Im Rahmen des Exzellenzclusters ROOTS der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben Ökonomen und Archäologen nun erstmals Belege für die Ungleichheit innerhalb der Oberschicht der Gesellschaft in Mitteleuropa während der ersten 4000 Jahre vor unserer Zeitrechnung erbracht. „In unserer Studie können wir den Wohlstand einzelner prähistorischer Menschen einordnen. Diese Perspektive erlaubt völlig neue Einblicke in die Wohlstandsunterschiede innerhalb der damaligen Oberschicht der Gesellschaften“, erklärt Johannes Marzian vom Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und Mitglied des Exzellenzclusters ROOTS. Er ist einer der beiden Hauptautoren der Studie, die jetzt im Fachjournal Humanities & Social Sciences Communications erschienen ist .
Einzigartiger Datensatz zu individuellen prähistorischen Bestattungen
Um Einblicke in die Dynamik der Vermögensungleichheit im prähistorischen Mitteleuropa zu gewinnen, sammelte das Team Daten zur Größe und Struktur von 5.000 einzelnen Grabhügeln. Anschließend berechneten die Autoren das Volumen dieser Grabhügel als Maß für den Reichtum der bestatteten Personen.
„Der Datensatz erlaubt es uns, nicht nur materiellen Reichtum zu messen, sondern auch die Einbindung einer Person in Netzwerke oder den Einfluss innerhalb einer Gemeinschaft. Wer einen größeren Grabhügel errichten konnte als sein Nachbar, hatte offensichtlich eine größere ökonomische und politische Fähigkeit, Menschen und Ressourcen zu mobilisieren“, erklärt der zweite Erstautor Dr. Julian Laabs, der mittlerweile Juniorprofessor für Digitale Archäologie an der Universität Leipzig ist.
Neben den Daten zu den Grabhügeln flossen auch Angaben zur Zahl der in Flach- und Sammelgräbern bestatteten Personen in die Untersuchung ein. Diese Informationen nutzten die Autoren, um die Größe des oberen gesellschaftlichen Segments im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung abzuschätzen.
Die Ungleichheit innerhalb der oberen sozialen Schicht hat im Untersuchungszeitraum zugenommen
Die anschließende Datenanalyse zeigte, dass über die gesamten untersuchten 4.000 Jahre hinweg ein hohes Maß an Ungleichheit unter den in Hügeln begrabenen Individuen herrschte. Allerdings schwankte das Ausmaß der Ungleichheit. „Wir konnten diese Veränderungen im Zeitverlauf mit bestimmten technologischen Fortschritten, Klima- und Bevölkerungsveränderungen oder soziopolitischen Veränderungen in Verbindung bringen“, sagt Julian Laabs. Insgesamt zeige sich jedoch ein zunehmender Trend der Ungleichheit innerhalb des oberen gesellschaftlichen Segments.
Natürlich erfasst die Studie nicht die Ungleichheit in der gesamten Gesellschaft. „Aber Ungleichheit und die daraus resultierenden Spannungen im oberen gesellschaftlichen Segment können Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben“, erklärt Johannes Marzian.
Zahlreiche Möglichkeiten, weitere Einblicke in die Ungleichheit in der Vergangenheit zu gewinnen
Mit der Studie geben die Autoren einen ersten Überblick über die Ungleichheit innerhalb der oberen Gesellschaftsschicht im prähistorischen Mitteleuropa. „Wir sehen sie als ersten Schritt und Ausgangspunkt für weitere Forschungen. So wäre es beispielsweise interessant, andere Regionen zu untersuchen und den Untersuchungszeitraum auszuweiten. Auch über die Ungleichheit in anderen Gesellschaftsschichten und ihre Ursprünge wissen wir wenig“, betont Johannes Marzian. Julian Laabs ergänzt: „Unser Datensatz ist öffentlich zugänglich und wir laden Forscher ein, ihn für ihre eigene Forschung zu nutzen. Denn das Feld der antiken und prähistorischen Ungleichheit hat noch viele offene Fragen und kann uns einzigartige Erkenntnisse liefern, die helfen, aktuelle Entwicklungen besser zu verstehen.“
Meldung von Roots cluster of excellence