Lockere Zähne, eitriges Zahnfleisch, fauliger Atem: Die charakteristischen Symptome von Skorbut werden meist mit dem Zeitalter der Segelschifffahrt und der großen Entdeckungsreisen in Verbindung gebracht. Ausgelöst durch einen Mangel an Vitamin C starben damals Zehntausende von Seeleuten an der „Pest der Meere“.
Neue archäologische Analysen aus dem frühmittelalterlichen Jauntal in Südösterreich werfen ein neues Licht auf die Häufigkeit von Skorbut in alpinen Regionen und geben interessante Einblicke in die Ernährungsgewohnheiten und den Gesundheitszustand der Menschen jener Zeit.
Untersucht wurden die Skelette von 86 nicht erwachsenen Individuen aus drei frühmittelalterlichen Siedlungen. Die Forscherinnen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konzentrierten sich dabei auf morphologische Merkmale, die auf Skorbut hinweisen, und analysierten diese sowohl makroskopisch als auch unter 20- bis 40-facher Vergrößerung.
Das Ergebnis war eindeutig: Ungeborene (46%, 6 von 13 Individuen) und Säuglinge (27,5%, 8 von 28 Individuen) wiesen eine hohe Prävalenz von Skelettmerkmalen auf, die auf Skorbut hindeuten. Bei Jugendlichen und Erwachsenen wurde dagegen kein Skorbut festgestellt.
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Kindheit und Jugend in Bayern im frühen Mittelalter
Neue Untersuchungen zeigen, dass Kinder im frühen Mittelalter Bayerns teilweise viel länger gestillt wurden als heute. Zudem stammen viele Frühbayern, die um 500 nach. Chr. im Alpenvorland bestattet wurden, ursprünglich offenbar aus ganz anderen Herkunftsgebieten, wo sie auch anders ernährt wurden. Ein Forscherteam um die SNSB-Anthropologin Michaela Harbeck und und LMU-Doktorandin Maren Velte analysierte für ihre Studie menschliche Zähne aus diversen archäologischen Fundstätten in Bayern.
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„Unsere Studie zeigt, dass Skorbut in dieser alpinen Region vor allem rund um die Geburt, bei Säuglingen und Kleinkindern häufig auftritt“, sagt die Bioarchäologin Magdalena Srienc-Ściesiek. Sie ist Erstautorin der Studie und forscht am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW. Dass vor allem Kinder unter drei Jahren betroffen sind, hängt wahrscheinlich mit dem Abstillen und dem allgemeinen Gesundheitszustand der stillenden Mutter zusammen. Srienc-Ściesiek: „Alles deutet darauf hin, dass saisonale Schwankungen in der Ernährung mögliche Auslöser für diesen Vitamin-C-Mangel waren“, so die Forscherin.
Die Unterbrechung der Handelswege infolge des Untergangs der römischen Provinz Noricum könnte zu einem Mangel an verfügbaren Nahrungsmitteln beigetragen haben. Interessanterweise wurde der Mangel nicht nur bei sehr kleinen Kindern festgestellt. Vier Fälle von Skorbut traten bei Kindern im Alter von etwa zehn Jahren auf, also lange nach der Abstillphase. Die historisch gesehen kohlenhydratlastige Einführung fester Nahrung bei Kindern könnte zu einseitiger Ernährung geführt haben.
Oder haben sich Erwachsene anders ernährt als Kinder? Für Srienc-Ściesiek ist es wahrscheinlicher, dass die Knochen von Kindern aufgrund des höheren Knochenumsatzes in ihren wachsenden Skeletten saisonale Mangelerscheinungen schneller erkennen lassen als die von Erwachsenen.
„Die zooarchäologischen und archäobotanischen Untersuchungen im Tal deuten auf eine Verschiebung der Ernährungsmuster hin“, erklärt die Bioarchäologin. Und: „Weitere biomolekulare Studien werden dazu beitragen, die Unterschiede zwischen der Ernährung von Erwachsenen und Kindern genauer zu ermitteln“, sagt Srienc-Ściesiek.
Meldung des ÖAW
Originalpublikation
Magdalena T. Srienc-Ściesiek, Nina Richards, Sabine Ladstätter, Sylvia Kirchengast, Evidence of non-adult vitamin C deficiency in three early medieval sites in the Jaun/Podjuna Valley, Carinthia, Austria, International Journal of Paleopathology, Volume 45, 2024, Pages 18-29.
DOI: 10.1016/j.ijpp.2024.02.002