„Frankfurter Silberinschrift“ - Ältestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen

Bei archäologischen Grabungen auf dem Frankfurt Stadtgebiet in Praunheim wurde vor einiger Zeit ein Gräberfeld aus dem 3. Jahrhundert freigelegt. Die Archäologen entdeckten dabei in einem der Gräber ein vollständiges Skelett und einen Tonkrug sowie einen Räucherkelch als sakrale Beigaben. Erst beim Reinigen der Knochen erkannten die Forschenden eine Amulettkapsel, die sich nun als Sensationsfund entpuppte. Der Archäologe und Experte für lateinische Inschriften Prof. Dr. Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität hat zusammen mit dem Kirchenhistoriker Prof. Dr. Wolfram Kinzig von der Universität Bonn und weiteren Forschenden die Inschrift entschlüsselt.

Tomographie-Aufnahme der Frankfurter Silberinschrift
Tomographie-Aufnahme der in der Amulettkapsel enthaltenen Schriftrolle.© Leibniz-Institut für Archäologie in Mainz (LEIZA)

Ein kleines, gerade einmal 3,5 cm großes Silberamulett, darin eingerollt eine dünne Silberfolie mit einer geheimnisvollen Ritzung: Die „Frankfurter Silberinschrift“. Diese 18 Zeilen, da sind sich Expertinnen und Experten einig, werden die bisherige Forschung über die Ausbreitung des Christentums und die Spätzeit der römischen Herrschaft rechts des Rheins enorm bereichern. Die Inschrift konnte dank modernster Computertomographie- Technik entschlüsselt werden. Sie zeigt: Der Träger des Amuletts war eindeutig ein gläubiger Christ, was für diese Zeit absolut außergewöhnlich ist. 

„Die Praunheimer Silberinschrift ist eines der ältesten Zeugnisse für die Verbreitung des Neuen Testaments im römischen Germanien, denn sie zitiert Philipper 2,10-11 in lateinischer Übersetzung“, sagt Kinzig. „Sie zeigt eindrucksvoll, wie biblische Zitate zu magischen Zwecken verwendet wurden, um die Verstorbenen zu schützen.“ Die Inschrift enthalte außerdem wichtige Hinweise auf die frühe Entwicklung liturgischer Formeln aus einer Zeit, aus der keine vollständigen lateinischen Liturgien erhalten sind. „Sie ist darum von unschätzbarem Wert für die Geschichte der Bibel wie des christlichen Gottesdienstes“, sagt der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Wolfram Kinzig der Universität Bonn.

Das Besondere ist das Alter des Fundes. Denn das Grab, in dem das Amulett gefunden wurde, wird auf den Zeitraum zwischen 230 und 270 n.Chr. datiert. Einen so frühen, authentischen Nachweis reinen Christentums nördlich der Alpen gab es bisher noch nicht. Alle Funde sind mindestens rund 50 Jahre jünger. Zwar gibt es Hinweise aus der Geschichtsschreibung auf erste christliche Gruppen in Gallien und vielleicht auch in der Provinz Obergermaniens im späten 2. Jahrhundert. Sichere Nachweise für christliches Leben in den nordalpinen Gebieten des Römischen Reiches stammen in der Regel aber erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.

Grabung und Fundort

Gefunden wurde die Amulettkapsel im Jahr 2018 im Nordwesten vor den Toren Frankfurts in der Frankfurter Römerstadt NIDA, der römischen Vorgängerstadt der heutigen Main-Metropole. Sie ist/war eine der größten und bedeutendsten archäologischen Fundstätten in Hessen. Das Silberamulett befand sich in einem römischen Grab des 3. Jahrhunderts im Gräberfeld „Heilmannstraße“ in Frankfurt-Praunheim.

Konservierung, Restaurierung und digitale Entrollung

Im Archäologischen Museum Frankfurt wurde der Fund konservierungswissenschaftlich aufbereitet und restauratorisch bearbeitet. Schon während der Ausgrabung war klar: Das Silber-Amulett enthält eine dünne Silberfolie mit Inschrift. Das zeigten bereits mikroskopische Untersuchungen und Röntgenaufnahmen im Jahr 2019. Doch es sollte noch dauern, bis der Text zweifelsfrei entziffert werden konnte. Die hauchdünne Silberfolie selbst ist durch die lange Zeit im Boden zu spröde und brüchig, um sie einfach aufzurollen. Sie würde bei Versuchen, sie aufzurollen auseinanderfallen. Erst die Durchleuchtung mit einem hochmodernen Computertomographen im Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA) brachte im Mai 2024 schließlich den Durchbruch. „Die Herausforderung in der Analyse bestand darin, dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach rund 1800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war. Mittels des CTs konnten wir es in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modell erstellen“, berichtet Dr. Ivan Calandra, Laborleiter für bildgebende Verfahren am LEIZA. Das LEIZA wendete zudem eine für dieses Objekt spezielle Analysemethode an und setzte daraufhin einzelne Segmente des Scans virtuell Stück für Stück aneinander, sodass alle Worte sichtbar wurden. Erst durch diese digitale Entrollung konnte der gesamte Text entschlüsselt werden.

Die Lesung der Inschrift

Wie bei einem Puzzle hat der Archäologe und Experte für lateinische Inschriften Prof. Dr. Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität sich an die Arbeit gemacht und schließlich die 18 Zeilen der „Frankfurter Silberinschrift“ entschlüsselt. „Manchmal hat es Wochen, ja Monate gedauert bis ich den nächsten Einfall hatte. Ich habe Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen und Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert“. Durch die Bodenlagerung gingen einzelne Randpartien verloren. Die Ergänzung der betreffenden Textpassagen bleibt diskutabel.
Außergewöhnlich ist, dass die Inschrift komplett auf lateinisch gehalten ist. „Das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst“, erklärt Scholz. Zudem ist der Text sehr ausgefeilt. Der Verfasser muss ein elaborierter Schreiber gewesen sein.

Die „Frankfurter Silberinschrift“ übersetzt ins Deutsche (Stand: 04.12.2024)

(Im Namen?) des Heiligen Titus. Heilig, heilig, heilig! Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn! Der Herr der Welt widersetzt sich nach [Kräften?] allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?). Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden Eintritt. Dieses Rettungsmittel(?) schütze den Menschen, der sich hingibt dem Willen des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn, da sich ja vor Jesus Christus alle Knie beugen: die Himmlischen, die Irdischen und die Unterirdischen, und jede Zunge bekenne sich (zu Jesus Christus).

Bedeutung für die Wissenschaft

Die Auswertung der Bedeutung des Fundes durch Fachleute für das frühe Christentum und Theologinnen und Theologen steht erst am Anfang. Einige der im Text enthaltenen Formulierungen waren bislang erst viele Jahrzehnte später bezeugt. So findet sich am Anfang der „Frankfurter Silberinschrift“ eine Nennung des Heiligen Titus, eines Schülers und Vertrauten des Apostel Paulus. So wie die eigentlich erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. in der christlichen Liturgie bekannte Anrufung „Heilig, heilig, heilig!“ (Trishagion). Der Text enthält am Ende mit „Die Knie beugen“ zudem ein fast wörtliches Zitat aus dem sog. Christushymnus des Paulus aus seinem Brief an die Philipper (hier: Phil. 2, 10-11).

Die „Frankfurter Silberinschrift“ ist somit eines der bedeutendsten Zeugnisse des frühen Christentums weltweit. Ihre Entdeckung eröffnet für die Archäologie, die historischen Wissenschaften und die Theologie eine Vielzahl neuer Fragestellungen. Zusammen mit der Auswertung des gesamten Gräberfeldes „Heilmannstraße“ modifizieren diese Ergebnisse manche bislang in der Forschung gängigen Vorstellungen vom Ende des rechtsrheinischen Limesgebiets in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. und verdeutlichen die herausragende Stellung von NIDA innerhalb des römischen Germaniens. Die Stadt NIDA war ein administratives, wirtschaftliches und religiöses Zentrum im Hinterland des Obergermanischen Limes und bis zu ihrer Aufgabe um 270/275 n. Chr. die bedeutendste römische Stadt rechts des Rheins, gekennzeichnet durch eine außergewöhnliche kulturelle und religiöse Vielfalt.

Meldung Stadt Frankfurt / Universität Bonn

 

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