Hellenistische Pracht und lokale InterpretationDie Architektur der Nabatäer

Die berühmten Felsfassaden der UNESCO-Welterbestätte Petra faszinieren die Besucher seit mehr als 200 Jahren. Blieb in der Vergangenheit die Forschung v. a. auf die Felsarchitektur beschränkt, bieten die archäologischen Grabungen der letzten 30 Jahre sowie aktuelle Untersuchungen die Möglichkeit, auch die Architektur der freistehenden Bauwerke des Stadtzentrums und deren Charakter eingehender zu analysieren und neue Einblicke zu präsentieren.

Abb. 1 Die Felsarchitektur Petras am Beispiel der Khasneh Firaun (BD 62) und des sog. Waffengrabs (BD 649).
Abb. 1 Die Felsarchitektur Petras am Beispiel der Khasneh Firaun (BD 62) und des sog. Waffengrabs (BD 649).© M. Dehner

Seit der Wiederentdeckung Petras zu Beginn des 19. Jhs. durch Johann Ludwig Burckhardt waren es insbesondere die berühmten Felsmonumente, welche die Besucher Petras in ihren Bann zogen und einen umfassenden Eindruck der hohen Qualität nabatäischer Handwerkskunst vermitteln. Diese Monumente sind Zeugnisse eines umfassenden kulturellen Austausches, an denen die Adaption einzelner Dekorformen aus unterschiedlichen Einflussgebieten sowie deren Umgestaltung und Neukombination beobachtet werden kann, die zur Ausbildung einer eigenen, charakteristischen Architektursprache führte.

Aufgrund der leichten Zugänglichkeit fokussierten sich die Untersuchungen zu nabatäischer Architektur und Baudekor lange Zeit auf eben jene Felsfassaden, sodass generelle Aussagen zur Architektur anhand dieser getroffen und nur wenige Bauwerke des Stadtzentrums in diesen Diskurs aufgenommen wurden. Seit J. McKenzies umfangreicher Studie zur Architektur der Nabatäer (1990) wurden die Forschungen im Zentrum Petras, aber auch in der Peripherie intensiviert. Insbesondere die Bauten an der Südseite der zentralen Säulenstraße, die Wohnbauten auf ez-Zantur und das Temenosareal mit seinen angrenzenden Bauten wurden und werden von internationalen Teams intensiv erforscht (S. 15, Abb. 2). Gleiches gilt für den Löwen- Greifen-Tempel nördlich der Säulenstraße und ein Stadtquartier im Nordosten des Stadtzentrums, sodass eine Vielzahl an neuen Befunden zur Architektur und v. a. zu einzelnen Baugliedern vergleichend analysiert werden konnte. Auch wenn die Stadtanlage als solche noch immer unklar ist, können die charakteristischen Merkmale bezüglich der nabatäischen Architektur im Allgemeinen und ihres repräsentativen Charakters im Besonderen identifiziert werden.

Abb. 2 Blick in das Stadtzentrum von Ost nach West. An der Südseite der Säulenstraße (1) reihen sich der Obere Markt (2), der Paradeisos (3) und der sog. Große Tempel (4) aneinander. Das Temenostor (5) trennt die Säulenstraße vom Temenos, in dem im Osten Bau 2/Bâtiment B (6) und der Haupttempel der Nabatäer, der Qasr al-Bint (7), zu sehen sind.
Abb. 2 Blick in das Stadtzentrum von Ost nach West. An der Südseite der Säulenstraße (1) reihen sich der Obere Markt (2), der Paradeisos (3) und der sog. Große Tempel (4) aneinander. Das Temenostor (5) trennt die Säulenstraße vom Temenos, in dem im Osten Bau 2/Bâtiment B (6) und der Haupttempel der Nabatäer, der Qasr al-Bint (7), zu sehen sind. M. Dehner

Merkmale nabatäischer Architektur

Die Nabatäer verfügten als ursprünglich nomadisch lebendes Volk über keine autochthone Architekturtradition. Deutlich sind verschiedene Einflüsse aus dem hellenistischen Kulturraum, insbesondere dem ägyptisch-alexandrinischen Raum fassbar, die ergänzt durch altorientalische und arabische Bauformen den so speziellen eklektischen Charakter der nabatäischen Architektur ausmachen. Ursprünglich nicht zusammengehörige Elemente, beispielsweise Bestandteile der griechisch- römischen Bauordnungen, wurden in der Felsarchitektur mit dem ägyptischen Architrav und dem Motiv der bekrönenden Zinnenfriese (Abb. 1) kombiniert. Auch in der freigebauten Architektur des Stadtzentrums, in der v. a. Elemente des griechisch-römischen Formenrepertoires dominieren, wurden Elemente unterschiedlicher Ordnungen frei gemischt.

Inmitten des Talkessels wurden in der Zeit Aretas IV. (9 v. bis 40 n. Chr.), vom Ende des 1. Jhs. v. Chr. bis in das zweite Viertel des 1. Jhs. n. Chr., entlang der zentralen Achse durch die Stadt zahlreiche luxuriös ausgestattete, monumentale Bauten errichtet, die noch heute unser Bild von Petra bestimmen (Abb. 2). Darunter befanden sich u. a. Tempelbauten, Terrassenanlagen sowie Platz- und Gartenanlagen mit zentralem Wasserbecken. Südlich von diesen standen luxuriöse Wohnhäuser auf dem Siedlungshügel ez-Zantur. Die heute das Zentrum dominierende gepflasterte Säulenstraße und das Temenostor wurden erst Ende des 1. Jhs. n. Chr. bzw. nach der Annexion durch die Römer im Jahre 107 n. Chr. errichtet. Deutlich wird der hellenistische Einfluss in der Anlage der nördlich und südlich des Wadi Musa gelegenen Terrassenanlagen, des Löwen-Greifen-Tempels (Abb. 3) und des sog. Großen Tempels, die in ihrer Gestaltung an hellenistische Terrassenheiligtümer, wie das Asklepiosheiligtum auf Kos und das Athenaheiligtum auf Lindos erinnern.

Abb. 3 Luftbild vom Areal des Löwen-Greifen-Tempels. Von der Säulenstraße (1) führte in der Antike eine Brücke über das Wadi Musa, von der man auf die untere Terrasse (2) gelangte. Über eine Treppenanlage (3) kam man auf die nächste Terrasse. Der Zugang zum Tempel (4) ist unklar.
Abb. 3 Luftbild vom Areal des Löwen-Greifen-Tempels. Von der Säulenstraße (1) führte in der Antike eine Brücke über das Wadi Musa, von der man auf die untere Terrasse (2) gelangte. Über eine Treppenanlage (3) kam man auf die nächste Terrasse. Der Zugang zum Tempel (4) ist unklar. ACOR Jordan / TWLCRM Archive, Chris Tuttle 2014

Das bisherige Bild nabatäischer Architektur ist durch zwei grundlegende Beobachtungen geprägt. Zum einen ist dies das eklektische Zusammenführen verschiedener Dekorelemente, die aus den umliegenden Kulturkreisen übernommen, umgebildet und neu kombiniert wurden. Dies zeigt sich nicht nur im Gesamtbild der Architektur, in welcher Elemente klassischer Bauordnungen, aber auch aus der ägyptischen sowie assyrischen und archä- menidischen Architektur zu erkennen sind, sondern auch in der Adaption und im Zusammenführen unterschiedlicher Schmuckelemente an einem einzelnen Bauglied.

In Petra etablierte sich sowohl an den Felsmonumenten als auch in der frei gebauten Architektur eine komposite Bauordnung, die Elemente der ionischen Ordnung (Basis, Zahnschnitt) und der dorischen Ordnung (Metopen- Triglyphen-Fries) mit dem nabatäischen Kapitell als besonderem Merkmal verband. Dieser Aufbau kann als kanonisch angesehen werden, wobei der Architrav alternativ auch als Faszienarchitrav und der Fries als ionischer Fries ohne Metopen und Triglyphen ausgeführt werden konnten.

Das zweite Merkmal des nabatäischen Baudekors zeigt sich im auffälligen Nebeneinander zweier Dekorationsprinzipien, die v. a. in der dekorativen Gestaltung von Kapitellen, Architraven und Friesen erkennbar sind. Diese können einerseits einen reichen figürlichen und vegetabilen Reliefdekor und andererseits einen in seiner Ausführung schlichten, mit charakteristischen Abfolgen von Kanten- und Kurvenprofilen versehenen Dekor aufweisen, der mit regelhaft geglätteten Oberflächen in starkem Kontrast zum ersten steht (Abb. 4).

Abb. 4 Schematische Darstellung der kompositen nabatäischen Bauordnung mit möglichen Variationen des eher schlichten Dekors bzw. reichem ornamentalem Dekor.
Abb. 4 Schematische Darstellung der kompositen nabatäischen Bauordnung mit möglichen Variationen des eher schlichten Dekors bzw. reichem ornamentalem Dekor. M. Dehner

Abb. 5 Typologie der nabatäischen Kapitelle.
Abb. 5 Typologie der nabatäischen Kapitelle. M. Dehner

Das nabatäische Kapitell

Als beispielhaft für beide Charakteristika, die formale Übernahme und Transformation von Einzelelementen sowie die Dualität in der Ausführung des Dekors, sind die nabatäischen Kapitelle anzusehen (Abb. 5). In ihnen spiegeln sich alle Eigenschaften wider, die als typisch nabatäisch gelten könnte. Die Dualität von reich ornamentierten Baugliedern und solchen mit reduziertem Dekor zeigt sich in der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Kapitelltypen. Auf formaler Ebene stehen sich eine im ornamentalen Dekor reduzierte, einfache und eine komplex dekorierte Erscheinungsform gegenüber.

Charakteristisch für die Kapitelle ist ein paarweises Auftreten der unterschiedlichen Typen, die sowohl als einfach dekoriertes Kapitell mit glatten Oberflächen (einfaches nabatäisches Kapitell) als auch als komplex dekoriertes Kapitell mit skulptiert ausgeführtem Dekor (skulptiertes nabatäisches Kapitell) produziert wurden. Die skulptierten Kapitelle zeigen einen reichen, ornamentalen, meist vegetabilen Dekor sowie teilweise figürliche Skulptur in Form von Löwen-, Ziegen- oder auch Elefantenköpfen anstelle von Voluten sowie anthropomorphe Skulptur anstelle von Abakusblüten (Abb. 6). In der Grundform gehen die Typen 1, 2 und 3 auf korinthische bzw. korinthisierende Kapitelle alexandrinischer Prägung zurück, während das ionische Kapitell als Vorbild für Typ 4 identifiziert werden kann (vgl. Abb. 5). Die Ausführung und Gestaltung des Kalathosdekors können als distinktiv nabatäisches Merkmal angesprochen werden, dessen Ursprünge in der alexandrinischen bzw. kleinasiatischen Architektur vermutet werden können. Hier wurde das Element der Ranke, das eigentlich als Reliefdekor an Friesen und Pfeilern in der Architektur Verbreitung fand, in den Kalathos übernommen. Bei den einfachen nabatäischen Kapitellen handelt es sich um eine im Ornament reduzierte Ausführung, die der skulptierten Form gegenübersteht, deren dekorative Merkmale in bossierter Form ausgeführt wurden und geglättete Oberflächen aufweisen. Die Ausführung der einfachen sowie der skulptierten Kapitellformen unterscheiden sich von den Vorbildern derart, dass eine eigene nabatäische Interpretation angenommen werden muss.

Abb. 6 Beispiel eines skulptierten nabatäischen Kapitells aus dem Löwen-Greifen-Tempel mit Resten von geflügelten Löwen, die anstelle von Voluten ausgeführt waren.
Abb. 6 Beispiel eines skulptierten nabatäischen Kapitells aus dem Löwen-Greifen-Tempel mit Resten von geflügelten Löwen, die anstelle von Voluten ausgeführt waren. M. Dehner

Abb. 7 Beispiele von einfachen nabatäischen Kapitellen im Areal des Löwen-Greifen-Tempels.
Abb. 7 Beispiele von einfachen nabatäischen Kapitellen im Areal des Löwen-Greifen-Tempels. M. Dehner

In der Vergangenheit wurde v. a. die einfache Form des Kapitells als «nabatäisch » angesprochen und wahlweise als Hörner- oder Bossenkapitell bezeichnet (Abb. 7), wobei der Begriff «nabatäisch» auch auf die skulptierte Variante angewandt werden muss. Die typologische Verwandtschaft beider Kapitellformen und die individuelle Gestaltung des Dekors, der so nur in nabatäischen Kontexten zu finden ist, erlaubt es, beide Kapitellformen als genuine Produkte nabatäischen Handwerks anzusprechen. Die Handwerker übernahmen bekannte Formen aus dem östlichen Mittelmeerraum und schufen mit der finalen Form ein Bauglied, das in seiner Erscheinung typisch für die nabatäische Architektur werden sollte und in Form des einfachen Kapitells in allen nabatäischen Siedlungen wiederzufinden war. Hierbei unterscheidet sich das einfache nabatäische Kapitell in seiner Form deutlich von anderen bossiert gearbeiteten Kapitellen des Mittelmeerraumes, beispielweise auf Zypern und in Ägypten. Die weite Verbreitung der kanonischen Form im Nabatäerreich, insbesondere der Typ-1- und Typ-2- Kapitelle, von Hegra im Süden bis Bosra im Norden und Obodas im Westen, macht deutlich, dass es sich bei dieser Kapitellform um ein bewusst geschaffenes Bauglied handelt, das als künstlerisches Endprodukt anzusehen ist.

Architektur des Stadtzentrums

Die Bauten des Stadtzentrums waren, sofern sie repräsentative Architektur aufwiesen, stets in der zuvor beschriebenen kompositen Bauordnung errichtet worden, die sich lediglich durch die Nutzung einer der beiden Dekorationsprinzipien unterschieden. Skulptierte Kapitelle, als Beispiel der reichen, ornamentalen Ausstattung, treten im Stadtzentrum in großer Zahl auf, wobei nicht alle Befunde einem konkreten Bau zugewiesen werden können. Nach aktuellen Erkenntnissen kann die Nutzung dieser Kapitelle, aber auch anderer, mit reichem Ornament oder figürlichem Dekor ausgeführter Bauglieder in der freigebauten Architektur auf die höchst repräsentativ ausgestatteten Privat-, Tempel- und Versammlungsbauten entlang der Säulenstraße und des Temenos, sowie unmittelbar nördlich und südlich des Wadi Musa eingegrenzt werden, die mutmaßlich in der Zeit Aretas IV. (9 v. bis 40 n. Chr.) entstanden sind.

Neben der skulptierten Version waren aber auch die Kapitelle der einfachen Variante, die stellvertretend für das schlichte Dekorationsprinzip stehen, nicht nur an den Fassaden, sondern vielfach auch als Säulenkapitell präsent. Beide Kapitellformen waren in der freigebauten Architektur Petras des späten 1. Jhs. v. Chr. und der ersten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. weit verbreitet und für die dekorative Ausstattung repräsentativer Bauten von großer Bedeutung. Die Nutzung des skulptierten Kapitells an den monumentalen Bauten des Stadtzentrums ist seit Langem belegt. Parallel zu diesem wurden jedoch auch die einfachen nabatäischen Kapitelle, die häufig mit der Felsarchitektur assoziiert wurden, im Stadtzentrum Petras umfangreich genutzt. Diese wurden sowohl an architektonisch gegliederten Außenfassaden einiger Bauten als auch in Kolonnaden und Innenräumen verwendet. Die Dualität des nabatäischen Baudekors zeigt sich hier in der Ausstattung der Bauten mit reich geschmückten skulptierten Kapitellen sowie der parallelen Nutzung der im Dekor reduzierten einfachen Form.

Abb. 8 Fragmente eines Anten- oder Pilasterkapitells vom Qasr al-Bint.
Abb. 8 Fragmente eines Anten- oder Pilasterkapitells vom Qasr al-Bint. M. Dehner

Abb. 9 Qasr al-Bint und Bâtiment B / Bau B von Nord-Ost (Rekonstruktionsvorschlag).
Abb. 9 Qasr al-Bint und Bâtiment B / Bau B von Nord-Ost (Rekonstruktionsvorschlag). Mission Archaéologique française à Pétra / T. Fournet (Ifpo, 2017)

Eine gleichzeitige Nutzung der einfachen und skulptierten Form am gleichen Bau wird beispielsweise durch Befunde im sog. Bâtiment B (Bau B), östlich an den nabatäischen Haupttempel Qasr al-Bint angrenzend, und in der Villa ez-Zantur IV nahegelegt. Die Säulen und Pilaster des Pronaos und der Fassade wie auch die Säulen der außerhalb der Cella umlaufenden Säulenhalle des Qasr al-Bint, der als einziger Bau relativ sicher an den Beginn des 1. Jhs. n. Chr. datiert werden kann, waren mit skulptierten Kapitellen des Typs 1 bekrönt (Abb. 8). Auch alle anderen Bauteile des Gebälks wiesen einen reichen floralen und teils figürlichen Dekor auf. Im Gegensatz hierzu zeigt das unmittelbar angrenzende und vermutlich in zeitlicher Nähe errichtete Bâtiment B in seiner Fassadengestaltung einen schlichten Dekor mit geglätteten Oberflächen, deren türrahmende Pilaster mit einfachen nabatäischen Kapitellen des Typs 1 bekrönt waren (Abb. 9). Im Inneren von Bâtiment B wurden wiederum skulptierte Kapitelle des Typs 1 genutzt.

Ähnlich verhält es sich beim etwas später erbauten Löwen-Greifen-Tempel, welcher der abschließende Bestandteil einer Terrassenanlage war. Während die Säulen- und Antenkapitelle des Pronaos, der Vorhalle, sowie in der Cella mit skulptierten nabatäischen Kapitellen des Typs 1 bekrönt waren (vgl. Abb. 7), wurden in der Fassadenarchitektur des unmittelbar nördlich angrenzenden Baus sowie in den flankierenden Säulenhallen der Terrasse unterhalb des Löwen-Greifen- Tempels die schlichteren, einfachen nabatäischen Kapitelle genutzt (Abb. 10). Eine Gleichzeitigkeit der Gestaltung der unteren Terrasse sowie des Tempelbaus kann angenommen werden, da der Weg von der zentralen Straße zum Tempel über diese Terrasse führte. Ob der nördlich angrenzende Bau erst in der Nachfolge der Terrassenanlage errichtet wurde, muss derzeit offenbleiben.

Abb. 10 Eine Säule der westlichen Portikus in Sturzlage auf der Terrasse unterhalb des Löwen-Greifen-Tempels.
Abb. 10 Eine Säule der westlichen Portikus in Sturzlage auf der Terrasse unterhalb des Löwen-Greifen-Tempels. M. Dehner

Abb. 11 Luftbild von Struktur 2/Bau 2 im Areal des North-Eastern Petra Projects.
Abb. 11 Luftbild von Struktur 2/Bau 2 im Areal des North-Eastern Petra Projects. ACOR Jordan / TWLCRM Archive, Chris Tuttle 2014

In der Villa ez-Zantur IV kommen die einfachen und die skulptierten Dekorformen gemeinsam im gleichen baulichen Kontext vor. Im Hof der Villa wurden skulptierte Kapitelle auf den Säulen in den Durchgängen zu den einzelnen Bereichen der Villa verwendet, während die einfachen Kapitelle die korrespondierenden Pilaster bekrönten. Prinzipiell scheint die Nutzung des reichen Dekorationsprinzips an den meisten monumentalen Bauten des unmittelbaren Stadtzentrums belegbar und konnte für die Vorhallen und auch Innenräume der größten Bauten nachgewiesen werden. Das einfachere Dekorationsprinzip wiederum scheint eher im Kontext architektonisch gegliederter Fassaden oder bei von Pilastern gerahmten Durchgängen verwendet worden zu sein. Allerdings gibt es auf einem Plateau im Nordosten des Stadtzentrums, von dem man das gesamte Zentrum überblicken kann, einen Bau (Abb. 11), mutmaßlich aus dem ersten Viertel des 1. Jhs. n. Chr., der in seiner Größe und Lage der Villa ez-Zantur IV in nichts nachsteht, in dem allerdings ausschließlich Dekorelemente mit geglätteten Oberflächen, inklusive einer Vielzahl von einfachen nabatäischen Säulen- und Pilasterkapitellen im Rahmen des North-Eastern Petra Projects (NEPP) dokumentiert werden konnten (Abb. 12).

Hinsichtlich der Dekorelemente mit geglätteten Oberflächen bleibt zu bedenken, dass diese nicht zwangsläufig als solche in der finalen Erscheinung erkennbar gewesen sein müssen. In einigen Beispielen an der Felsarchitektur, aber auch an einem Kapitell aus der Villa ez-Zantur wird deutlich, dass die Oberflächen eine zusätzliche Bemalung aufweisen konnten. Dass Wandbemalung eine große Rolle bei der Innenraumdekoration spielte, ist vielfach nachgewiesen. Inwiefern eine etwaige Bemalung die Wirkung des formalen Charakters von Kapitellen und Gesimsen mit geglätteten Oberflächen beeinflusste, kann ohne weitere Studien nicht mit Sicherheit gesagt werden. Reich ornamentierte Bauglieder und umfangreicher Reliefdekor gab es außerhalb von Petras Stadtzentrum selten. Diese Bauglieder traten räumlich sehr begrenzt auf und sind, bis auf wenige Ausnahmen, im unmittelbaren Stadtzentrum Petras zu verorten, sowie zeitlich v. a. in die erste Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. zu datieren.

Abb. 12 Schematische Darstellung von Säulenstellungen in Struktur 2/Bau 2 im Areal des North-Eastern Petra Projects.
Abb. 12 Schematische Darstellung von Säulenstellungen in Struktur 2/Bau 2 im Areal des North-Eastern Petra Projects. M. Dehner

Ergebnis einer Monumentalisierungsphase?

Ein Großteil der erhaltenen Bauwerke Petras und der auffindbaren Bauglieder geht auf eine umfassende Bautätigkeit in der Zeit Aretas IV. zurück. Aufgrund ihrer Datierung in die erste Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. können eindeutige Entwicklungstendenzen bezüglich des Baudekors festgestellt werden. Es kam zu einer Standardisierung in der Kombination und Nutzung einzelner Bauglieder sowie in deren Gestaltung. Es haben sich uniforme Kapitellformen, aber auch Basis- und Gesimsformen, für deren Vorstellung hier leider nicht genügend Platz war, herausgebildet, welche das Erscheinungsbild sowohl der freistehenden Bauten als auch der Felsarchitektur bestimmten.

Spätestens zum Ende des ersten Viertels des 1. Jhs. n. Chr. lässt sich eine einheitliche Bauordnung feststellen. Diese kann regional als nabatäische Ordnung bezeichnet werden, die in zwei unterschiedlichen dekorativen Ausführungen auftreten konnte und deren Nutzung nicht auf einen bestimmten Gebäudetyp beschränkt war, sondern in allen repräsentativ ausgestatteten Bauten des Stadtzentrums formelhaft immer wieder Verwendung fand.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Entwicklung einer einheitlichen Architektursprache abgeschlossen, die sich in einer Dualität von reich ornamentierten und mit Relief verzierten Baugliedern und solchen mit reduzierten Dekorschemata präsentierte. Diese Merkmale sprechen deutlich dafür, dass es, unter Berücksichtigung einer längeren Planungsphase und der Dauer einzelner Bauvorhaben, ein zentral gesteuertes Bauvorhaben gegeben haben muss, im Zuge dessen sich das komplette Stadtbild verändert hat. Ein weiteres Indiz für ein umfassendes, eventuell vom Königshaus gesteuertes Bauprogramm ist auch in den dokumentierten standardisierten Bauprozessen zu sehen.

Es gibt deutliche Hinweise auf eine serielle Produktion von Kapitellen, die nach bestimmten Größenvorgaben hergestellt wurden. Ein durchrationalisierter und standardisierter Abbauprozess im Steinbruch unterstützt die umfassenden Bauarbeiten. Eine Auswertung von Säulenstellungen aus unterschiedlichen Bauten hat aufgezeigt, dass es im Stadtzentrum für die Mehrzahl ein Standardmaß gab, das zwischen 0,62 m bis 0,80 m Säulendurchmesser lag, wobei Säulen von Innenräumen Maße von 0,60 bis 0,70 m und Säulen von Portiken in der Regel 0,80 m Durchmesser aufwiesen. Hierdurch war es möglich, eine große Anzahl an Stützen, Kapitellen und Basen für unterschiedliche Bauwerke parallel zu produzieren.

Sowohl in der Felsarchitektur als auch in freistehenden Bauten dominieren Säulenstellungen und Wandstützensysteme, die nach hellenistischem Vorbild als freistehende Säulen und gekuppelte Halbsäulen in Hallenarchitekturen, sowie als Halbsäulen, Pilaster und mit Viertelsäulen gekuppelte Pilaster als wandgliedernde Elemente an Außenfassaden und Wänden von Innenräumen Verwendung fanden. Hinzu treten Gebälkelemente der dorischen Ordnung, in Form des dorischen Frieses, und der ionischen Ordnung, in Form von Gesimsblöcken nach ionischem Vorbild, die in einer kompositen Ordnung miteinander kombiniert wurden. Das Stadtzentrum erhält so im Laufe des 1. Jhs. n. Chr. ein einheitliches Erscheinungsbild, das sich sowohl in den freistehenden Bauten als auch in der Felsarchitektur widerspiegelt.

Die Nutzung von Bauteilen mit skulptiert ausgeführtem Dekor ist räumlich auf das unmittelbare Stadtzentrum und zeitlich auf die erste Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. beschränkt. Je weiter die Bauten vom Stadtzentrum entfernt waren, desto weniger Befunde reich ornamentierten Baudekors lassen sich fassen. In den baulichen Strukturen der umliegenden Wadis und Anhöhen sowie im direkten Umland Petras dominiert die nabatäische Ordnung mit einfachen Kapitellen und weiteren Baugliedern, die regelhaft im Duktus des schlichten, durch klar strukturierte Profilleisten und glatte Oberflächen dominierten Baudekors vorkommen. Es muss von einer kontinuierlichen Nutzung des einfachen Dekors über das gesamte 1. Jh. n. Chr. ausgegangen werden. Dies entspricht wiederum dem Bild, das auch die Felsfassaden Petras vermitteln, die vom Ende des 1. Jhs. v. Chr. bis in das 2. Jh. n. Chr. datieren. Rechnet man dem skulptiert ausgearbeiteten Dekor einen höheren repräsentativen Wert zu als den schlichten Dekorelementen, so ist das Stadtzentrum als eine Art Schaufenster zu sehen, in dem die Nabatäer ihr Kunstschaffen präsentierten.

Unter Berücksichtigung des Umlandes und der Baureste in anderen nabatäischen Siedlungen in Hegra, im Wadi Ramm, in Obodas und Bosra, wird deutlich, dass sich das schlichte Dekorsystem mit klaren Kanten- und Kurvenprofilen und glattbelassenen Oberflächen, sowie dessen herausragender Vertreter, das einfache nabatäische Kapitell, als identitätsstiftendes Merkmal durchgesetzt und in allen nabatäischen Siedlungen des 1. Jhs. n. Chr. Verbreitung gefunden hat.

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