Die Wissenschaftler analysierten mehr als 20.000 Metallgegenstände aus über 1000 Horten, die zwischen etwa 2300 v.Chr. und 800 v.Chr. in Italien, der Schweiz, Österreich, Slowenien und Deutschland vergraben wurden. Mit Hilfe eines statistischen Verfahrens fanden sie heraus, dass Metallgegenstände ab etwa 1500 v.Chr. absichtlich zersplittert wurden, um ein Vielfaches der Gewichtseinheit von etwa 10 Gramm zu erhalten – eine Einheit, die überall in Europa verwendet wurde. Dies deutet darauf hin, dass Metallfragmente als Geld im Umlauf waren.
Ein Vergleich der statistischen Verteilung der täglichen Ausgaben von Haushalten – also wie viel in verschiedenen Beträgen ausgegeben wurde – im prähistorischen Europa mit modernen westlichen Volkswirtschaften zeigte, dass die Gewichtswerte des Metallgeldes damals die gleiche statistische Verteilung der täglichen Ausgaben aufwiesen wie in einem modernen westlichen Haushalt: kleine alltägliche Ausgaben machten die große Mehrheit der Ausgaben aus, während größere Ausgaben vergleichsweise selten waren. Das wahrscheinlichste Szenario zur Erklärung der prähistorischen Daten ist nach Ansicht der Autoren ein Wirtschaftssystem, das durch Angebot und Nachfrage reguliert wird und an dem alle Menschen proportional zu ihrem Einkommen beteiligt sind – das heißt, eine Marktwirtschaft.
Marktwirtschaft noch vor der Staatenbildung
Die prähistorische Wirtschaft stellt man sich gemeinhin als ein primitives System vor, das auf Tauschgeschäften und dem Austausch von Geschenken beruhte, wobei das Marktsystem als eine Art evolutionärer Meilenstein irgendwann während der Entstehung der „fortschrittlicheren“ westlichen Gesellschaften auftauchte. Die Studie stellt diese Vorstellung in Frage, indem sie zeigt, dass der Markt nicht nur vor der Erfindung des formellen Münzwesens existierte, sondern sogar lange, bevor es irgendeine Form des Staates in Europa gab. „Wir sind daran gewöhnt, die Marktwirtschaft als ein Produkt der Moderne zu betrachten, als eine Innovation, die das Leben und das Denken der Menschen sofort nach ihrem Erscheinen tiefgreifend verändert hat“, erklärt Dr. Nicola Ialongo vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es sie schon immer gegeben haben könnte. In gewisser Weise könnte man es sogar als eines der vielen Verhaltensmerkmale betrachten, die uns als Menschen ausmachen, wie beispielsweise Krieg und Ehe.“
„Unsere Ergebnisse widersprechen einigen seit Langem bestehenden Annahmen in der Archäologie, Ökonomie und Anthropologie“, ergänzt Giancarlo Lago von der Abteilung für Kulturerbe der Universität von Salento. „Sie deuten auch darauf hin, dass viele der Unterschiede, die wir zwischen westlichen und vermeintlich primitiven Kulturen sehen, nicht so gravierend sind, wie wir vielleicht denken.“
Meldung der Universität Göttingen
Originalveröffentlichung:
Nicola Ialongo, Giancarlo Lago. Consumption patterns in prehistoric Europe are consistent with modern behaviour. Nature Human Behaviour 2024. www.nature.com/articles/s41562-024-01926-4.