Es ist in der Tat ein frischer Blick, den die Autorin auf die antike Literatur wagt – auf all die klassischen Texte, die als Zeugnisse einer altehrwürdigen Zeit gelten. Was sagen diese jedoch über so unbequeme Inhalte wie Sexismus oder Gewalt aus? Die Autorin beschreibt zeitgenössische Erscheinungen und spannt von diesen einen Bogen zu den antiken Vorbildern. Die Parallelen, die sie freilegt, lesen sich erstaunlich und erschreckend zugleich. So geht es etwa im Kapitel „erzählte Frauen“ um die Problematik, dass Frauen in der Literatur seit jeher überwiegend aus der männlichen Perspektive beschrieben werden, angefangen bei so berühmten mythologischen Figuren wie Penelope und Helena aus den homerischen Epen.
In einem anderen Kapitel zeigt die Autorin anschaulich, wie die mächtige Frau – in der Antike bspw. durch Kleopatra oder Antigone verkörpert – bis heute, wenn nicht unbedingt als abnorm, dann doch zumindest als sonderbar dargestellt wird.
Es geht um die ungehörten Opfer von Vergewaltigung, um den gekränkten Liebhaber, aber auch um die Tradition der legalisierten Gewalt innerhalb der Ehe und um männliche Selbstinszenierung. Für Letzteres sind die Vergleiche der Autorin besonders eindrücklich, etwa wenn sie Hip-Hop-Texte Versen von Catull gegenüberstellt, die sich in unanständigen und obszönen Ausdrücken in Nichts nachstehen.
In diesem Buch werden Gegenwartsphänomene auf spannende und sehr gut lesbare Weise in ihre Traditionen eingeordnet. Ernüchternd dabei ist, wie sich Brutalität und Ungerechtigkeit in Antike und Gegenwart manchmal kaum voneinander abheben – wie wenig Aufklärung bis heute stattgefunden hat.