Bereits im Sommer 2023 entdeckte das Team um Yavuz Yeğin (Universität Ankara) spektakuläre Skulpturen im Nymphäum der antiken Stadt Olba in Kilikien. Es handelt sich um intentionell zerschlagene und deponierte Reliefplatten von einem sehr qualitätvollen attischen Achill-Sarkophag und um eine lebensgroße weibliche Statue im Typus Pudicitia. Inzwischen sind die Skulpturen restauriert und im örtlichen archäologischen Museum in Silifke in der Provinz Mersin ausgestellt. Solche Funde sind für die Region einmalig. Sie weisen darauf hin, dass die Stadt Olba in der Römerzeit eine Blüte erlebte.
Ausgrabung des Nymphäums von Olba
Die antike Doppelstadt Olba/Diokaeseria liegt am Fuße des Taurusgebirges an einem Nebenarm des Calycadnus (Göksu) in 1000 m Höhe in der heutigen Türkei, Provinz Silifke, das von Römern Cilicia Aspera genannt wurde. Die Ruinen des Nymphäums in Olba beeindruckten bereits die Reisenden des 19. Jhs. (Abb. 1). Die Brunnenanlage ist über mehrere Stufen zu erreichen. Über Aquädukte floss das Wasser vom Fluss Lamos in drei Becken vor der über 5 m hoch erhaltenen Rückwand der Anlage.
Trotz seiner frühen Entdeckung erfolgte die erste systematische Aufnahme der baulichen Reste von Olba erst Anfang der 2000er-Jahre durch Surveys unter der Leitung von Prof. Ayşe Emel Erten. 2010 folgten Grabungen, die sich auf das kleine Theater konzentrierten, von dem spärliche Reste freigelegt werden konnten. Ein weiterer Fokus lag auf dem frühchristlichen Kloster im Tal Şeytan Deresi. Nach der Emeritierung von Ayşe Emel Erten übernahm 2021 ihr Schüler Yavuz Yeğin die Leitung der Grabungen. Er setze den Schwerpunkt seiner Arbeiten auf die Brunnenanlage, die an der Straßenkreuzung unweit des Theaters liegt.
Entstehung des Schaubrunnens
Ein Anhaltspunkt für die Datierung des Nymphäums bietet eine Stifterinschrift des Aquädukts. Aufgrund der Kaisertitulaturen scheint sie 199– 211 n. Chr. entstanden zu sein. Aber schon unter Lucius Verus geprägte Münzen (161–169 n. Chr.) bilden auf den Rückseiten einen Flussgott mit Wassergefäß ab, was von manchen Forschern als Hinweis für die Existenz der Aquädukte im 2. Jh. verstanden wird. Jedenfalls war die Brunnenanlage über Jahrhunderte in Gebrauch. Eine weitere Inschrift aus der Zeit 565–578 n. Chr. erwähnt Reparaturarbeiten, die sich wohl auf die Wasserleitungen beziehen.
Wann und warum das Nymphäum von Olba aufgegeben wurde und wie seine ursprüngliche Gestalt war, liegt weitgehend im Dunkeln. Die neuen Grabungen versprechen diesen Kenntnisstand zu verbessern. Testgrabungen im Hofbereich zeigten, dass das Nymphäum über einem früheren Gebäude errichtet wurde. Unmittelbar vor den Stufen kam aktuell ein Mosaikboden zutage, der auf ein reich ausgestattetes Wohnhaus, wohl eine städtische Domus, hinweist. Die Schmuckfassade des Brunnens selbst ist über einem 2 m hohen Sockel mit ausladendem Gesims errichtet und war wahrscheinlich zweistöckig. Das Wasser strömte aus in verschiedenen Höhen angebrachten Auslässen.
Abb. 2 Fundsituation der Skulpturen im Wasserbecken des Nymphäum.
© Olba Grabungsprojekt / Mesut Yılmazbaş
Die erhaltenen Architekturelemente weisen auf eine Prunkfassade mit Rundnischen und korinthischen Säulen hin. Um weitere Schmuckelemente von der Schaufassade zu finden, wurde das vorgelagerte Wasserbecken freigelegt und dabei Überraschendes entdeckt. Neben eine Reihe weiterer Architekturfragmente kamen auch Skulpturen und figürlich verzierte Reliefs zum Vorschein (Abb. 2). Es machte den Eindruck, sie befänden sich noch in Falllage.
Ein qualitätvoller Achill-Sarkophag aus Athen
Der Grabungsleiter Yavuz Yeğin lud im Oktober 2023 Lâtife Summerer und Astrid Fendt nach Olba ein und bot eine Zusammenarbeit zur Publikation der Funde an. Anders als es der erste Eindruck vermittelte, zeigten die Untersuchungen vor Ort, dass die Skulpturenfragmente nicht von der Schmuckwand herabgestürzt sein können. Es handelt sich um eine großplastische Figur und Überreste von einem Sarkophag, die wohl in dem Wasserbecken deponiert worden sind. Bei den neu gefundenen figürlichen Reliefs kann kein Zweifel daran bestehen, dass es sich um die beiden Schmalseiten eines Sarkophags handelt.
Die szenischen Darstellungen zeigen Episoden aus dem Leben des griechischen Helden Achilleus. Auf einem der Reliefblöcke ist die Rüstungsszene des Achill dargestellt (Abb. 3). Er trägt einen Muskelpanzer und hat sein Schwert umgehängt. Mit der rechten Hand stützt er sich auf seinen Schild. Ein nackter Knabe legt ihm eine Beinschiene an. Ein voll gerüsteter Krieger setzt ihm den Helm auf. Links stehen Odysseus und Thetis, die Mutter des Achill.
Abb. 3 Sarkophagfragment mit der Rüstungsszene des Achill.
© Olba Grabungsprojekt / Mesut Yılmazbaş
Abb. 4 Sarkophagfragment mit der Szene Achill bei den Töchtern des Lykomedes.
© Olba Grabungsprojekt / Mesut Yılmazbaş
Die andere Schmalseite des Sarkophags überliefert die Episode von Achill im Palast von Lykomedes auf Skyros (Abb. 4). Der Held sitzt Kithara spielend auf einem Stuhl. Durch die vor ihm kniende Frau wird verdeutlicht, dass sich Achill hier im Palast mit den Töchtern des Lykomedes vergnügt. Die Geste der Deidameia, die sich mit einer Hand am Arm des Helden festklammert und die andere auf den Kopf eines Kleinkindes legt, schildert den verzweifelten Versuch einer Frau, ihren Geliebten und den Vater ihres Kindes vom Weggehen abzuhalten. Doch zeigt seine energische Bewegung, dass Achill auf dem Sprung ist, um an der Seite der Griechen gegen Troja zu kämpfen. Die fehlenden Langseiten verbildlichten sicherlich andere Szenen aus dem Leben des Achill.
Auf der Rückseite war, wie geringe, aber sehr aussagekräftige Reste am linken Rand der Rüstungsszene belegen, die Auslösung des Leichnam Hektors durch den vor Achill knienden Priamos dargestellt. Weniger aussagekräftig sind die vom Vorderseitenfries erhaltenen Reste. Möglicherweise war hier der Aufbruch des Achill in Begleitung von Agamemnon, Phoinix und Odysseus wiedergegeben. Obwohl die petrographischen Untersuchungen zur Herkunft des Marmors noch ausstehen, können wir mit Sicherheit sagen, dass der Sarkophag aus Athen stammt.
Bislang sind etwa 20 Exemplare attischer Achill-Sarkophage mit der Darstellung der Skyros-Episode bekannt, die ins 2. und 3 Jh. n. Chr. gehören. Sie wurden nicht nur in Griechenland, sondern auch in Kleinasien und im Libanon gefunden. Wer den neuen Sarkophag nach Olba importieren ließ und wo er ursprünglich aufgestellt war, bleibt im Dunkeln. Irgendwann, als man aus dem Becken des Nymphäums nicht mehr Wasser schöpfte – wohl in der nachantiken Zeit – wurde es ein Depot für aussortierte Marmorteile, die erst zerhackt und dann zu Kalk gebrannt werden sollten.
Eine vollständige Publikation des Sarkophags wird demnächst von Yavuz Yeğin und Lâtife Summerer vorgelegt, während Astrid Fendt und Yavuz Yeğin die wissenschaftliche Veröffentlichung der Statue vorbereiten. Die Statue der Pudicitia Außer dem Sarkophag entkam auch eine im 2. Jh. n. Chr. gefertigte, lebensgroße weibliche Gewandfigur aus feinkristallinem, weißem Marmor der Zerstücklung (Abb. 5). Sie trägt einen bodenlangen Chiton und ist eng in einen faltenreichen Mantel gehüllt.
Abb. 5 Statue «Pudicitia».
© Olba Grabungsprojekt / Mesut Yılmazbaş
Der einst bedeckte Kopf fehlt, ebenso die Füße. Aufgrund von wahrscheinlich intentionellen Abschlägen ist die Aktion der Hände verunklärt. Beide Arme sind unter dem Mantel gesenkt. Der rechte Arm liegt angewinkelt vor dem Bauch, die Hand umschlingt den Mantelstoff. Die linke Hand zog wohl einst mit festem Griff den Mantelsaum hoch. Es handelt sich um eine Statue im Typus der Pudicitia. Wahrscheinlich stellte sie eine Bürgerin aus der städtischen Oberschicht von Olba der.
Leider fehlen wichtige Informationen wie der einstige Aufstellungsort und die Statueninschrift. Diese hätten eine nähere Auskunft über die so öffentlich geehrte Frau geben können. In den Städten des Mittelmeerraumes wurden Frauen von hellenistischer Zeit an bis ins späte 4. Jh. öffentlich Ehrenstatuen errichtet. Zunächst war dies nur in den kleinasiatischen Kommunen üblich, seit Beginn der Kaiserzeit sukzessive im ganzen Römischen Reich. Solche Ehrenstatuen sind eine der wenigen Quellen, die Informationen über mögliche Handlungsbereiche der Bürgerinnen geben können.
Bei der im Becken des Nymphäum von Olba deponierten Statue ist davon auszugehen, dass sie einst entweder im Bereich des Brunnenhofes, der Rückwand des Nymphäums oder vielleicht auch im nahegelegenen Theater aufgestellt war. Der Porträtkopf fehlt. Dieser hätte uns zwar keinen individuellen Zugang zu der Dargestellten verschafft. Aber die Frisur hätte die aufgrund der Gewandfaltengestaltung vorgenommene Datierung bestärken können.
Die Haltung der Dargestellten mit den anliegenden Armen und dem vom Mantel fast komplett eingehüllten Körper verweisen auf römische Tugenden wie pietas (pflichtgemäßes Verhalten), pudicitia (Schamhaftigkeit), castitas (Keuschheit), pulchritudo (Schönheit), gravitas (Würde), comitas (Freundlichkeit), fides (Treue) und modestia (Bescheidenheit). Das sind kollektive Werte, die auch über Reden und Grabinschriften transportiert wurden. Sie entsprachen einem über Jahrhunderte konstanten Tugendkanon, an dem sich römische Bürgerinnen – zumindest in der Öffentlichkeit – zu orientieren hatten.