Der berühmt-berüchtigte «Entdecker » Henry Morton Stanley durchquerte in den 1870er-Jahren das Kongobecken. Dabei begegnete er sesshaften menschlichen Gesellschaften, die außer ganzjährig genutzten Dörfern auf hoch gelegenen Flächen auch kleine, saisonale Fischereicamps in den zahllosen Überschwemmungszonen der Gewässerauen besiedelten. Sie betrieben Landwirtschaft ebenso wie Eisenmetallurgie und unterhielten per Einbaum weit gespannte Tausch- und Handelsnetzwerke entlang der alles durchziehenden Flüsse. Ihre langfristig gereiften Kulturen boten Lösungen zur Meisterung der besonderen naturräumlichen Herausforderungen der diesen Lebensraum prägenden Regenwälder.
Über die früheisenzeitlichen Vorfahren dieser Menschen, die anhand ihrer reich verzierten Keramikgefäße archäologisch erstmals um die Mitte des 1. Jts. v. Chr. fassbar werden, weiß man noch sehr wenig. Sie müssen zugewandert sein – nur: woher? Ihr Lebensunterhalt beruhte bereits auf Landwirtschaft, aber welche Grundnahrungsmittel wurden produziert? Profitierten diese ersten Bauern des Kongobeckens von aufgelichteten, infolge einer überregionalen Klimaschwankung ökologisch gestörten Wäl dern oder mussten sie ihre Wohnflächen, Felder und Gärten dichtem Primärwald abtrotzen? Und wie veränderte sich ihre Umwelt unter anhaltendem Klimawandel und neuen Belastungen durch menschlichen Siedlungsdruck, Bodenbau und Holzentnahme? Mittels systematischer archäo- logischer Ausgrabungen mit archäobotanischen und archäozoologischen Beprobungen sowie Sedimentkernbohrungen für pollenanalytische und geochemische Analysen wird diesen Fragen im Rahmen nationaler und internationaler Kooperationen aktuell nachgegangen.
Herkunft der Erstbesiedler
Die früheste Nutzung des Inneren Kongobeckens durch sesshafte, nahrungsproduzierende Menschen ist archäologisch mit der stilistisch unverwechselbaren Imbonga-Keramik der frühesten regionalen Eisenzeit (ca. 400– 100 v. Chr.) verknüpft (Abb. 1). Dass sie Nachfahren lokaler steinzeitlicher Wildbeuter- Bevölkerungen waren, ist wenig wahrscheinlich, deutet sich dies doch nur vage in wenigen, undatierten Oberflächenfunden von Steinartefakten an. Wir müssen ihre Herkunft vielmehr immigrierten Menschen zuschreiben. Die in das zentrale Kongobecken zugewanderten Pioniere initiierten hier die Eisenzeit, waren die ersten sesshaften, töpfernden, Landwirtschaft und Eisenmetallurgie betreibenden Menschen, mutmaßlich auch die ersten bantusprachigen in diesem Raum. Ihre mit dem Imbonga-Stil begründete Keramiktradition durchlief zwar über fast zweieinhalb Jahrtausende einen lebhaften Wandel, scheint jedoch kontinuierlich mit der aktuell gerade noch in Resten praktizierten lokalen Töpferei verbunden zu sein. Es gibt somit gute Gründe, die früheisenzeitlichen Pioniere für Vorfahren der heute im Inneren Kongobecken lebenden Indigenen zu halten. Die Beantwortung der Frage, woher diese Pioniere ursprünglich stammten, würde somit einen kulturgeschichtlich besonders bedeutsamen Migrationsprozess in Zentralafrika archäologisch belegen.
Imbonga-Keramik ist vor allem im westlichen Teil des Inneren Kongobeckens verbreitet (Abb. 2). Es liegt für die mit der Imbonga-Keramik beginnende Erstbesiedlung des Inneren Kongobeckens aus verkehrsgeografi schen, stilistischen, chronologischen und linguistischen Gründen nahe, ursprüngliche Zuwanderungen stromaufwärts oder stromabwärts über den Kongo anzunehmen und Westzentralafrika als Ursprungsregion zu vermuten. Archäologische Prospektionen entlang der Kongo-Ufer zwischen der Kwa- und der Mongala-Mündung sowie den Zuflüssen Likwala und Kouyou ergaben Funde von Imbonga- Keramik nur zwischen den Orten Bonginda im Norden und Lukolela im Süden (Abb. 3). Likwala und Kouyou erbrachten kein einziges Stück, sondern erwiesen sich als von ganz anderen Keramiktraditionen geprägt – so wie es bereits seit den 1980er-Jahren von Ubangi, Likwala-aux-Herbes und Sangha bekannt gewesen ist. Es bleibt somit weiterhin unbekannt, auf welchen Routen die ersten eisenzeitlichen Siedler in das Innere Kongobecken gelangten. Der Alima und seine Quellflüsse sind nun die nächsten Forschungsziele auf der Suche nach der Lösung dieses siedlungshistorischen Rätsels.
Eisenzeitliche Landwirtschaft und Ernährung
Hinweise auf die Entstehungsregionen jenes Kulturbündels, mit dem die ersten eisenzeitlichen Siedlergemeinschaften in das Innere Kongobecken einwanderten, ergeben sich auch aus neueren Erkenntnissen zur Landwirtschafts- und Ernährungsgeschichte. Noch vor Kurzem war nur deren jüngster Abschnitt bekannt. Am Vorabend der Kolonisation aßen die ansässigen Bevölkerungen – wie heute – vor allem Kochbananen, Maniok, Mais, Zuckerrohr und Wildfrüchte. Fischerei und Jagd trugen ebenfalls beträchtlich zur Ernährung bei, die wenigen als Haustiere gehaltenen Ziegen, Hühner, Enten und Gänse hingegen wenig.
Zu den Grundnahrungsmitteln der früheisenzeitlichen Vorfahren dieser Menschen können Maniok und Mais nicht gehört haben, denn sie stammen aus Amerika und gelangten erst gegen Ende der Frühen Neuzeit in die Region. Auch die Banane war ursprünglich nicht in Afrika, sondern in Asien und Ozeanien heimisch, und Beginn wie Verlauf ihrer Nutzungsgeschichte auf dem afrikanischen Kontinent liegen noch im Dunkeln. Knollen pflanzen wie etwa afrikanischer Yams kommen in Betracht, sind aber wegen ihres schwierigen Nachweises in archäologischen Kontexten bis heute nirgends eindeutig belegt. Die Anfänge der Haustierhaltung in Zentralafrika sind ebenfalls bislang weitgehend ungeklärt, wenngleich Funde von Schafund Ziegenknochen in Südkamerun und Gabun auf Kleinviehhaltung bereits während der Früheisenzeit hindeuten.
Völlig überraschend kamen vor einigen Jahren früheisenzeitliche Funde verkohlter Perlhirsekörner (Pennisetum glaucum) in den Regenwäldern Südkameruns und der Demokratischen Republik Kongo zutage. Weil die inzwischen nirgendwo mehr im äquatorialen Regenwald angebaute Perlhirse zum Gedeihen einer ausgeprägten Trockenzeit bedürfe, ging man zunächst davon aus, dass vor knapp 2400 Jahren ein deutlich saisonaleres Klima geherrscht haben muss. Dies passte gut zu der vor allem aus Pollenanalysen an mehreren westzentralafrikanischen Sedimentbohrkernen gewonnenen Erkenntnis, dass die Regenwälder Zentralafrikas infolge einer Klimaschwankung um die Mitte des letzten Jahrtausends v. Chr. eine ökologische Krise durchliefen und dabei vorübergehend erheblich aufgelichtet worden sein müssen. Anbauexperimente zeigen indessen, dass Perlhirse auch unter den Bedingungen des heutigen Tropischen Regenwaldklimas ohne ausgeprägte Saisonalität gedeiht. Bestätigt wurde dies inzwischen durch neue Funde verkohlter Perlhirsekörner aus dem Inneren Kongobecken, diesmal aus jüngereisenzeitlichen Fundkontexten des 14. bis 16. Jhs., einer Zeit mit weitgehend den heutigen Verhältnissen entsprechenden Klimabedingungen.
Auch für die Früheisenzeit ergeben die neuen archäobotanischen Ergebnisse nun ein vollständigeres Bild: Neben Perlhirse wurde die Kuhbohne angebaut, und man nutzte die Ölpalme ebenso wie diverse Wildpflanzen, unter anderem die ebenfalls ölhaltigen Nüsse des Canarium-Baums (Canarium schweinfurthii). Fragmente verkohlten pflanzlichen Grundgewebes dürften von Knollen stammen, vielleicht von wildem oder domestiziertem Yams. Mit dieser Artenkombination, deren menschliche Nutzung nicht im Regenwald, sondern in Savannen und Wald-Savannen-Grenzsäumen begann, ähnelte die initiale Landwirtschaft des Inneren Kongobeckens älteren Landwirtschaftssystemen Westafrikas, etwa jenen der Kintampo-Kultur Ghanas (um 1700 v. Chr.) oder der Nok-Kultur Nigerias (ca. 800–400 v. Chr.), aber auch solchen des südlichen Tschadseebeckens und der Nordregion des heutigen westafrikanischen Staates Benin. Über Feldanlage und Anbautechniken kann vorerst nur spekuliert werden (Abb. 4).
Pollen – Pflanzenwachse – Paläoökologie
Bislang war unklar, ob die im westlichen Zentralafrika beobachtete Regenwaldkrise des 1. Jts. v. Chr. auch in die zentralen Bereiche des Kongobeckens hineinwirkte. Dort gilt es, anhand neuer Sedimentbohrkerne aus tropischen Torfmooren zuerst einmal eine paläoökologische Basissequenz zu erstellen. Schicht für Schicht werden die so erfassten Ablagerungen abgestorbener pflanzlicher Biomasse beprobt, datiert und pollenanalytisch sowie geochemisch analysiert. Wechselnde Anteile der darin enthaltenen Pollenformen erlauben Rekonstruktionen der Pflanzengesellschaften im Wandel der Zeit. Die schwankenden Verhältnisse stabiler Isotope des Kohlenstoffs (13C/12C) und des Schweren Wasserstoffs (2H/1H) aus Pflanzenwachsen können graduelle Veränderungen des Vegetationstyps zwischen offenem Grasland und dichtem Wald sowie veränderliche Niederschlagsmengen anzeigen.
Bis zu 44 000 Radiokarbonjahre reichen die jetzt verfügbaren Bohrkerne zurück. Nach den Wasserstoffdaten erlebten die in der Früheisenzeit eintreffenden Menschen offenbar kontinuierlich rückläufige Niederschläge, aber weder Pollenanalyse noch Kohlenstoffisotopie lassen in der Periode vor der Zeitenwende Auflichtungen des seit dem Anfang der Sequenz bestehenden Regenwaldes erkennen. Erst um die Zeitenwende kam es zu deutlichem Wandel: Nach den Kohlenstoffwerten war das Kronendach nun offener, und das Pollenspektrum die ser Phase zeigt ein erhöhtes Aufkommen lichtliebender, kletternd wachsender Palmen (Abb. 5). Diese nur über wenige Jahrhunderte anhaltende ökologische Störung veränderte vorübergehend den Charakter des Waldes, fiel aber zu schwach aus, um ihn in Grasland zu verwandeln.
Klima – Kultur – Krisen
Von der großen westzentralafrikanischen Regenwaldkrise – ob diese nun klimagesteuert oder durch menschliche Eingriffe verursacht war – scheint das Innere Kongobecken also verschont geblieben zu sein. Dennoch stellt sich die Frage nach den Faktoren des Vegetationswandels natürlich auch für die dort nach der Zeitenwende festgestellten ökologischen Prozesse. Noch erlauben die verfügbaren archäologischen und paläoökologischen Daten keine eindeutigen kausalen Verknüpfungen mit menschlicher Aktivität oder den Folgen klimatischen Wandels. Als Hypothese darf aber vorerst gelten, dass die zu jener Zeit vollständig etablierte eisenzeitliche Kultur eher mit intensiveren Waldeingriffen im Rahmen von Siedlung und Hausbau, Landwirtschaft, Bootsfertigung und Eisenmetallurgie einherging als die bereits etwa ein halbes Jahrtausend zurückliegende Pionierphase. Ein vergleichsweise schwacher menschlicher Ökodruck müsste unter diesen Voraussetzungen verwundern.
Bedenkt man neben dem Datenmangel auch die bislang nur in Ansätzen verstandene Komplexität der kombinierten Auswirkungen klimatischen Wandels und menschlicher Bewirtschaftung auf innertropische Pflanzengesellschaften, so steht zu erwarten, dass es im Kongobecken noch erhebliche Zeit dauern wird, bis halbwegs belastbare Aussagen zum menschlichen Anteil am regionalen Umweltwandel möglich sind.