Nachdem der britische Archäologe Flinders Petrie 1899 auf das Grab gestoßen war, ging er noch davon aus, dass es einem bis dahin unbekannten König der 1. Dynastie gehörte, war es doch genauso monumental wie die anderen Gräber in der Königsnekropole von Umm el-Qa’ab. Erst später kam der Verdacht auf, dass es sich bei dem Grabinhaber in Wirklichkeit um eine Frau handelte, nämlich Königin Meret-Neith (um 3000 v. Chr.). Aber es dauerte noch weitere 120 Jahre, bis das Grab genau untersucht werden konnte, um herauszufinden, wer genau Meret-Neith eigentlich war. Und sie gibt bis heute Rätsel auf.
Imposante Grabanlage
Das Grab wird seit 2021 von einem internationalen Forscherteam unter Leitung der Autorin neu untersucht und sorgfältig ausgegraben. Parallel dazu werden die zahlreichen dazugehörigen Funde aus der Zeit Petries in verschiedenen Museen weltweit aufgespürt und nach modernen Maßstäben erfasst.
Der Grabkomplex der Meret-Neith befindet sich am westlichen Rand der Königsnekropole (vgl. Beitrag Köhler Einführung, S. 10) und besteht aus einem Hauptgrab im Zentrum und 41 Nebengräbern, die in einfachen Reihen das zentrale Grab umgeben. Die Königin wurde wahrscheinlich in der Mitte des Komplexes bestattet; die Grabstruktur misst ca. 16,50 × 14,30 m bei einer Tiefe von max. 2,80 m (Abb. 1). Dies entspricht einer Fläche von etwa 236 m2 und einem Aushubvolumen von rund 660 m3. Das Grab weist bis zu 1,30 m dicke Außenmauern aus Lehmziegeln mit einer symmetrischen Innengestaltung auf, bestehend aus Hauptkammer und acht Nebenkammern. Während der Ausgrabung und der Untersuchung der Architektur zeigte sich, dass das Grab in mehreren Bauphasen errichtet worden war, bis es schließlich die Bestattung der Königin aufnahm und verschlossen wurde.
Überreste der Dachkonstruktion legen nahe, dass der Bau mit dicken, bis zu 9 m langen Holzbalken, geflochtenen Matten sowie Lehm und Lehmziegeln abgedeckt war. An der Oberfläche war die Anlage wahrscheinlich durch einen rechteckigen Tumulus aus Sand und Geröll markiert. Schon Petrie hatte damals bemerkt, dass die Qualität der Bauausführung dieses Grabes im Vergleich zur restlichen Königsnekropole ausgezeichnet war. In der Hauptkammer fanden sich Überreste der üblichen Holzauskleidung, worin vermutlich die Bestattung der Königin sowie ihre kostbarsten Beigaben und Besitztümer von oben eingebracht worden waren. Die Nebenkammern enthielten ursprünglich große Mengen an Wein- und Ölgefäßen sowie diverse Behältnisse mit Nahrungsmitteln für die Versorgung der Königin im Jenseits. Allerdings sind von diesen Grabbeigaben – und auch von den sterblichen Überresten der Herrscherin – heute nur noch sehr geringe Spuren zu finden. Denn das Grab war wohl schon früh beraubt worden, eine gewaltige Brandkatastrophe hatte zur letztendlichen Zerstörung der Anlage geführt und Petrie hatte bereits sämtliche Kammern geleert.
Dennoch stieß man im Rahmen des neuen Forschungsprojekts auf einige unberührte Bereiche, so z. B. zahlreiche Weinkrüge in einem ungestörten Befund, den Petrie so hinterlassen hatte. Es fanden sich Dutzende von großen intakten Weinkrügen aus Keramik, die in einer der nicht verbrannten Nebenkammern eng aneinander lehnend senkrecht aufgestellt waren (Abb. 2). Manche hatten sogar noch ihre originalen Deckel und Lehmverschlüsse, die den Inhalt über 5000 Jahre sicher verwahrt hatten. In den Krügen fanden sich Tausende von Traubenkernen, dunkle organische Spuren und kristalline Substanzen (Abb. 3). Die naturwissenschaftlichen Analysen sowie inschriftliche Quellen dieser Zeit legen nahe, dass es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich um Reste von Wein handelt (vgl. Beitrag Hood, S. 31). Die vergleichsweise große Anzahl solcher Weingefäße im Grab, deren Tonarten auf unterschiedliche Herstellungsorte in Ägypten schließen lassen, spricht sicherlich für eine gewisse Vorliebe und vielleicht den guten Geschmack dieser Königin bei der Auswahl ihrer Getränke.
Zu den sonstigen Beigaben gehörten zahlreiche weitere Gefäße aus Keramik und verschiedenen Gesteinsarten, Hunderte von Fragmenten von Lehmverschlüssen mit Siegelabrollungen, Armreifen, Perlen und Anhänger aus unterschiedlichen Materialien, Werkzeuge aus Silex, Teile von Spielen, Geräten und Möbeln aus Holz und Elfenbein und vieles mehr, das gegenwärtig vom Grabungsteam dokumentiert wird. Von besonderem Interesse sind zwei große Kalksteinstelen mit dem Namen von Meret-Neith in großen hieroglyphischen Zeichen, von denen sich die besser erhaltene heute im Ägyptischen Museum in Kairo befindet und schon früh den Ausschlag für die Identifizierung von Königin Meret-Neith als Grabinhaberin gegeben hatte (Abb. 4). Es wird angenommen, dass die Stelen das Hauptgrab gemeinsam mit dem Tumulus an der Oberfläche markiert hatten.
Der Hofstaat bleibt bei der Königin – auch im Tod
In einer Entfernung von 4 bis 7 m von der Hauptkammer wurden die 41 kleinen Nebengräber angelegt, in denen vermutlich Mitglieder des Hofstaates der Königin bestattet wurden. Sie reihen sich in einem großen Rechteck um das Hauptgrab, das nur im Südwesten unterbrochen ist (Abb. 5). Die Gräber waren alle sehr sorgfältig mit Lehmziegelmauern ausgekleidet; es gibt kleinere mit einem Volumen von etwa 1,70 m3 und größere mit 3,20 m3. Sie sind also deutlich kleiner als das Hauptgrab und beinhalteten wahrscheinlich maximal eine Person. Dank sorgfältiger Ausgrabungstechnik war es in manchen Fällen möglich, das ursprüngliche Inventar dieser Nebengräber zu rekonstruieren; auch sie enthielten große Mengen an Keramik- und Steingefäßen, Schmuck, Werkzeuge und Spiele (Abb. 6). Die Kammern waren mit Holzbalken, Matten und Lehmziegeln abgedeckt. Ihre Oberbauten bestanden aus kleinen rechteckigen Lehmziegelstrukturen, was in einigen Fällen anhand von Überresten erkennbar war. Auch die darin Bestatteten waren auf kleinen Grabstelen namentlich gekennzeichnet.
Bei der modernen Ausgrabung fiel auf, dass die Reihen der Nebengräber in mehreren Bauphasen angelegt worden sind. Naturwissenschaftliche Analysen haben dies bestätigt. Zudem legen sie nahe, dass sich der Bau über einen längeren Zeitraum hinweg zog. Dass die Nebenbestattungen nach und nach, ohne Zeitdruck, angelegt wurden, ist ein wichtiges Argument, das zumindest in diesem Fall gegen eine rituelle Opferung bzw. Tötung der Menschen als Begleitung der Königin ins Jenseits spricht, wie oft spekuliert wurde. Die Idee des Menschenopfers während der 1. Dynastie hat sich bislang hartnäckig in der Literatur gehalten; doch legen die neuen Ergebnisse nahe, dass man sich davon wohl verabschieden sollte. Stattdessen sieht es so aus, als ob die in den Nebengräbern bestatteten Menschen auf andere Weise und vielleicht während der Bauzeit des königlichen Grabes zu Tode kamen, sei es durch Krankheit, Unfall oder auch im Konflikt.
Da die meisten Menschen der damaligen Zeit normalerweise auf den Friedhöfen ihrer Dörfer und Städte begraben wurden, spricht die Nähe der Nebengräber zum Hauptgrab für einen erhöhten Status der hier Bestatteten. Dennoch ist der Größenunterschied der Gräber innerhalb dieser Anlage gewaltig, was ein starkes soziales Gefälle zwischen den hier beigesetzten Personen vermuten lässt. Bei den Toten in den Nebengräbern handelt es sich wohl um Bedienstete des königlichen Hofes. Doch wer war eigentlich die Inhaberin des Hauptgrabes, Königin Meret-Neith?
War Meret-Neith eine Pharaonin?
Tatsächlich wissen wir nicht viel über sie, da es nur wenige direkte Hinweise zu ihrer Person gibt. Dazu gehört die Abrollung eines Nekropolensiegels auf einem Türverschluss aus Lehm, der am Grab des Königs Den gefunden worden war, wo sie als Königsmutter bezeichnet wird. Wer aber der König war, ist nicht eindeutig. Ebenso wenig ist erkennbar, warum ausgerechnet Meret-Neith die einzige Frau der 1. Dynastie war, die in der königlichen Nekropole ein eigenes, sogar monumentales Grab bekommen hatte. Dies hat zu vielfältigen Spekulationen geführt, die Meret-Neith mal als Regentin für einen minderjährigen Thronfolger, mal als Pharaonin, d. h. eine mit aller politischen und wirtschaftlichen Macht ausgestattete Herrscherin darstellen. Letzteres wäre in der Gesamtschau des altägyptischen Königtums eher unüblich. Meret-Neith wäre dann ganz ähnlich wie die viel spätere Königin Hatschepsut (ca. 1473–1458 v. Chr.) der 18. Dynastie als große Ausnahme in einem sonst männlich dominierten System einzuordnen.
Hierbei ist allerdings zu betonen, dass es sich bei dieser Zeit der 1. Dynastie, um 3000 v. Chr., um eine höchst transformative Phase der pharaonischen Geschichte handelt, als der altägyptische Staat gerade erst entstanden war und die wesentlichen Konzepte von königlicher Macht und Herrschaft erst noch definiert werden mussten. Auch wenn Meret-Neith unter den acht offenbar männlichen Königen der 1. Dynastie im Königsfriedhof von Abydos die Ausnahme darstellt, so legen viele andere archäologische Quellen nahe, dass es in dieser Zeit noch wenige Statusunterschiede zwischen Männern und Frauen gab und dass auch Frauen zum Teil wichtige Ämter bekleideten. Erst in den darauffolgenden Generationen lassen sich gesellschaftliche Veränderungen erkennen, die zu großen sozioökonomischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen führten und möglicherweise auch den männlichen Machtanspruch weiter zementierten.
Gerade dieser Aspekt macht das Meret- Neith-Projekt so spannend, da ihr Grab in Abydos nun erstmalig als Königinnengrab untersucht wird. Durch die archäologischen Ausgrabungen werden neue Erkenntnisse gewonnen, die dazu beitragen, die Bedeutung dieser Königin innerhalb der pharaonischen Geschichte weiter zu erforschen.
Das Meret-Neith-Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Österreichischen Wissenschaftsfond (FWF) finanziert und in Kooperation zwischen dem Ägyptischen Ministerium für Tourismus und Altertümer, DAI Kairo, der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der Lund University durchgeführt.