Das Forschungszentrum der Grabung Tell Atchana, Alalakh («Aççana Höyük Kazıları ve Amık Ovası Araştırma Merkezi», kurz AHAM) in der Nähe der Stadt Antakya in der türkischen Provinz Hatay, beheimatet seit zwanzig Jahren jeden Sommer das Grabungsteam, geleitet von Murat Akar (Mustafa-Kemal-Universität, Hatay). Dieses Jahr forschen, lehren, arbeiten und lernen hier 30 Mitarbeitende aus der Türkei, Tunesien, den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Das Fundlager beheimatet zudem Funde von hunderten von Surveys und Grabungen, welche seit den 1990er-Jahren in der Amuk-Ebene durchgeführt wurden, sowie von in den 1930er- und 1940er-Jahren durchgeführten Grabungskampagnen. Zusätzlich zu Wohn-, Schlaf- und Essräumen bietet das Zentrum ein Konservierungslabor, Platz für das Studium und die Verarbeitung von Keramik, Kleinfunden, archäozoologischen und archäobotanischen Proben sowie bioarchäologischen Untersuchungen.
Dieser multidisziplinäre Ansatz ermöglicht an der Grabung teilnehmenden Studierenden – zusätzlich zur Feldforschung – einen Einblick in die volle Bandbreite archäologischer Methoden und Ansätze sowie Doktoranden und Spezialisten die Möglichkeit, ihre Forschung in einem breiteren Kontext und unter Austausch mit Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachrichtungen zu betreiben.
Die von Müge Bulu geleitete Keramikforschung umfasst eine große Bandbreite von Ansätzen (Abb. 1). Die Erarbeitung von Typologien von Formen über einen langen Zeitraum, welcher die Mittlere und Späte Bronzezeit und den Beginn der Frühen Eisenzeit (ca. 2100–1000 v. Chr.) umfasst, erlaubt ein breites Verständnis von Koch- und Essgewohnheiten aller Einwohner Alalakhs in Leben und Tod, da hier sowohl Paläste und Tempel wie auch Wohngebiete und Gräberfelder untersucht werden. Petrographische Studien offenbaren die Zusammensetzung und Herkunft des verwendeten Lehms sowie von Einschlüssen wie Muschelschalen, Häcksel oder Mineralien (Abb. 2). Auch hieraus lassen sich mithilfe von Zoologen, Botanikern und Geologen Rückschlüsse über die Veränderungen der Beziehung der Bewohner Alalakhs zu ihrer natürlichen Umgebung (Boden-, Pflanzenund Wassernutzung) über einen langen Zeitraum ziehen. Diese fließen dann in die Interpretation der Produktionsmethoden der Keramik, von der Tonaufbereitung bis zum Brennen, ein und erlauben durch das Studium technologischer Unterschiede die Identifizierung verschiedener Werkstätten und Keramikproduktionsverbände.
Die Doktorandin Seren Burgaç von der Universität Tübingen studiert die Ernährungspraktiken in Alalakh in der Mittleren Bronzezeit (ca. 2100–1600 v. Chr.) anhand archäobotanischer Proben (Abb. 3). Die Erforschung des Anbaus verschiedener Nutzpflanzen wird auch in ein Projekt einfließen, das Landwirtschaft und Ernährung im Amuk-Tal in den größeren Kontext des östlichen Mittelmeerraums stellt.
Konservatorin Hatice Nur Aydın ist seit 2022 dabei. Sie konserviert die gesamte Bandbreite der Kleinfunde wie auch die fragile Lehmziegel- und Orthostatenarchitektur auf dem Hügel (ANTIKE WELT 6.23). Keilschrifttafeln erfordern besondere Erfahrung in der Konservierung und großes Geschick bei der Arbeit. In Zusammenarbeit mit Jacob Lauinger (Johns Hopkins University) und seiner Doktorandin Zeynep Türker behandelt sie diese Objekte, welche anhand ihrer schriftlichen Inhalte wichtige Hinweise über die Geschichte und die Wirtschafts- und Regierungsformen Alalakhs in der Bronzezeit liefern (Abb. 4).
Tara Ingman und Hélène Maloigne sind für die Registrierung der Kleinfunde und die Verwaltung des Fundlagers zuständig. Von Perlen aus Stein, Glas, Fayence oder Muschel über Terrakottafiguren, Stein- und Metallwerkzeuge, Rollsiegel, Fragmente von Wandmalereien und Umweltproben (C14, Bodenproben, Verputz und Steinproben) geht jeder in Tell Atchana gemachte Fund durch ihre Hände, bevor er seinen Platz im nach einem Sammlungsverwaltungssystem organisierten Fundlager findet (Abb. 5). Auch die Funddatenbank und -illustration steht unter ihrer Aufsicht. Sie arbeiten mit Forschenden aus aller Welt zusammen, welche nach Tell Atchana zu Besuch kommen, um Material für ihre Studien zu sammeln. In Absprache mit dem Grabungsdirektor sowie den lokalen Vertretern des Museums und des Ministeriums für Kultur und Tourismus organisieren sie zudem die am Ende jeder Grabungskampagne vorzunehmende Überführung der bedeutendsten Funde in die Sammlung des archäologischen Museums (Hatay Arkeoloji Müzesi).
So sind Multidisziplinarität und Zusammenarbeit zwischen Feldforschung, Archäometrie, Konservierung und Philologie die Grundlage für die Arbeit am Fundort Tell Atchana, Alalakh, welche Jahr für Jahr Studierende und erfahrene Forschende zusammenbringt.