Metallhandwerker, die etliche Öfen hinterließen. Die Besiedlung im Umfeld der Steinbauten wird durch ein Grubenhaus und diverse Wirtschaftsgruben belegt.
Das reichhaltige Fundmaterial verweist die Besiedlung in das 9./10. bis 14. Jahrhundert. Hervorzuheben sind neben slawischer wellenverzierter Keramik und einer Kreuzemail-Scheibenfibel der Ottonenzeit auch die für das hohe und späte Mittelalter typischen Kugeltöpfe, ferner bronzene Messerscheidenbeschläge, Projektile von Armbrustbolzen, mittelalterliche Silbermünzen, ein gotischer Schlüssel sowie ein spätmittelalterliches Pilgerzeichen mit der Darstellung eines gekrönten Herrschers.
Bewertung und Ausblick der aktuellen Forschung
Die aktuellen Forschungen erbrachten eine bedeutende Siedlung mit einer eindrucksvollen Befestigung, dichter Wohnbebauung, Hinweisen auf die Ausübung von Handwerk und zwei bemerkenswerten Steinbauten. Bereits die bisherigen Ergebnisse fügen dem Gesamtbild der Mikroregion um Memleben wichtige Einblicke hinzu, auch wenn verschiedene Fragen derzeit noch nicht abschließend geklärt werden können und der nachfolgenden Auswertung sowie weiteren Feldforschungen vorbehalten bleiben. Von besonderer Bedeutung ist dabei insbesondere die naturwissenschaftliche Datierung des entnommenen Probenmaterials, von der eine präzise chronologische Einordnung der steinernen Bauwerke und damit eine genauere siedlungs- und kulturgeschichtliche Kontextualisierung zu erwarten ist.
Von großer Wichtigkeit ist die Klärung der Beziehung des Fundplatzes zu dem im letzten Jahr im Bereich des Klosters archäologisch erfassten ottonischen Vorgängerbau der Monumentalkirche Ottos II. Dasselbe gilt für eine mögliche Identifizierung der Siedlung mit einem der schriftlich überlieferten, im späten Mittelalter aufgegebenen Orte (Wenigen-) Memleben und Odesfurt (Ottofurt). Beide werden bereits im Hersfelder Zehntverzeichnis des 9. Jahrhunderts erwähnt. Die nördlich der Unstrut gelegene, im späten Mittelalter mit dem Zusatz ›Klein-‹ oder ›Wenigen-‹ bezeichnete Siedlung Memleben (Gut oder Erbe einer Person namens Mimo) wird immer wieder als Keimzelle des frühmittelalterlichen Siedlungszentrums interpretiert und zieht auch als möglicher Standort der ottonischen Pfalz das Forschungsinteresse auf sich. In Odesfurt wird 1179 eine Andreaskirche genannt. In beiden Orten bestanden später Gutshöfe (Grangien) der Klöster Memleben und Pforta (Schulpforte).
Meldung des Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt