Ein anonymer Autor zur spätantiken RüstungInterview mit Prof. Dr. Burkhard Meissner

Der Althistoriker Burkhard Meißner war 2004 und 2006 Gerda Henkel Scholar and Visiting Associate Professor of Classics an der Brown University in Providence, Rhode Island (USA), und ist seit 2004 Professor für Alte Geschichte an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. 2018 regte er dort die Gründung des German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) an. Gemeinsam mit Stefanie Gräf, welche 2015 über die spätantike Schrift «De rebus bellicis» eines Anonymus promovierte, veröffentlicht Meißner dessen Faksimile mit deutschem und lateinischem Text bei der wbg. In diesem Interview gibt Meißner Einblicke in die Arbeit an diesem Buchprojekt und seine persönlichen Ansichten.

Ballista fulminalis mit charakteristischer Bogenstrebe, Oxforder Codex des Anonymus de rebus bellicis: Bodleian Library MS. Canon. Misc. 378 fol. 76 r.
Abb. 1 Ballista fulminalis mit charakteristischer Bogenstrebe, Oxforder Codex des Anonymus de rebus bellicis: Bodleian Library MS. Canon. Misc. 378 fol. 76 r.

AW:Welche persönliche Verbindung zu «De rebus bellicis» haben Sie?

BM: Den Text habe ich schon 1982 im Studium in Oxford kennengelernt; kurz vorher waren die British Archaeological Reports Nr. 63 erschienen; mein Interesse an antiker Technik, Wissenschaft und Technologie bestimmte noch meine Habilitationsschrift von 1999 über die technische Literatur der Antike, und wichtig darin war auch dieser Anonymus. In den letzten Jahren dann haben wir Ballisten (Katapulte) wie die von ihm beschriebenen rekonstruiert und verstehen heute, dass und wie diese funktioniert haben.

AW: Wie interpretieren Sie die Beweggründe des Autors? Meinen Sie, dass es sich hierbei um beißende Ironie oder eher um eine reformerische Absicht handelt?

BM: Die Beweggründe des Autors kennen wir leider nicht. Erkennen können wir einige literarische und gedankliche Versatzstücke, die in das Werk eingegangen sind, das sich ja in dem eigentümlichen Kontext der Bürokratiedokumentation erhalten hat. Der äußeren Form nach eine kleine buchartige Eingabe an die Verwaltung, prägt das Werk teilweise ein innovativer Technikdiskurs mit seinem Freiheitsanspruch. Es fehlen aber Bauanweisungen und Größenangaben. Das Werk ist daher geradezu widersprüchlich, und die Einschätzung dieser Widersprüche hat sich in der Forschung geändert und wird sich wohl weiter ändern.

So vermisste man früher in seinen Katapultdarstellungen die Wurfarme und Federbündel und zweifelte an der Korrektheit oder Ernsthaftigkeit der Darstellung; heute verstehen wir die Funktion von Ballisten mit ihren außenliegenden Federn, innen schwingenden Wurfarmen und Bogenstreben, die der Anonymus treffend darstellt. Vielleicht wird man eines Tages die merkwürdigen Sichelwagen besser verstehen, die uns heute als Variation einer anachronistisch anmutenden Waffe erscheinen.

Rekonstruktion einer spät- antiken Balliste.
Abb. 2 Rekonstruktion einer spät- antiken Balliste. Burkhard Meißner

«Reform» war das Schlagwort einer politischen Deutung des Autors, das heute etwas von seinem einstigen Glanz verloren hat. Im Vordergrund dessen, was wir über das Werk des Autors begründet sagen können, scheinen mir weniger die reformerischen, ernsthaften oder uneigentlichen Redeweisen oder Absichten zu stehen als vielmehr jene heterogenen gedanklichen und subliterarischen Elemente, die durch die Überlieferung zu dem Text gemacht worden sind, der vor uns liegt.

AW: Welche technischen Details des antiken Kriegsgeräts werden vorgestellt? Gibt es besondere Beispiele für ungewöhnliche Kriegsgeräte?

BM: Bau und Funktionieren spielen kaum eine Rolle, doch in für die antike Literatur ungewöhnlicher Weise werden Gebrauch und Zusammenwirken der Geräte dargestellt. Das eher fantastisch anmutende Schiff mit Tiergöpelantrieb kehrt die Funktion der in der Spätantike verbreiteten Schiffsmühlen nur um, und der merkwürdige Sichelwagen mit automatischem Peitschenvortrieb variiert ältere Techniken und imaginiert nicht so sehr Fantastisches. Wurfpfeile, Katapultgeschosse, Bauteile von Katapulten und Keleks, lederne Auftriebskörper, Bauelemente der vom Anonymus beschriebenen Schwimmbrücke, sind alle gut belegt.

AW: Was können wir im Hinblick auf das Thema Finanzen erwarten?

BM: Der anonyme Autor kritisiert auffällig moralisierend die Währungspolitik Konstantins: Habsucht, Goldgier, etc. Man könnte dies eine Politik der Symbole, der Währungssymbole nennen; Tauschmittel sind für den Anonymus Wertzeichen – ggf. bloße Lederstückchen. Sie repräsentieren für ihn aber auch einen materiellen Wert und ihr Gebrauch eine Moralität. Vorschläge für Entscheidungs- und Produktionszuständigkeiten suchen in diese widersprüchlichen Vorstellungen eine institutionelle Ordnung zu bringen und Übersichtstafeln über Muster und Münztypen eine Ordnung der Typologie. Finanziell geht es ihm um eine Reduktion der Staatsausgaben für das Militär und dessen Personal, das u. a. durch Kriegstechnik ersetzt werden soll. Auch das System als Wehrsiedler dislozierter Veteranen soll ohne Zusatzkosten mehr grenznahe Schlagkraft freisetzen und erhebt zur Norm, was tatsächlich Teil der Lebenswirklichkeit sein konnte.

AW: Gibt es noch offene Fragen oder Aspekte, die Sie gerne erforschen würden?

BM: Die literarischen und subliterarischen Gattungen, Elemente und Bausteine im Werk des Anonymus sollten intensiver erforscht werden, und ebenso die Funktion(en) des Ganzen und das Funktionieren der vom Anonymus beschriebenen Geräte und Institutionen. Katapultbolzen flogen ohne weiteres 600 bis 800 m weit, sprühten beim Auftreffen auf Hartziele Funken; die Katapultdarstellungen des Anonymus haben sich als funktionsfähig und zu den jüngeren archäologischen Funden aus Orsova, Gornea und Elenovo passend erwiesen. Es ist durchaus möglich, dass auch andere Facetten seines Werkes sich eines Tages als Zeugnisse heute noch nicht verstandener oder übersehender Realitäten erweisen.

Das Gespräch mit Burkhard Meißner führten Svenja Plocher und Natalie Mez.

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