Auf dem Weg des geringsten WiderstandesRekonstruktion der Hafenstraße von Knossos mithilfe der Least Cost Path-Analyse

Ein Beispiel für eine Straße und die dazugehörigen Gräber aus klassischer Zeit am Kotzia-Platz in Athen.
Abb. 1 Ein Beispiel für eine Straße und die dazugehörigen Gräber aus klassischer Zeit am Kotzia-Platz in Athen.© V. Antoniadis

Straßen dienten in der Antike nicht nur als Verbindungs- und Transportwege, sondern waren auch Schauplätze bedeutender Ereignisse. Die Reise zu einem Heiligtum gehörte zu einem umfassenden kultischen Erlebnis, wie beispielsweise die große Prozession der Panathenäen auf dem Panathenäischen Weg. Auch Rituale im Rahmen von Bestattungen fanden auf der Straße statt: Bei der ekphora transportierte ein Leichenwagen die verstorbene Person zum Grab. Zudem wurden antike Straßen häufig von Gräbern gesäumt und sind somit die letzte Ruhestätte der Verstorbenen. Die antike Hauptstraße von Knossos auf Kreta könnte eine solche Funktion erfüllt haben. Darauf weisen Untersuchungen der Verteilung von Gräbern in Knossos hin, deren Erkenntnisse wiederum in einer Least Cost Path-Analyse zum Einsatz kommen. Bei dieser Methode wird der Weg des geringsten Widerstands zwischen zwei Orten berechnet, um sich dem möglichen Straßenverlauf anzunähern.

Gräber helfen bei der Rekonstruktion

Die Konzentration von Gräbern aus der frühen Eisenzeit, hauptsächlich im Norden und Nordwesten von Knossos, wirft Fragen auf. Einige Forscherinnen und Forscher sehen darin Überreste früherer Dörfer vor der Entstehung der Stadt Knossos, während andere sie als Teil einer frühen Siedlung betrachten, deren Bewohner im Nordfriedhof begraben wurden. Da der Bau von Kammergräbern eine günstige Hanglage und weichen Kalkstein erforderte, könnte auch die Geländebeschaffenheit eine Rolle gespielt haben. Auch soziale Unterschiede werden als Erklärung genutzt. Ein weiterer möglicher Grund könnte jedoch die Nähe zur Straße sein.

Die genaue Lage der Straße, die Knossos mit seinem Hafen verband, ist bislang unbekannt, aber vermutlich spielte sie eine bedeutende Rolle bei den Trauerzügen. Einige Gräber enthielten Hinweise auf die ekphora, wie Doppel-Pferdebestattungen und Bestandteile von Pferdegeschirren. Da Streitwagen und Wagen zu den Grabstätten gelangen mussten, könnten sich die Gräber entlang der Straße befunden haben – ein Ansatzpunkt für die Suche nach dem Verlauf dieser wichtigen Route. Geht man davon aus, dass hochrangige Personen an auffälligen Orten entlang dieser Route bestattet wurden – zur öffentlichen Darstellung und wegen der Trauerzüge mit Wagen und Streitwagen – können ihre Gräber bei der Rekonstruktion des Straßenverlaufs helfen.

Auf der Suche nach antiken Straßen

Die Least Cost Path-Analyse in einem geografischen Informationssystem berechnet die optimale Route zwischen zwei Orten unter Berücksichtigung von Faktoren wie der Geländeneigung, die anhand eines digitalen Höhenmodells ermittelt wird. Weil die Geländedaten von Satelliten stammen und somit die aktuelle Topografie beschreiben, muss ihre Übereinstimmung mit den Bedingungen der Vergangenheit kritisch geprüft werden. Durch die Kombination dieser Daten mit archäologischen Überresten antiker Straßen, wie beispielsweise Karrenspuren und Grabstätten, können wir versuchen, die Verläufe alter Straßen zu rekonstruieren. Straßen, die für die Nutzung mit Wagen geeignet waren, wiesen üblicherweise eine Steigung von 8 bis 12 % auf. Wenn die Steigung höher war, wurde der Transport mit Wagen stark erschwert. Mithilfe eines speziellen Algorithmus für Straßen mit einer durchschnittlichen Steigung von 10 % wurden potenzielle Straßenverläufe ermittelt. Dabei wurden verschiedene Ausgangspunkte berücksichtigt, darunter das Zentrum der früheisenzeitlichen Siedlung und der minoische Palast aus der Bronzezeit.

Knossos und Heraklion in minoischer Zeit und der frühen Eisenzeit. Die LCPs wurden mithilfe der Herzogschen Kostenfunktion für Radfahrzeuge berechnet.
Abb. 2 Knossos und Heraklion in minoischer Zeit und der frühen Eisenzeit. Die LCPs wurden mithilfe der Herzogschen Kostenfunktion für Radfahrzeuge berechnet. V. Antoniadis / Open- StreetMap contributors, European Space Agency, Sinergise (2021), Copernicus Global Digital Elevation Model.

Durch den Vergleich der Gräberverteilung mit den vermuteten Standorten der minoischen und früheisenzeitlichen Häfen stellte sich heraus, dass es nur eine Route gibt, die vom Siedlungsort zu ihnen führt. Diese Route verläuft entlang der meisten eisenzeitlichen Kammergräber. Die Least Cost Path-Analysen deuten darauf hin, dass der früheisenzeitliche Hafen von Knossos sich im selben Bereich befindet wie der venezianische Hafen in Heraklion (1204–1669). Die Hauptstraße, die Knossos mit seinem Hafen verband, hatte wahrscheinlich einen ähnlichen Verlauf wie die heutige Knossos Avenue. Dagegen weisen die bronzezeitlichen Gräber und früheisenzeitlichen Siedlungszentren, ausgehend vom minoischen Palast, eine deutlichere Verbindung zur minoischen Hafenstadt bei Poros und Katsambas auf.

Karte mit LCPs und akkumulierten Kosten.
Abb. 3 Karte mit LCPs und akkumulierten Kosten. V. Antoniadis / Open- StreetMap contributors, European Space Agency, Sinergise (2021), Copernicus Global Digital Elevation Model.

Die Untersuchung der Landschaft und der Grabstätten rund um Knossos und Heraklion stellt aufgrund von Veränderungen durch historische Befestigungen aus venezianischer Zeit und moderne Baumaßnahmen eine Herausforderung dar. Dennoch können innovative Methoden wie die Least Cost Path-Analyse helfen, die Beziehung zwischen Knossos und seinen Häfen im Laufe der Geschichte besser zu verstehen.

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