Schliemann und Troja – eine schicksalhafte Verbindung? Man kennt diese Dokumentationen, die es genau so aussehen lassen. Schließlich habe der kleine Heinrich doch zu Weihnachten Jerrers »Weltgeschichte für Kinder« bekommen und seither nur dieses eine Ziel verfolgt: Troja zu finden und auszugraben. Schliemann (1822–1890) wollte in diesem Licht erscheinen, der Bewunderer des Mythos wollte selbst ein Mythos sein. Hellmayrs Biografie ist erfrischend anders. Sie fördert die Persönlichkeit dieses Mannes zutage. Eines Mannes, der von einem unbändigen Wissensdurst und Lerneifer getrieben war, der sich Disziplin und Routinen auferlegte, die ihn letztlich erfolgreich machten. Aber auch eines Mannes, der verletzlich war und um Anerkennung kämpfte, den sein Geltungsbedürfnis antrieb, der sich mit Eheproblemen, Einsamkeit, Entfremdung konfrontiert sah (und an seiner Situation nie ganz unschuldig war). Doch was dieses Buch so besonders macht, ist ebenso der Blick über die engen Grenzen einer Biografie hinaus: Schliemann bewegte sich auf internationalem Parkett – wer sich mit seiner Person beschäftigt, darf Geschehnisse und Entwicklungen in anderen Teilen der Welt nicht ausblenden. Hellmayr gelingt durch die zahlreichen Seitenblicke (etwa zu Goldrausch und Bankenkrise in den USA, zu Fernreisen, Kurwesen, Geschlechterrollen oder zur Einführung der standardisierten Zeitmessung, die den Alltag der Menschen einem neuen Takt unterwarf) ein farbiges Porträt dieser Zeit.
| Melanie Kattanek