Weiterer Ortsteil von Rungholt nachgewiesen

Eine achttägige Forschungsfahrt bringt neue Erkenntnisse zur Besiedlungsgeschichte des nordfriesischen Wattenmeeres am mittelalterlichen Handelsplatz Rungholt, der 1362 bei einer Sturmflut unterging. Das nordfriesische Wattenmeer ist nicht nur ein faszinierender Naturraum mit reicher Tier- und Pflanzenwelt. Es ist auch ein historischer Siedlungsraum, in dem Forschende heute untersuchen können, wie Menschen angesichts der Bedrohung durch das Meer in früheren Zeiten gelebt und gewirtschaftet haben.

Untersuchungen des mittelalterlichen Rungholt
Mit Hilfe geomagnetischer Messungen konnten Spuren von 19 bislang unbekannten mittelalterlichen Warften im Wattenmeer nachgewiesen werden.© Jan Steffen, Cluster ROOTS/Uni Kiel

Ein interdisziplinäres Team des Instituts für Geowissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Exzellenzclusters ROOTS an der CAU, des Leibniz-Zentrums für Archäologie am Standort Schleswig (LEIZA-ZBSA), sowie des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein (ALSH) hat jetzt während einer achttägigen Forschungskampagne im Wattenmeer vor Nordstrand mit geophysikalischen Messungen Spuren von 19 bislang unbekannten mittelalterlichen Wohnhügeln, sogenannten Warften, entdeckt. „Damit hat sich die Zahl der uns bekannten, im Mittelalter untergegangenen Wohnplätze in diesem Gebiet deutlich erhöht. Wir konnten eine entscheidende Lücke im Wissen über die damalige Siedlungsstruktur schließen“, sagt die Geophysikerin Sarah Bäumler von der CAU.

Vor mehr als 650 Jahren zerstörten Sturmfluten die Edomsharde und Rungholt

Das Watt westlich von Nordstrand, in dem das Team gearbeitet hat, wird mit dem historischen, bei der Sturmflut von 1362 zerstörten Verwaltungsbezirk Edomsharde in Verbindung gebracht. Auch der später mythologisch überhöhte Ort Rungholt soll Teil dieser Harde gewesen sein.

Erst im vergangenen Jahr konnte das Team dort mit geophysikalischen Methoden, Bohrungen und Grabungen den Grundriss einer 40 Meter langen und 15 Meter breiten Kirche nachweisen. „Die Ausmaße entsprechen denen anderer großer Kirchen in Nordfriesland”, erläutert Bente Sven Majchczack, Archäologe im Exzellenzcluster ROOTS, „wir können also davon ausgehen, dass es eine Hauptkirche der Edomsharde war.“

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Einbauen Artikelverweis: https://www.herder.de/wbg-magazine/aktuelles/2023/vermisst-seit-1362-untergegangene-kirche-von-rungholt-im-nordfriesischen-wattenmeer-lokalisiert/

Als Teil der diesjährigen Kampagne hat das Team sieben Grabungen von ein mal ein Meter Größe an entscheidenden Stellen des Kirchengrundrisses durchgeführt, um die Messungen aus dem vergangenen Jahr zu verifizieren und weitere Informationen über die Konstruktion des Kirchenfundaments zu erhalten.

Bohrungen in dem Arbeitsgebiet bringen zusätzlich neue Erkenntnisse über die Entwicklung der Landschaft über Jahrtausende hinweg und geben so auch eine Vorstellung von ihrem Aussehen im Mittelalter. „Wir können auf diese Weise unter anderem Aussagen darüber treffen, welche Veränderungen die Menschen hier verursacht haben. Es gibt zum Beispiel Hinweise, dass das Land durch Torfabbau tiefer gelegt wurde und Sturmfluten so ein leichteres Spiel hatten“, erläutert die Geographin Hanna Hadler von der JGU.

Entscheidende Lücke im Wissen über mittelalterliche Siedlung geschlossen

Schon 2017 konnten einige der heutigen Teammitglieder in einem südlicher gelegenen Bereich einen Deich, einen Hafen und mehrere Warften nachweisen. „Die jetzt neu entdeckten Warft-Spuren schließen die Lücke zwischen dem Hafenareal und dem Kirchgebiet. Was wir schon vermutet hatten trifft also zu: Das heutige Watt war damals großflächig dicht besiedelt“, sagt Ruth Blankenfeldt vom LEIZA-ZBSA.

Dafür sprechen auch etliche Einzelfunde von Formziegeln, Metallgegenständen und mittelalterlicher Keramik, die die Forschenden und freiwillige Helfer während der Kampagne im Watt sichern und dokumentieren konnten. 

Viele Fragen bleiben noch offen

Dennoch wahren das nordfriesische Wattenmeer und die ehemaligen Siedlungen dort noch viele Geheimnisse. Die Forschung in diesem speziellen Naturraum ist zeitintensiv und anstrengend. Die Forscherinnen und Forscher müssen jeden Tag rund eineinhalb Stunden über Schlamm und Schlick marschieren, um ihr Arbeitsgebiet zu erreichen, und dabei die gesamte Ausrüstung mitnehmen. Rund um Niedrigwasser bleiben dann nur wenige Stunden Arbeitszeit, die intensiv genutzt werden.

„Dementsprechend können wir bei jeder Kampagne nur ein begrenztes Pensum schaffen und nach wie vor bleiben viele Fragen zur den einstigen Siedlungsstrukturen offen“, sagt der Geophysiker Dennis Wilken von der CAU.

Gemeinsame Meldung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Exzellenzclusters ROOTS, des Leibniz-Zentrums für Archäologie am Standort Schleswig (LEIZA-ZBSA), sowie des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein (ALSH)

https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/097-rungholt

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