von Christoph Michels
Beitrag im Titelthema der ANTIKE WELT 2/2019
Antoninus Pius erscheint in der antiken Literatur als weiser und gerechter Friedensfürst. Ein ähnliches, jedoch keineswegs immer positives Bild dominierte lange die moderne Forschung. Dabei wurde seine vermeintliche Untätigkeit gerne mit dem unkriegerischen Charakter dieses Princeps erklärt. Es lässt sich jedoch zeigen, dass Pius durchaus seine Rolle als Imperator und oberster Befehlshaber des römischen Heeres nach traditionellen Vorstellungen erfüllte.
Hartnäckig hat sich lange Zeit das Bild der Herrschaft des Antoninus Pius (138‒161 n. Chr.) als militärisch ereignislose Friedensphase gehalten. Das Römische Reich sei einerseits weitgehend frei von äußeren Bedrohungen gewesen und sei andererseits von einem Princeps ohne militärische Ambitionen regiert worden. Diese Vorstellung war auch deswegen prägend für Pius’ Bewertung, weil sie bestens zu den Beschreibungen seines Charakters in den erhaltenen, überaus einseitigen literarischen Quellen passte. Beurteilt wurde dies von der Forschung durchaus ambivalent. Angesichts der unter seinen Nachfolgern losbrechenden Parther- und Markomannenkriege erschien die vermeintliche Passivität des Pius manchem als Kette von Versäumnissen. Mehrere Studien der letzten Jahre haben dieses Bild nun in erheblichem Maße korrigiert. Selbst im Verhältnis zu der langen Regierungszeit des Pius gab es Kriege in nicht zu vernachlässigender Zahl – nahezu an allen Grenzen. Diese gewannen indes nie reichsbedrohende Qualität. Der Vorwurf der Inaktivität ist insofern unberechtigt, als dass er von langfristiger strategischer Planung ausgeht, was anachronistisch sein dürfte.
Es bleibt der Eindruck eines im Grunde friedliebenden Herrschers, dem die Kriege während seiner Herrschaft aufgezwungen wurden. Das greift jedoch zu kurz. Vor allem für seinen Britannienkrieg lässt sich zeigen, wie Pius den Konflikt nutzte, um Defizite seines militärischen Charismas früh zu kompensieren.
Ein unwahrscheinlicher Princeps
Dass der bereits einundfünfzigjährige Senator Antoninus dem gerade etwas über zehn Jahre älteren Hadrian im Juli 138 n. Chr. als Princeps nachfolgen würde, war ein Jahr zuvor keineswegs abzusehen gewesen. Letztlich war es ein Zufall, der im Januar 138 dazu führte. Denn Antoninus wurde von Hadrian erst adoptiert und zum Nachfolger bestimmt, als Aelius Caesar, die erste Wahl des bereits schwer erkrankten Princeps, wenige Wochen zuvor gestorben war. Hadrian verpflichtete Antoninus dazu, seinerseits Lucius Verus und Marc Aurel zu adoptieren. Marcus war vermutlich der Wunschkandidat Hadrians, jedoch dafür im Jahre 138 noch zu jung. Pius diente daher wohl als Notlösung, weil sich der Gesundheitszustand des Princeps rapide verschlechterte. Hadrians Entscheidung stieß keineswegs auf allgemeine Zustimmung. Im Verlauf der 140er Jahre kam es zudem wohl zu zwei Usurpationsversuchen, über die jedoch wenig bekannt ist.
Mit Pius kam ein altgedienter Senator an die Macht, der zwar, wie er beim Streit um die Divinisierung Hadrians beweisen konnte, über das Rüstzeug für eine erfolgreiche Kommunikation mit der Senatorenschaft verfügte, der sich aber militärisch bislang nicht hervorgetan hatte. Das konnte zum Problem für die Akzeptanz seiner Herrschaft werden. Zumal sich die Unzufriedenheit über die Auswahl des neuen Princeps bei Teilen der Oberschicht mit der kritischen Sicht auf die passive Ausrichtung der Außenpolitik der letzten Jahrzehnte vermischt haben dürfte. Der eher unmilitärisch wirkende Antoninus mochte für die Fortsetzung dieser Politik stehen und war möglicherweise auch deswegen von Hadrian als Nachfolger ausgewählt worden.
Der Kaiser als Sieger
Seit Augustus war der Princeps als Oberbefehlshaber der Armee durch die ihm innewohnende «Sieghaftigkeit» der Garant für deren Erfolge. Daher standen ihm bei großen Siegen der Triumph oder die imperatorische Akklamation zu. Die Kehrseite war, dass andauernde Misserfolge ebenfalls auf den Kaiser zurückfielen. Dass die Principes des 1. und 2. Jhs. n. Chr. ihre Sieghaftigkeit unterschiedlich stark betonten, illustriert die relative Offenheit des römischen Herrscherbildes und ist mit dem Profil des jeweiligen Princeps wie auch mit Zufällen der Ereignisgeschichte zu erklären. Denn der Kaiser musste gerade in Zeiten äußerer Bedrohungen sein militärisches Charisma beweisen. Wie positionierte sich hier Pius, der von der Forschung als einer der unkriegerischsten Kaiser überhaupt ausgemacht wurde? Zumindest ein Mindestmaß an militärischem Prestige war unverzichtbar. Diese grundsätzliche Erwartungshaltung zeigt sich etwa in der Münzprägung. Hier erscheint der Princeps als siegreicher Feldherr wie auch als Friedensstifter; Pax war dabei jedoch im römischen Denken das Ergebnis eines die römische Dominanz sicherstellenden Vertrages oder eines Sieges.
Der Britannienfeldzug und das militärische Charisma
Die Britannienexpedition sticht aufgrund ihres expansiven Charakters und durch ihr frühes Datum unter den Kriegen des Antoninus Pius hervor. Geplant, vorbereitet und in Gang gesetzt wurde der Feldzug wohl unmittelbar nach seinem Herrschaftsantritt. Die Kämpfe waren 142 n. Chr. im Wesentlichen abgeschlossen, denn im Sommer dieses Jahres nahm Pius seine zweite imperatorische Akklamation anlässlich dieses Erfolges an. Bedeutsamer als die Kampfhandlungen war dabei die Entscheidung, den erst kürzlich fertiggestellten Hadrianswall aufzugeben und die Grenzbefestigung etwa 100 km nach Norden zu verlegen. Auch wenn der Antoninuswall nur ein Zwischenspiel blieb, da er nach einer Generation wieder aufgegeben wurde, bedeutete seine Anlage doch eine klare Abkehr vom Konzept Hadrians. Auch wenn es wohl vor Ort einen konkreten Auslöser des Kriegs gab, so stand an dessen Ende eine wenn auch begrenzte Expansion.
Dass hierfür, wie oft vermutet, strategische Erwägungen vor Ort entscheidend waren, kann aufgrund der recht schnellen Aufgabe der neuen Anlage spätestens zu Beginn der Herrschaftszeit M. Aurels nicht überzeugen. Entscheidend für die Interpretation dieser Unternehmung ist vielmehr, dass sie in eine Zeit fällt, in der die Stellung des Pius noch durchaus prekär war. Vieles spricht dafür, dass die zweite imperatorische Akklamation bzw. das, mit ihr verbundene, militärische Charisma das eigentliche Ziel des Pius war. Dafür spricht auch, dass sie trotz weiterer Konflikte während seiner Herrschaft die einzige blieb. Offenbar erachtete Pius die Britannienexpedition als ausreichend, um früh mit Hadrian gleichzuziehen. Der Britannienerfolg wurde zudem als einziger Konflikt explizit in der Münzprägung thematisiert. Münzen mit den Rückseitenlegenden IMP bzw. IMPERATOR II in Kombination mit Victoria (BRITANnica) bezogen sich direkt auf den siegreichen Abschluss der britannischen Unternehmung.
Victoria-Prägungen spielen zwar auf die gesamte Herrschaftszeit gesehen eine untergeordnete Rolle; in den Jahren 142‒144 n. Chr. treten sie jedoch verstärkt auf. Zieht man den Vergleich mit dem Vorgänger, ist aber bereits das Auftauchen der imperatorischen Akklamation hervorzuheben, denn Hadrian hatte darauf bei den Siegesprägungen aus Anlass der Niederschlagung der Bar-Kochba-Revolte verzichtet.
Britannia bot sich als Ort einer solchen Unternehmung an. Denn hier war vergleichsweise leicht militärischer Ruhm zu erwerben, ohne bei Misserfolg eine gesamte Region des Reiches ins Chaos zu stürzen. Dass Pius den Feldzug nicht selbst anführte, fiel nicht aus dem Rahmen, denn eine Anwesenheit der Principes bei Kriegszügen wurde, anders als bei den meisten hellenistischen Königen, keineswegs als zwingend erachtet. Die Herangehensweise unterschied sich jedoch von seinen direkten Vorgängern, weswegen seine Verantwortung für den Sieg explizit betont werden musste.
Individueller Princeps und kaiserliche Rolle
Das heißt nun nicht, dass die militärische Selbstdarstellung des Pius deckungsgleich mit derjenigen anderer Kaiser gewesen wäre. Gerade der Kontrast zu den unmittelbaren Nachfolgern M. Aurel und L. Verus fällt ins Auge. Doch waren deren triumphale Bilder wesentlich durch die Rom aufgezwungenen großen Kriege bedingt. Zentral ist es, sich den dynamischen Charakter des römischen Herrscherbildes deutlich zu machen, der eine Schwerpunktsetzung des einzelnen Princeps zur Schärfung seines Profils ermöglichte. Nach dem Eroberer Trajan, verzichtete Hadrian auf Eroberungen. Das hatte jedoch kein entmilitarisiertes Bild des Reisekaisers zur Folge. Hadrian zeigte – ganz untypisch für den römischen Herrscher bis Trajan – seine Sorge um die Armee und ihre Disziplin durch zahlreiche Truppenbesuche (Abb. 4). Pius, der Italia während seiner Herrschaft nie verließ, folgte ihm nicht darin. Doch ergab sich dieser andere Regierungsstil auch daraus, dass Hadrian durch seine langjährige Abwesenheit von Rom die Kommunikationspartner der Hauptstadt vernachlässigt hatte. Es empfahl sich also für Pius, hier Schwerpunkte zu setzen, was ihm sicher entgegenkam. Denn eine gewisse Distanz zum Militärischen lässt sich wohl daran erkennen, dass er es unterließ, seine Adoptivsöhne in die Provinzen zu senden, um dort militärische Erfahrung zu sammeln.
Das Fehlen existenzieller außenpolitischer Krisen ermöglichte und bedingte eine Selbstdarstellung, welche eher unkriegerische Aspekte, etwa die Rolle des Princeps als Garant der Lebensmittelversorgung, in den Mittelpunkt rückte. Mitunter waren dafür aber auch militärische Erfolge nötig, wie ein Medaillon illustriert, das möglicherweise mit der Beendigung einer Krise in Mauretanien zu verbinden ist. Die Prägung ist in gewissem Sinne charakteristisch, denn sie kommuniziert eine durch die Sieghaftigkeit des Princeps gewährleistete Stabilität. Der zuweilen mit Pius assoziierte Begriff «Pazifismus» passt allerdings weder zu dieser Selbstdarstellung des Pius noch zu seinem Handeln. Das von der kaiserlichen Zentrale kommunizierte Bild innerer Stabilität prägte indes die Rezeption von Pius’ Herrschaft, die in der Rückschau, aufgrund der kurze Zeit später einsetzenden Barbareneinfälle, als Friedenszeit erscheinen mochte.