Ab wann gab es Wein in Europa außerhalb der mediterranen Welt? Diese Frage beschäftigt nicht nur Archäologen. Gerade in Deutschland mit einer international hoch geschätzten Weinkultur scheint sie besonders wichtig.
Textauszug des Beitrags von Carola Metzner-Nebelsick und Louis D. Nebelsick
Der erste Nachweis des Anbaus kultivierter Weinreben ist erst für die Römerzeit gesichert. Das mag zunächst erstaunen und fordert zum genauen Nachschauen heraus. Wie zahlreiche Funde von Amphorenscherben der älteren Eisenzeit, darunter von der Heuneburg in Baden-Württemberg, zeigen (siehe S. 23; AiD 5 / 2019, S. 8– 13), wurde importierter Wein bereits viel früher konsumiert.
Lassen sich Regionen benennen, in denen der Genuss von Traubenwein bereits in der Bronzezeit außerhalb von Domestikationszentren wie dem Mittelmeerraum nachgewiesen werden kann? Die einfache Beantwortung der Frage wird durch verschiedene Faktoren erschwert. Die Wildform des kultivierten Weins – Vitis vinifera subsp. sylvestris – ist in vielen Regionen Mittel- und Südosteuropas samt Westasiens verbreitet (siehe S. 24). Als wohlschmeckende Sammelfrucht standen Trauben der Wilden Weinrebe somit vielerorts beispielsweise in Flussauen zur Verfügung.
Die Kerne von kultiviertem Wein und der Wildform sind anhand äußerer Merkmale, insbesondere in einem Übergangsbereich, schwer zu unterscheiden. Daher kann bei kleinen Fundmengen in archäologischen Kontexten nicht sicher gesagt werden, ob es sich um lokalen Wilden Wein und damit eine gesammelte Frucht oder um importierte kultivierte Weinbeeren gehandelt hat. Botaniker nehmen daher das massenhafte Auftreten von Weinkernen als ein Argument für den gezielten Anbau kultivierten Weins an.
Frühe Nachweise von Kulturwein außerhalb des Mittelmeerraums
Welche frühen Nachweise gibt es? In der in das 14. und 13. Jh. v. Chr. datierten – also spätbronzezeitlichen – Festhalle von Lăpuş am Fuße der Karpaten Nordwestrumänien (vgl. AiD 3/2010, S. 54–57) fanden sich mehrere Traubenkerne in einem Kontext von Festgelagen. Eine eindeutige Bestimmung, ob kultivierter Wein vorliegt, gelang jedoch nicht. Aufgrund der geringen Anzahl der Funde ist zu vermuten, dass es sich entweder um Kerne des Wilden Weins handelt, die gezielt vor Ort gesammelt wurden oder aber um kultivierten Wein in Form von Rosinen, die eingehandelt wurden und als Nahrungszusatz beispielsweise in Getreidebrei oder als vitaminreiche Zukost dienten.
Auch an anderen Orten Südosteuropas sind kleinere Mengen an Traubenkernen in der späten Bronzezeit nachgewiesen. Aus den spätbronzezeitlichen Schichten der Tellsiedlung von Feudvar bei Mošorin in der nordserbischen Vojvodina stammen Weinkerne, die der Botaniker Helmut Kroll als Wilden Wein und als Sammelfrucht interpretiert. Dies ist insofern erstaunlich, als zur selben Zeit in Makedonien bereits Kulturwein nachgewiesen ist.
Alle Beiträge lesen in der AiD 1/23
- Wein – vom Göttertrank zum Gaumenkitzel von Philipp W. Stockhammer
- Was war im Gefäß von Maxime Rageot
- Die Rebe und ihre Kultivierung von Manfred Rösch
- Belege aus Bronzezeit und früher Eisenzeit von Carola Metzner-Nebelsick und Louis D. Nebelsick
- Edler Tropfen für edle Damen? von Janine Fries-Knoblach
- Rom und die Nordwestprovinzen von Janine Fries-Knoblach
- Ägypten, Anatolien und Griechenland in der Bronzezeit von Victoria Altmann-Wendling und Philipp W. Stockhammer
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Eine andere Situation ist aus Oberitalien bekannt. In der Terramare-Siedlung von Montale bei Modena konnte dank einer guten Stratigrafie und 14C-Datierungen ein Fruchtwechsel von Kornelkirsche (Cornus mas) zu Wein (Vitis vinifera) im 14. Jh. v. Chr. beobachtet werden. Die Kornelkirsche ist heute als Busch oder Baum noch häufig in Gärten zu finden. Sie ist ein als Wildform weit verbreitetes Hartriegelgewächs mit kleinen, aromatischen Früchten und könnte wie alle anderen Obstarten fermentiert und daher unter Umständen auch als alkoholisches Getränk genossen worden sein. Im unweit von Montale gelegenen Brandgräberfeld Casinalbo (ca. 1450 – 1150 v. Chr.) konnte durch Pollenanalysen in der unmittelbaren Umgebung die Existenz von Weinpollen für diesen Zeitabschnitt nachgewiesen werden.
Nachweis für kultivierten Wein der späten Urnenfelderzeit
Aus dem Nordostalpenraum liegen für die späte Urnenfelderzeit (Anfang 1. Jt. v. Chr.) von zwei Fundorten Nachweise für kultivierten Wein durch botanische Makrorestanalysen aus Siedlungskontexten vor. In Sopron-Krautacker in Nordwestungarn fanden sich in einer Siedlung des 10. bis 9. Jh. v. Chr. mehrere Kerne kultivierten Weins, die dort als Importe gedeutet werden. Interessant ist, dass genau dort in der Eisenzeit rund 500 Jahre später sowohl Wild- als auch Kulturweinkerne in Gräbern und Siedlungskontexten nachgewiesen sind. Offenbar hat man weiterhin die Trauben des Wilden Weins geschätzt und genutzt, möglicherweise auch Einkreuzungen versucht.
Dass das urnenfelderzeitliche Sopron kein Einzelfall ist, zeigen die botanischen Untersuchungen in der befestigten Siedlung mit zentralörtlichem Charakter von Stillfried a. d. March in Niederösterreich. Hier wurden Kerne kultivierter Weintrauben als ältester Nachweis in Österreich in einer Grube gefunden. Mittels 14C Messungen wurden sie in die Jahre zwischen 992 und 810 v. Chr. datiert. Die Botanikerin Marianne Kohler-Schneider nimmt an, dass es sich bei den Weintrauben um Import handelte. Die von ihr favorisierte Balkanroute kann derzeit jedoch nicht belegt werden.
Interessant ist, dass vor allem in der älteren Eisenzeit / Hallstattzeit, als der Genuss alkoholischer Getränke wie Wein im Bestattungswesen eine bedeutende Rolle spielte, die botanischen Nachweise von kultivierten Weinkernen am Nordostalpenfuß weniger zahlreich sind, was jedoch auch auf die mangelnde Untersuchung vergleichbarer Siedlungen zurückzuführen sein mag. Andere Forschende vermuten, dass spätestens seit der Späthallstatt- bis Frühlatènezeit des 5. Jh. v. Chr. mit Weinanbau in der Region zu rechnen ist. Dies ging mit Gartenbaupraktiken wie dem frühen Nachweis von Pflaume und Pfirsich bereits in dieser Zeit einher, also lange vor Ankunft der Römer. Auch wenn bislang das Fundbild noch sehr lückenhaft ist, deutet sich an, dass die Vermittlung des Weintrinkens als Kulturpraxis über Norditalien im Zug vielfältiger Kontakte bereits in der ausgehenden Bronzezeit in den Nordostalpenraum gelangte.