Die kürzlich veröffentlichte Studie „Settlement, Mobility, and Land Use in the Birecik-Carchemish Region“ von Dr. Andrea Ricci (Exzellenzcluster ROOTS an der Universität Kiel) zeigt, dass entgegen der bisherigen archäologischen Fokussierung auf die großen Siedlungen entlang des Mittellaufs des Euphrats, kleine, abseits des Flusses gelegene Dörfer eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Siedlungsmuster in der Region spielten. Diese weniger untersuchten Dörfer, die in der bisherigen Forschung oft übersehen wurden, erwiesen sich als wichtige Faktoren für das Verständnis der Siedlungsgeschichte und der Umweltdynamik zwischen dem 5. und dem 3. Jahrtausend v. u. Z. Die neue Studie ist als Band 49 der wissenschaftlichen Buchreihe „Subartu“ erschienen.
Die Forschung von Dr. Ricci konzentriert sich auf die Abschnitte des Euphrats, in denen der Fluss das anatolische Hochland verlässt und die nordmesopotamischen Ebenen erreicht. Diese Abschnitte befinden sich heute in der südöstlichen Türkei und in Nordsyrien. Vor dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs hatte der Autor die Gelegenheit, dort gemeinsam mit internationalen Kollegen umfangreiche Feldstudien durchzuführen.
„Es ist seit langem bekannt, dass Keramik aus dem 4. Jahrtausend, die typisch für die Stadt Uruk und andere verwandte städtische Zentren und Stätten in Südmesopotamien ist, in Nordmesopotamien gefunden wird. Es wird aber intensiv darüber diskutiert, ob Uruk Kolonien beziehungsweise Handelssiedlungen im Norden gründete oder inwieweit die Menschen im nördlichen Mesopotamien die keramischen Techniken und Formen aus dem Süden zusammen mit anderen soziokulturellen Merkmalen übernahmen", erklärt Dr. Ricci.
Siedlungsnetz größer als bislang bekannt gewesen
Der Archäologe kartierte Funde und dokumentierte neu entdeckte Siedlungsplätze bis zu einer Entfernung von fast 20 Kilometern vom Euphrat. Mit Hilfe von Satelliten-Fernerkundungsmethoden untersuchte er zudem noch größere Gebiete auf beiden Seiten des Euphrat. Die Auswertung dieser Daten zeigt, dass es entlang des untersuchten Euphratabschnitts viel mehr Siedlungen aus der Zeit zwischen 5000 und 2000 v. u. Z. gab als bisher bekannt. Die meisten von ihnen befanden sich kilometerweit vom Fluss entfernt. Und sie existierten bereits, bevor die mit Uruk in Zusammenhang stehende Keramik dort auftauchte, und sie existierten auch später weiter.
„Die Untersuchung dieser kleineren Siedlungen bietet zweifellos eine neue Perspektive, die die Erkenntnisse aus den gut dokumentierten größeren Siedlungen am Flussufer ergänzt. Dieser ganzheitliche Ansatz ist entscheidend für das Verständnis der Siedlungsmuster und der Landnutzung in einer Region, die durch minimale Niederschläge gekennzeichnet ist. Er gibt Aufschluss darüber, wie Gemeinschaften unter solch schwierigen Umweltbedingungen überleben konnten."
Leider haben der syrische Bürgerkrieg, die nachfolgenden Konflikte und zuletzt das schwere Erdbeben in der Region Anfang 2023 weitere Forschungen bisher verhindert oder erheblich erschwert. Die Auswertung von Satellitenbildern zeigt, dass zusätzlich zu den bei den Vor-Ort-Begehungen entdeckten Siedlungsplätzen noch Hunderte weitere untersucht werden könnten.
Aktuelle Arbeiten
Derzeit konzentrieren sich die Forscher vor allem auf die Auswertung bereits abgeschlossener Ausgrabungen, wie die des Siedlungshügels Zeytinli Bahçe in der Türkei. „Die Region ist grundlegend für das Verständnis der Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt in einer entscheidenden Phase der Menschheitsgeschichte. Hoffen wir, dass am Ende friedliche Lösungen für die vielen aktuellen, miteinander verwobenen Konflikte gefunden werden - für die Forschung, aber natürlich vor allem für die Menschen vor Ort von heute“, sagt Dr. Ricci.
Meldung von roots
Originalpublikation:
Ricci, A. (2023): Settlement, Mobility, and Land Use in the Birecik-Carchemish Region (Fifth–Third Millennium BCE). Subartu XLIX. Brepols Publishers