Auf Hunderten dieser Überreste wurden Tätowierungen identifiziert, darunter Beispiele aus mindestens 60 archäologischen Stätten auf der ganzen Welt. Diese Funde geben uns wichtige Informationen über die Methoden und Motive, mit denen die Menschen in der Vergangenheit ihre Körper veränderten, sowie einen guten Einblick in die geografische und zeitliche Ausdehnung der Tätowierungspraktiken.
Viele der erhaltenen Tätowierungen sind mit bloßem Auge nur schwer oder gar nicht zu erkennen, da die Epidermis durch jahrhundertelange Verwitterung und Umwelteinflüsse dunkler und der Kontrast zwischen Tätowierungen und der umgebenden Haut geringer wird. Bestimmte Verfahren können jedoch helfen, dieses Problem zu lösen. Das vielleicht wichtigste ist die Infrarotfotografie. Schon in den 1970er-Jahren war bekannt, dass Infrarotbeleuchtung extrem schwache oder unsichtbare Tätowierungen auf menschlichen Überresten sichtbar machen kann. Grund dafür ist, dass die Farbstoffe der Tattoo- Pigmente das Licht im Infrarot- und Nahinfrarotspektrum anders absorbieren als die nicht tätowierte menschliche Haut, wodurch die Tätowierungen dunkler als das umgebende Gewebe erscheinen.
Bis vor Kurzem benötigte man für Infrarotfotografie eine Kamera mit einem infrarotempfindlichen Film und einem Filter, der das meiste sichtbare Licht blockierte, aber infrarote und infrarotnahe Wellenlängen durch das Objektiv passieren ließ. Dank der Entwicklung digitaler Kameratechnik, Infrarot- LEDs und digitaler Bildanalysetechniken sind Archäologen und Museumsfachleute heute in der Lage, zerstörungsfreie, hochauflösende Infrarot- und Multispektraluntersuchungen sowohl im Feld als auch in der Ausstellung durchzuführen, und zwar zu relativ geringen Kosten und mit sofortigen Ergebnissen.
Diese technologischen Fortschritte gehen mit dem gestiegenen Interesse an Tätowierungspraktiken der Vergangenheit einher. Infolgedessen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten mehr erhaltene Tätowierungen aus archäologischen Zusammenhängen identifiziert als im gesamten vorherigen Jahrhundert.
Autor: Aaron Deter-Wolf (Übersetzung: Lukas Kerk)
Quelle: Lukas Kerk (Hrsg.), Körperkult - Tattoos und Körpermodifikationen; Archäologie in Deutschland Sonderheft 31/2024