Vor mehr als 50 Jahren, am 1. August 1972, untersuchte die Grabungsmannschaft um Rudolf Stampfuß im Auftrag des damaligen Rheinischen Landesmuseums Bonn das erste Grab eines ursprünglich sicher mehr als 900 Bestattungen zählenden merowingerzeitlichen Gräberfeldes bei Bislich im Kreis Wesel. Der Fundplatz liegt inmitten einer zu beiden Rheinseiten dicht belegten frühmittelalterlichen Fundlandschaft, unmittelbar am rechten Rheinufer gegenüber von Xanten. Etwa 8 km südöstlich treffen die Lippe und eine Trasse des Hellwegs auf den Rhein – seit vorgeschichtlicher Zeit eine der wichtigsten Verbindungen Richtung Westfalen und Mitteldeutschland. Aufgrund der Lage und Struktur reiht sich Bislich in eine Gruppe von Gräberfeldern ein, die durch reich ausgestattete Bestattungen militärischer Anführer und ihrer Gefolgschaften gekennzeichnet sind, und die sich von Rheinberg-Orsoy und Krefeld-Gellep über den Rhein entlang der Lippe nach Osten in den westfälischen Raum erstreckt.
Funktional und repräsentativ
Neben einem schweren goldenen Siegelring mit Namensinschrift »BODI« sind es vor allem zahlreiche korrodierte und mit Rheinkies bedeckte Fragmente aus Eisen, die die Besonderheit im noch erhaltenen Fundgut des umfassend gestörten Kammergrabes 39 darstellen und in Teilen bereits 1991 von dem am Rheinischen Landesmuseum Bonn zuständigen Wissenschaftler Walter Janssen vorgelegt wurden. Die Ausgräber dokumentierten über 250 dieser Fragmente, die in der gesamten Grabgrube und darüber hinaus verstreut waren, ohne diese jedoch einzeln zu verorten. Eine Konzentration von teilweise zusammenhängenden Lamellen fand sich in der Nordostecke auf Höhe des Kammerbodens, vermutlich also zu Füßen des Toten.
Die eisernen Lamellen waren, sich gegenseitig überlappend, mithilfe von Lederbändern untereinander verbunden und bedeckten Oberkörper und Oberschenkel. Sie stellten eine äußerst effektive, individuell an den Körper anpassbare, flexible Schutzwaffe dar. Das Konstruktionsprinzip selbst wurde bereits von den Assyrern im 9. bis 7. Jh. v. Chr. im Vorderen Orient angewendet und findet sich mit regionalen Unterschieden und zeitlichen Unterbrechungen, in verschiedensten Formen und Größen sowie aus wechselnden Materialien in Asien teilweise bis ins 19. Jh. Im Fundgut des Frankenreichs sind diese Panzer eine eher kurzlebige Erscheinung des späten 6. und der ersten Hälfte des 7. Jh. Ob diese Panzer über das Byzantinische Reich oder die aus Zentralasien stammenden reiternomadischen Awaren nach Italien und Westeuropa zu Langobarden und Franken gelangten, ist Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion.
Eine Erklärung für den Fund ist möglicherweise die verstärkte Interaktion, die im späten 6. Jh. in Norditalien aufgrund militärischer Auseinandersetzungen, aber auch diplomatischer Kontakte zwischen Franken, Langobarden und Byzantinern erfolgte. In der Folge könnte der Bislicher Panzer entweder als Beute, Geschenk oder militärische Ausrüstung in den Besitz des BODI gelangt sein.
Was uns die Lamellen verraten
Die meisten Lamellen aus Bislich wurden unmittelbar nach der Ausgrabung grob gereinigt und geröntgt. Ansonsten bleiben sie unangetastet, sodass sie nun für eine Neubearbeitung genutzt und einige in der Restaurierungswerkstatt des LVR-LandesMuseums Bonn durch Strahlen vorsichtig von der Korrosion befreit werden konnten. Zusammen mit der Erstellung neuer Röntgenaufnahmen konnten so vier unterschiedliche Lamellentypen dokumentiert werden, die sich durch ihre Maße und die Anordnung der Löcher zum Durchziehen der Lederverbindungen unterscheiden.
Die Art der Lederverbindung des Bislicher Panzers ließ sich aus den korrodierten Lederresten und den Durchlochungen erschließen, ebenso wie durch Vergleiche mit anderen Funden das Vorhandensein eines Brust- und Beinschutzes sowie ihrer möglichen Verbindung rekonstruiert werden konnte. Anhaltspunkte zur genauen Anzahl der Lamellen und der Lamellenreihen sowie zu ihrem Verschluss und der Konstruktion des Schulter- und Armschutzes waren nicht mehr zu gewinnen.
In Südwestdeutschland ist eine Gruppe von Gräbern mit Panzern und Panzerteilen belegt, deren Besitzer ebenfalls ausnahmslos als Reiter mit gehobenem Lebensstandard ausgewiesen sind. Die Lamellen eines Exemplars aus Niederstotzingen (bei Ulm) stehen dabei in Größe, Form und Schnürung den Bislicher Fragmenten am nächsten. Gebogene Lamellen sind am Niederstotzinger Fund ebenfalls noch erkennbar. Bei dessen zeichnerischer Rekonstruktion wurden sie jedoch nicht berücksichtigt.
Aufgrund der weit fortgeschrittenen Korrosion der eisernen Lamellen aus Bislich konnten keine metallografischen Analysen vorgenommen werden. Gefügeanalysen und eine Bewertung der Härteeigenschaften liegen seit 2002 durch die Untersuchungen von Klaus Becker und Holger Riesch an der Fachhochschule Bingen anhand von originalem Material aus Giengen an der Brenz, Kirchheim am Ries, Schretzheim und Krefeld-Gellep vor. Sie wiesen nach, dass die Lamellen aus Eisen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt hergestellt wurden, das durch Schmieden im Temperaturbereich zwischen 600 und 900 °C gehärtet wurde.
In der Schmiede von Alexander Zimmermann wurde von ihm und seiner Frau Monika nach diesen Anhaltspunkten von 2020 bis 2022 in aufwendiger Kleinarbeit eine Rekonstruktion des Bislicher Lamellenpanzers angefertigt, vom Schmieden der einzelnen Lamellen und deren Härtung bis hin zum Verbinden mit den Lederstreifen. Sie wurde aus »Reineisen« mit sehr niedrigem Kohlenstoffgehalt von weniger als 0,01 Prozent gefertigt, das heißt einem sehr weichen Eisen. Ein natürlicher Korrosionsschutz wurde durch Ablöschen der erhitzten Lamellen in Öl (Bläuen) erreicht. Die Rekonstruktion wird erstmals ab dem 23. März 2023 in der Sonderausstellung des LVR-LandesMuseums Bonn »Das Leben des Bodi. Eine Forschungsreise ins frühe Mittelalter« zusammen mit hochkarätigen Vergleichsfunden aus ganz Europa und erläutert durch ein interaktives Forschungslabor zu sehen sein.
Video und Ausstellung zum Thema
Auf dem YouTube-Kanal des LandesMuseums Bonn gibt es einen Film zur Rekonstruktion des Panzers.