Von Ivan Calandra, Labor für Gebrauchsspurenforschung und kontrollierte Experimente (TraCEr).
Schon seit den Anfängen der Archäologie im frühen 19. Jh. wurden Versuche durchgeführt. Der Begriff »experimentelle Archäologie« kam jedoch erst in den 1960er-Jahren auf. Er ist an die naturwissenschaftliche Methode gebunden: Experimente dienen dabei zum Prüfen einer These. Um naturwissenschaftlichen Kriterien zu entsprechen, muss das Ergebnis im Prinzip widerlegbar sein. Niemals ist eine These erwiesenermaßen wahr: Eine verworfene These zeigt, was nicht zutreffen kann, während eine valide, einstweilen unwiderlegte These nur darstellt, was eventuell der Fall gewesen sein kann. Oft führt ein Versuchsergebnis zu neuen Thesen, die wiederum überprüft werden können. Dabei kommt eine Vielzahl von Methoden zur Anwendung, häufig aus fremden Fächern wie Geologie, Biologie, Paläontologie oder Materialwissenschaften.
Der 2001 verstorbene britische Archäologe Peter J. Reynolds, ein Pionier der experimentellen Archäologie, unterschied 1999 fünf Typen von Versuchen:
- Nachbau von Gebäuden: Welche Materialien und welche Techniken benötigt man z. B. für den Bau einer mittelalterlichen Burg?
- Experimente zu Herstellung und Gebrauch von Artefakten: Wie wurde ein Gegenstand oder Werkzeug hergestellt und verwendet ?
- Simulationen: Wie verändern sich Funde mit der Zeit, etwa durch Zersetzung oder Verlagerung in Flussläufen und Sedimenten?
- Wahrscheinlichkeitsversuche: Sie kombinieren die vorherigen drei Typen zu langfristigen Untersuchungen komplexer Systeme in großem Maßstab, etwa landwirtschaftliche Verfahren der Vergangenheit unter Einfluss von Wetter und Klimaschwankungen.
- Test neuer Methoden: Ist das Verfahren geeignet zur Beantwortung archäologischer Fragen (z. B. die konfokale Mikroskopie)?
Aus ferner Vergangenheit fehlen schriftliche oder mündliche Überlieferungen. Deshalb spielen Experimente eine bedeutende Rolle insbesondere zur Erforschung der Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit und Metallzeit. Die Beiträge des Themas »Artefakte im Experiment« decken ein breites Spektrum ab von der Interpretation der Funktion von Gegenständen bis zu ihrer Zerstörung und der Verfolgung ihres Weges nach der Entsorgung. Doch auch schriftliche Quellen sind durch Abschreiben und Übersetzen verändert, sodass viele Details fehlen. Auch in diesem Fall können Experimente helfen, Thesen zu überprüfen und Lücken zu füllen.
Weiterlesen in der AiD 2/20
- Artefakte im Experiment von Ivan Calandra
- Spurensuche im Mikrobereich von Ivan Calandra, Walter Gneisinger, João Marreiros, Antonella Pedergnana, Eduardo Paixão und Lisa Schunk
- Kollege Roboter von Johannes Pfleging, Radu Iovita und Jonas Buchli
- Werfen oder Stoßen? Speere im Test von Annemieke Milks und Matt Pope
- Flüsse und Funde von Wei Chu
- Zurichten von Steinen mit Knochen von Elaine Turner und Petr Neruda
- Zerstören im Dienst der Wissenschaft von Erica Hanning, Florian Ströbele und Morice Adam
- Rezepte für byzantinische Goldschmiede von Erica Hanning, Susanne Greiff, Günter Prinzing und Antje Bosselmann-Ruickbie
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