Vielschichtige VerbindungenKeramikdekorationen entlang des Niger

Karte des Forschungsgebiets, die Farben zeigen, welche Fundstellen zu besonders gut vernetzten Gruppen gehörten: Gruppe 1 ist im Bereich des Niger-Innendeltas, Gruppe 2 im Bandiagara-Gebirge und Gruppe 3 erstreckt sich über den gesamten Untersuchungsbereich.
Abb. 3 Karte des Forschungsgebiets, die Farben zeigen, welche Fundstellen zu besonders gut vernetzten Gruppen gehörten: Gruppe 1 ist im Bereich des Niger-Innendeltas, Gruppe 2 im Bandiagara-Gebirge und Gruppe 3 erstreckt sich über den gesamten Untersuchungsbereich.© Marco Puerta- Schardt

Keramik ist die größte Fundgruppe bei Ausgrabungen in westafrikanischen Siedlungen aus der Eisenzeit (800 v. Chr. bis 1500 n. Chr.). Anders als in vielen Regionen der Welt ist die Haushaltskeramik fast immer verziert. Während Bemalung, Ritzungen und Applikationen keine Seltenheiten sind, ist die typische Verzierungstechnik der Region das sog. Roulette. Durch Verdrehen, Flechten oder Verknoten wird aus Streifen oder Schnüren ein Werkzeug geschaffen, das über die Keramik gerollt werden kann und dadurch ein spezifisches Muster auf der Oberfläche hinterlässt. Es gibt insgesamt ca. acht verschiedene Roulettes, teilweise mit mehreren Varianten (Abb. 1). Ihre Diversität ist dabei in der Regel eher regionaler als chronologischer Natur, obwohl an den meisten Fundstellen verschiedene Rouletteverzierungen vorkommen.

Was kann man daraus schließen, wenn eine bestimmte Verzierung an einer Fundstelle vorkommt? Diese Frage beschäftigt Archäologinnen und Archäologen auf der ganzen Welt. In unserer Studie begreifen wir das Vorkommen einer bestimmten Verzierung als Hinweis für technologisches Wissen, das töpfernde Personen besaßen. Die Verbreitung von Dekorationen spiegelt demnach die Verbreitung von angewandtem Wissen wider. Dies gilt allerdings nicht für Dekorationen, die in nur sehr geringen Mengen an einer Fundstelle vorkommen. Diese könnten auch durch Handel und Austausch dorthin gelangt sein, ohne dass die entsprechenden Techniken den lokalen Produzenten bekannt waren.

Wissen verbindet

Sind Scherben an zwei verschiedenen Fundstellen auf die gleiche Weise verziert, teilten sich ihre Bewohner in der Vergangenheit das Wissen um diese Technik. Dieses Wissen kann entweder zwischen verschiedenen Produzenten ausgetauscht oder von Generation zu Generation weitergereicht werden. Wie es dazu kam, kann viele Gründe haben: Das Wissen kann zwischen verschiedenen Handwerkerinnen und Handwerkern weitergereicht worden oder durch die Migration von Individuen oder Gruppen an diese Orte gelangt sein. Diese Prozesse sind nicht immer einfach zu differenzieren. Bei unserem Netzwerkmodell konzentrieren wir uns lediglich darauf, dass die beiden Fundstellen miteinander verknüpft waren. Netzwerkmodelle können mit verschiedenen Programmen erstellt werden, für diese Fallstudie wurde die Programmiersprache R verwendet.

Verfolgt man diese Verbindungen zwischen den Fundstellen der Regionen, so erhält man ein Netzwerkmodell für den untersuchten Zeitabschnitt. Die Knoten der Netzwerke repräsentieren die Fundorte. Ist dieselbe Roulette-Dekoration an zwei Stätten entdeckt worden, so sind diese beiden Orte im Netzwerk miteinander verbunden. Diese Methode ist in den letzten Jahren in der Archäologie immer beliebter geworden, denn sie erlaubt es, den Fokus bei der Betrachtung der Vergangenheit auf die Beziehungen zwischen Siedlungen zu lenken. Dabei wird häufig die Zusammensetzung der Keramikinventare insgesamt verglichen und aus ihrer Ähnlichkeit kulturelle Verbindungen abgeleitet.

Unser Ansatz geht hier differenzierter vor: Es wird für jede der Dekorationstechniken ein eigenes Netzwerk erstellt, das die Verbreitung des damit verbundenen Wissens widerspiegelt. Diese bilden zusammen ein vielschichtiges Netzwerk (Abb. 2). So können wir zum einen Austausch und Vernetzung in der Region als Ganzes untersuchen, zum anderen auch Fragen beantworten, die sich auf spezifische Dekorationen beziehen.

Vielfalt verbindet

Ein Netzwerkmodell, das aus 20 verschiedenen Fundstellen im Umfeld des Nigerbogens besteht und sich auf den Zeitraum von 1000–1200 n. Chr. bezieht, macht deutlich, wie stark die Region verknüpft war. Dies ist nicht das Ergebnis von Traditionen, die innerhalb des gesamten Gebietes verbreitet waren, sondern vieler verschiedener Wissensnetzwerke, die sich an bestimmten Orten überlappen. Die Netzwerkanalyse ermöglicht es, ebendiese Fundstellen, an denen viele verschiedene Praktiken zusammentrafen, zu ermitteln.

Der Vergleich der einzelnen Schichten des Netzwerks zeigt, dass es einige Dekorationen gibt, die in ihrer Verteilung sehr ähnlich sind, während andere fast nie zusammen vorkommen. Außerdem gibt es Fundstellen, die besonders eng miteinander vernetzt sind und Gruppen innerhalb des Netzwerks bilden. Zwei dieser Gruppen weisen eine regionale Dimension auf (Abb. 3). Die erste liegt im Bereich des Binnendeltas, die zweite im Bandiagara- Gebirge. Eine dritte Gruppe erstreckt sich dagegen über das gesamte Untersuchungsgebiet. Ihre Fundstellen wurden als Handelsorte gedeutet und die Verbindungen innerhalb dieser Gruppe sind besonders vielfältig. Die Netzwerkanalyse kann solche weitreichenden Verknüpfungen gut sichtbar machen.

Die Forschungen wurden von Nicolas Gestrich und Juan- Marco Puerta-Schardt im Rahmen des Projektes «Borrowed Words and Shared Objects» des DFG-Schwerpunktprogramms «Entangled Africa» durchgeführt.

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