Von Judit P. Barna; Übersetzung von Jörg Fündling.
Die Rondelle in Ungarn, die sich am Südostrand des Verbreitungsgebiets der mitteleuropäischen Kreisgrabenanlagen befinden, sind geografisch gesehen in Randlage. Doch was die Entstehung und Entwicklung der Rondelle angeht, handelt es sich keineswegs um eine Peripherie, wie wir noch sehen werden. Mit ihrer Lage innerhalb von Siedlungen oder in deren Nähe stellen sie besonders strukturierte Orte dar, die von Gebieten für die Alltagsnutzung abgegrenzt sind. Auch physisch machten die Kreise aus Gräben, Wällen und Palisaden die symbolische Trennung von der Umgebung deutlich. Verwenden lässt sich die Bezeichnung »Kreisgrabenanlage« aber nur für jene jungsteinzeitlichen Erdwerke, die aus einem oder mehreren Gräben bestehen, einen mehr oder weniger kreisförmigen Grundriss aufweisen und deren Gräben von annähernd symmetrisch angeordneten (Eingangs-)Öffnungen durchbrochen sind. Der Durchmesser schwankt zwischen 30 und 300 Metern. Die Zahl der Eingänge ist unterschiedlich, beträgt aber mindestens zwei und häufig vier. Betreten konnte man die Anlage nur über die Dämme und durch die Eingänge. Im Innenraum der Kreise gibt es mit wenigen Ausnahmen keine Wohnbebauung. Digitale oder zeichnerische Rekonstruktionen nach archäologischen Befunden können uns nicht nur helfen, uns Kreisgrabenanlagen vorzustellen, sondern auch ihre damalige Funktion zu verstehen. Zu dieser Frage hat in sich letzter Zeit ein multifunktionaler Ansatz überwiegend durchgesetzt. Eine besonders wichtige Rolle spielten die Rondelle als Orte für gemeinschaftliche soziale Rituale. Die eingefriedeten, nicht mit zeitgenössischen Wohnbauten besetzten Räume konnten eine große Menschenmenge aufnehmen, was die Annahme dieser Funktion stützen könnte.
Forschung und Projekte in Ungarn
In Ungarn umfasst die Zeit der Kreisgräben, das 5. Jahrtausend v.Chr., das Spätneolithikum (nach ungarischer Terminologie). Sie decken fast ausschließlich den Westen des heutigen Ungarn ab (Transdanubien), wo die Menschen der Lengyel-Kultur lebten. Benannt ist diese Kultur nach dem ersten Ort, wo sie in Ungarn archäologisch angesprochen wurde. Palisadierte Grabensysteme finden sich auch im Theißgebiet in Ostungarn, wo sie mit stratifizierten Siedlungshügeln (Tells) wie beispielsweise Polgár-Csőszhalom und Hajdúböszörmény-Pródi-halom vergesellschaftet sind. In jüngster Zeit ist in Öcsöd-Kováshalom, ebenfalls in der Theißregion, eine Sonderform der Umwallungen – ein segmentiertes Pseudograbensystem – untersucht worden. Ein ungarisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt untersucht seit 2018 die Siedlungen der späten Jungsteinzeit in der Großen Ungarischen Tiefebene. Nichtinvasive Studien zur Siedlungsstruktur in großem Maßstab, zum Beispiel am Fundort Hódmezővásárhely-Kökénydomb, haben neues Licht auf das allzu einfache Modell geworfen, wonach sich mitteleuropäische Grabensysteme und südosteuropäische Tells ergänzen.
Die scheinbar ungleiche geografische Verteilung der Kreisgrabenanlagen in Zentraleurtopa lässt sich durch die unterschiedlich intensive Forschung in den einzelnen Ländern ergeben, wie im Fall Ungarns neulich bestätigt worden ist. Dank gezielter Forschungsprojekte kennen wir aus Westungarn heute rund 30 spätneolithische Fundorte mit Ringgräben. Den Startschuss für die Suche in Ungarn gab die Entdeckung des ersten bekannt gewordenen Rondells in Sé-Malomi dűlő während der 1970er. Derzeit läuft dort eine großangelegte Grabung. Nachdem anfangs nur schüttere Befunde vorlagen, hat ein gezieltes Suchprojekt im Komitat Baranya bewiesen, dass man in Ungarn mit einer ähnlich hohen Dichte an Rondellen rechnen kann, wie sie bisher nur in Niederösterreich und Mähren nachgewiesen ist. Namentlich die Fundorte Zengővárkony-Igaz-dűlő, Belvárdgyula-Szarkahegy und Szemely-Hegyes I–II verdienen als wichtigste Stätten Erwähnung. Der letztgenannte Ort ragt unter den anderen so weit heraus, dass man ihn angesichts seiner enormen Größe und seines verwirrend komplexen Grundrisses als »Mutter aller Henges« bezeichnet hat.
Ein neues ungarisches Projekt wird von einer Forschungsgruppe unter Leitung der Autorin durchgeführt, die Fundorte im Komitat Zala untersucht. Dabei haben wir an drei weiteren Stellen Kreisgrabenanlagen entdeckt: Gétye-Gyomgyáló-lejtős, Bezeréd-Teleki-dűlő II und Ligetfalva-Gesztenyés-dűlő. Derzeit sind in diesem Komitat sieben Rondelle bekannt, von denen drei (Balatonmagyaród-Hídvégpuszta, Nagykanizsa-Palin und Sormás-Török-földek I) schon ausgegraben sind.
Radikaler Wandel am Beginn der Lengyel-Kultur
2002 entdeckte man in Sormás-Török-földek Siedlungen der Sopot- und der Lengyel-Kultur; dort kamen auch Abschnitte von zwei Grabensystemen ans Licht. Das größere (Einfriedung II) wurde durch die Menschen der Sopot-Kultur (einer der Vorläuferinnen der Lengyel-Kultur) angelegt und umgab die Siedlung. Diese Siedlungsstruktur ist identisch mit derjenigen, die in letzter Zeit auch an vielen Orten in Kroatien, im Kerngebiet der Sopot-Kultur, nachgewiesen wurde. Einfriedung II jedoch war kein gewöhnlicher Ringgraben, sondern lässt sich in mehrfacher Hinsicht als Vorläuferin der Rondelle vom Lengyel-Typ ansprechen, besonders hinsichtlich ihrer symbolischen Eigenschaften. Das kleinere Grabensystem (Einfriedung I) war ein typisches Lengyel-Typ-Rondell, ein vom »alltäglichen« Teil der Siedlung abgetrennter Raum, und stammt aus der Entstehungszeit der Lengyel-Kultur. Diese beiden Grabensysteme zeigen deutlich den radikalen Wandel in der Raumverwendung, der zur Trennung des häuslichen Raums vom Ritualraum führte. Die frühesten Rondelle aus dem Lengyel-Komplex (Sé-Malomi-dűlő und Sormás-Török-földek I) sind in die Entstehungsphase dieser Kultur datierbar und liegen im westlichen Transdanubien. Diese Gegend war Teil jenes Gebiets, in dem sich die Lengyel-Kultur entwickelte. Also wurde die »Rondell-Idee« zusammen mit der Lengyel-Kultur geboren und geprägt. Sormás-Török-földek spielt eine wichtige Rolle für die ungarische Archäoastronomie-Forschung, da es wichtige Daten zur Ausrichtung der Rondelle vom Lengyel-Typ geliefert hat.
In Ligetfalva wurde ein Dreifachrondell entdeckt, das einen besonders regelmäßigen Grundriss aufweist. Eine seiner Besonderheiten ist, dass die Spuren des ehemaligen Rondells und seiner Wälle heute nicht nur auf Luftbildern sichtbar sind, sondern auch mit bloßem Auge auf der Erdoberfläche. Eine weitere Eigenheit liegt darin, dass der äußere Graben aus Segmenten besteht.
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Exclusiv in der AiD 5/21
Am Fundort Bezeréd-Teleki-dűlő wurde bei einem geomagnetischen Survey ein Doppelrondell entdeckt, das auf einem 50 m hohen Hügel liegt. Die Untersuchung ergab ein gut interpretierbares Bild, reich an Details wie Palisaden, die an den Gräben entlang verliefen, Eingänge mit vorgelagerten, halbkreisförmigen Vorwerken und Häusergrundrissen im Innern des Rondells. Kreisgrabenanlagen mit solchen Halbrundgräben vor den Eingängen sind bisher ausschließlich aus Transdanubien bekannt, etwa von Nagykanizsa-Palin oder Szemely-Hegyes I. In jüngster Zeit haben sich ähnliche Vorwerke am Pseudograbensystem in den »Lücken« zwischen den Erdwerkssegmenten im ostungarischen Öcsöd-Kováshalom nachweisen lassen. Das Vorhandensein eines so eigenartigen – und wahrscheinlich keiner praktischen Funktion dienenden – Bauelements weist vielleicht auf einen beiden Grabensystemen gemeinsamen spirituellen Hintergrund hin. Dies lässt sich als weiteres Argument für den Symbolcharakter dieser Grabensysteme vorbringen.
Auch mit befestigten Siedlungen der Lengyel-Kultur konnten Grabensysteme verbunden sein, obwohl solche Fälle in Transdanubien nur selten vorkommen, zum Beispiel in Kaposújlak-Várdomb oder in Villánykövesd-Jakabfalusi út mente. Anders als die Rondelle spielten sie eine andere Rolle, nämlich die der Verteidigung.
Bauprinzipien und Lage der Kreisgrabenanlagen
Kreisgrabenanlagen gehorchten kohärenten Bauprinzipien, die nicht auf funktionalen Überlegungen beruhten, sondern auf Glaubensüberzeugungen (der so genannten »Rondellidee«), und die außerdem nahelegen, dass die Rondelle vielleicht gebaute Symbole des Kosmos waren. Wie im Fall der Verwendung ist es auch hierbei zwecklos, nur aus ihrer räumlichen Orientierung ein umfassendes inhaltliches Konzept herauslesen zu wollen. Dabei muss betont werden, dass unsere Beobachtungen zur Orientierung nur für die Rondelle vom Lengyel-Typ gilt, die Emília Pásztor, Curt Roslund und der Autor 2008 publiziert haben; neue Belege seit dieser Zeit haben sie immer wieder bestätigt. Unsere Vermutung beruht auf der Studie von über 50 Ringgrabenangaben aus der spätneolithischen Lengyel-Kultur. Diesen Untersuchungen zufolge waren über 90 Prozent der Toreingänge auf der Ostseite der Rondelle vom Lengyel-Typ auf einen Punkt am Osthorizont ausgerichtet, an dem zu bestimmten Zeiten im Jahr die Sonne aufging. Indem wir die Methode der Ausrichtung rekonstruieren, können wir vielleicht auch den gedanklichen Hintergrund dieses Prinzips entschlüsseln.
Festgelegt wurde die Orientierung des Osteingangs durch die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, beobachtet aus dem Zentrum des späteren Kreisgrabens. Unter Verwendung der Sonnenposition wurde der Ost-West-Durchmesser abgesteckt, an deren Ende man dann den Ost- und den Westeingang erbaute (das war der Grund, weshalb diese beiden Eingänge auf einer Geraden lagen). Unserer Theorie zufolge sollten die Positionen der Osteingänge durch die periodische Verschiebung der Sonnenaufgänge am Horizont irgendwo zwischen 54° und 128° gelegen haben (also zwischen den Positionen der Sommer- und der Wintersonnenwende zur Zeit der Lengyel-Kultur); das trifft für dieses Rondell zu. Die Positionen der beiden anderen Eingänge (im Norden und im Süden) wurden vielleicht durch »geometrische« Konstruktion festgelegt (deshalb standen ihre Achsen beinahe senkrecht auf der Linie zwischen Ost- und Westeingang). Auch die übliche Lage der Kreisgrabenanlagen auf Südhängen, von denen aus man die bestmögliche Sicht auf den Sonnenlauf hatte, passt zu unserer Theorie, wonach die Sonne eine wichtige Rolle spielte.
Wenn man mit Transdanubien nur eine kleine geografische Region mit der Gesamtausdehnung der Lengyel-Kultur vergleicht, wird die Regelmäßigkeit bei der Orientierung der Rondelle noch deutlicher. Hier lässt sich in den Grundrissen der Bauten ein sehr strenges und in sich stimmiges Ausrichtungsprinzip feststellen. Nicht nur fallen die Orientierungswerte in den Horizontabschnitt, in dem die Sonne aufgeht, sondern sie konzentrieren sich innerhalb davon auf einen kleinen Sektor (+/- 5 Prozent beiderseits der Ostrichtung).
Neben der Sonne als Hauptmarker für die Orientierung spielten vielleicht auch besondere Merkmale der umliegenden (Rirual-)Landschaft eine gewisse Rolle, wie die Beziehung der Einfriedungen I und II von Szemely-Hegyes zum markanten Berggipfel des Szársomlyó nahelegt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass neolithische Kreisgrabenanlagen vielleicht den Schauplatz gemeinsamer Rituale und gebaute Symbole des Kosmos darstellten, die sich mit rein archäologischen Mitteln nicht entziffern lassen. Vielleicht können interdisziplinäre Forschungen in Zukunft den Schleier des Geheimnisses über diesen alten Denkmälern lüften.