Die Ausbreitung der Landwirtschaft in Mitteleuropa fand im sechsten Jahrtausend vor Christus statt. Innerhalb weniger Generationen breiteten sich Bauern aus dem Balkanraum das Donautal hinunter bis ins heutige Frankreich und ostwärts bis ins heutige Ungarn und die Ukraine aus. Deren kulturellen Spuren sind in diesem Gebiet einheitlich und erstrecken sich über Tausende von Kilometern – das Fehlen genetischer Daten von mehreren Familien macht es jedoch schwierig zu verstehen, ob diese Gemeinschaften in sozialer Gleichheit lebten, oder zu beurteilen, welche Individuen diejenigen waren, die über den Kontinent wanderten.
Ein Forschungsteam aus mehr als 80 Genetikern, Anthropologen und Archäologen, das die sozialen Merkmale der so genannten Linearbandkeramik-Kultur (LBK) untersucht, hat neue genetische Daten von mehr als 250 Individuen mit umfangreichen Datensätzen verknüpft: Knochenuntersuchungen, Radiokarbondatierungen, Grabbeigaben und Ernährungsdaten. Die Untersuchung der genetischen Beziehungen zwischen diesen neolithischen Individuen hat gezeigt, dass sich die LBK-Menschen innerhalb weniger Generationen über Hunderte von Kilometern ausgebreitet haben. Erstautor Pere Gelabert vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien sagt: "Wir konnten entfernte Verwandte in der Slowakei und andere in Westdeutschland identifizieren, die mehr als 800 km entfernt lebten."
Fehlende soziale Schichtung
"In dieser Studie", erklärt der korrespondierende Autor Ron Pinhasi, "berichten wir zum ersten Mal, dass sich die Familien an den untersuchten Fundorten Nitra in der Slowakei und Polgár-Ferenci-hát in Ungarn weder in Bezug auf die konsumierte Nahrung noch auf die Grabbeigaben oder ihre Herkunft unterschieden. Dies deutet darauf hin, dass die Bewohner dieser neolithischen Stätten nicht nach Familie oder biologischem Geschlecht unterteilt waren, und wir können keine Anzeichen von Ungleichheit im Sinne eines unterschiedlichen Zugangs zu Ressourcen oder Raum feststellen."
Brutalität in der Steinzeit
Die LBK-Kultur endete um 5.000 v. Chr., und es wurden seitdem verschiedene Hypothesen über ihren Untergang aufgestellt. Einige gehen davon aus, dass es sich um eine Zeit der sozialen und wirtschaftlichen Krisen handelte, die oft von Episoden weit verbreiteter Gewalt begleitet war. Eines der bekanntesten Ereignisse ist das Massaker von Asparn-Schletz (Niederösterreich), bei dem über 100 Skelette aus einem Grabensystem geborgen wurden. Zusammen mit Herxheim (Deutschland) stellt dieser Fundort eine der größten bekannten Ansammlungen gewaltsam getöteter Individuen während des Frühneolithikums dar, wobei die Skelette Anzeichen von Gewalt und multiple Frakturen aufweisen. Pere Gelabert dazu: "Unsere detaillierte genetische Untersuchung der Individuen von Asparn-Schletz hat gezeigt, dass weniger als 10 genetisch miteinander verwandt sind, was die Hypothese widerlegt, dass das Massaker eine einzige Population repräsentiert." Frühere anthropologische Studien, die von einem Team von Bioanthropologen unter der Leitung von Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum Wien durchgeführt wurden, hatten ergeben, dass es unter den Opfern keine jungen Frauen gab, und die neuen Daten bestätigen das Fehlen von Verwandten. Die Tatsache, dass viele Kinder unter den Opfern waren, lässt viele Interpretationen dieses bemerkenswerten Ereignisses neolithischer Gewalt zu.
Meldung Universität Wien
Originalpublikation:
Gelabert, P., Bickle, P., Hofmann, D. et al. Social and genetic diversity in first farmers of central Europe. Nat Hum Behav (2024). https://doi.org/10.1038/s41562-024-02034-z