Elagabal und der Niedergang Roms»Tyrannisches Ungeheuer«, »lasterhaft«, »pervers« – Kaiser Elagabals unglaubliche Geschichte.

Außer Sex und Tod und Dekadenz ist die Geschichte von Elagabal das ideale Prisma, durch das wir andere Fragen betrachten können, die für die römische Kaiserzeit zentral waren. Wo lagen die Grenzen politischer Macht? Wie tief sollte ein Herrscher ins Leben seiner Untertanen eingreifen? Welches Handeln erwartete man überhaupt von einem Kaiser? Wo fing religiöser Extremismus an? Wann schlug bewundernswerte Frömmigkeit in Aberglauben und gefährlichen Fanatismus um? Wie konstruierte man Ethnizität? Wurde Elagabal so gehasst, weil er Syrer war? Waren die Römer rassistisch? Solche Fragen – in anderer Form, aber durchaus noch wiederzuerkennen – sind bis heute lebenswichtig. Wenn wir die Vergangenheit aufhellen, werfen wir ein Licht auf uns selbst: Worin sind wir verschieden und worin gleich?

Ausschnitt Porträt Kaiser Elagabal
© wikimediacommons; CC-BY-SA-4.0

Entscheidungen: Was Elagabal nicht tat

Der Kaiser war nicht nur, was er tat, sondern auch, was er zu lassen beschloss. Elagabal gewinnt allmählich schärfere Konturen, wenn wir uns einige Möglichkeiten ansehen, die er nicht wählte.

Auf dem Sterbebett hatte Septimius Severus seinen Söhnen geraten, die Soldaten reich zu machen und alle anderen zu verachten. Caracalla nahm sich diese Worte zu Herzen, hob den Sold an, marschierte und aß mit seinen Truppen und ließ Senatoren wie Cassius Dio den ganzen Tag vor der Tür warten, während er mit den gemeinen Soldaten trank. Während des Aufstands hatte Elagabal in Raphaneai zu den Soldaten gesprochen und bei Immae ihre Flucht zum Stehen gebracht. Später schrieb er als Kaiser in einem Brief an seine Untertanen in den Provinzen von seinen „tapfersten und treuesten Soldaten, darunter der Prätorianergarde“.316 Ein Fragment aus Cassius Dio zeigt ihn bei einer Rede an den Senat: „Ja, ihr liebt mich und ebenso, bei Jupiter, liebt mich das Volk und die Armeen auswärts. Aber den Prätorianern, denen ich so viel gebe, gefalle ich nicht.“ (80,18,4) In einer weiteren isolierten Passage schreibt der Historiker, der Kaiser „hing am meisten“ an den Soldaten, sie aber hätten ihn – wie alle anderen – wegen seiner Ausschweifungen gehasst (80,17,1).

Vielleicht glaubte Elagabal wirklich an die Treue und Liebe von Soldaten, manchmal sogar der Prätorianer. Autokraten sind für Selbsttäuschungen bekannt. Doch sobald er in Rom war, entschied er sich, nicht dem Beispiel des Mannes zu folgen, den er seinen Vater nannte. Elagabal tat nichts, um seine Beziehung zu seinen Truppen zu pflegen; weder erhöhte er ihren Sold noch verbrachte er Zeit mit ihnen, tourte ihre Lager ab oder gebärdete sich als Kamerad (commilito). [...]

Elagabal entschied sich, die kaiserliche Rolle als Kriegsherr nicht auszufüllen. [...]

Das zweite, was Elagabal nicht zu tun beschloss, hatte mit einem ganz anderen Bereich der Gesellschaft zu tun und war normalerweise weniger gewalttätig. Vom römischen Kaiser wurde erwartet, dass er ein Mann von Bildung (paideia) war. Zum Großteil bestand das darin, sich lange Reden rauschebärtiger, eingebildeter Griechen anzuhören. Kaiser Trajan zog den Philosophen Dion Chrysostomos auf: „Ich habe ja keine Ahnung, wovon du redest, aber ich liebe dich wie mich selbst.“ (Philostratos, Sophistenviten p. 488) Ziemlich gute Abkanzelung. Es reichte nicht, Kultur passiv zu konsumieren – der Kaiser sollte Akteur sein. Caracalla konnte bei einem Abendessen gegenüber Cassius Dio Euripides zitieren. Septimius Severus konnte den hochverräterischen Gebrauch eines Vergilverses erkennen und bestrafen. Sowohl Severus als auch Caracalla schrieben Memoiren. Andere Kaiser gingen noch weiter: Tiberius dichtete auf Latein und Griechisch, Claudius schrieb Bücher über das Alphabet und das Würfelspiel, Domitian eines über Haarpflege und Marc Aurel natürlich Stoisch-Philosophisches.

Trotz aller Chancen am Kaiserhof verbindet nichts Elagabal mit dieser Welt der Kultur – keine treffenden Klassikerzitate, keine Abendgesellschaften mit Intellektuellen, schon gar keine literarischen Versuche – außer zwei Anekdoten aus der Historia Augusta. [...] Elagabal verwarf die griechische und römische Kultur absichtlich. Er verfolgte jene Lehrer, die seinem Cousin Alexianus paideia einflößen wollten. Stattdessen wandte er sich einer fremdartigen Kultur zu: dem phönikisch-syrischen Elagabalkult.

Entscheidungen: Was Elagabal tat

Religion, Sex und Sozialleben waren die drei großen Lebensentscheidungen Elagabals.

Nicht alle Aspekte der Rolle eines Kaisers ließen sich komplett umgehen. In solchen Bereichen betrafen die Entscheidungsmöglichkeiten die Intensität und Gründlichkeit. Nicht immer konnte Elagabal es vermeiden, als Richter zu fungieren. Mit einem vergifteten Lob qualifiziert Cassius Dio den Kaiser ab: „Beim Gerichthalten erschien er dann doch mehr oder weniger wie ein richtiger Mann, aber überall sonst gab er sich in seinen Taten und seiner Stimmfärbung geziert.“ (80,14,3).

Die Diplomatie war eine weitere Rolle, die sich nicht völlig umgehen ließ.331 Dass Gesandtschaften fremder Mächte vor dem Kaiser erschienen, wurde erwartet. Tatsächlich war der ganze Vorgang umfangreicher und vager, als dass man nur Leute von jenseits der Reichsgrenzen empfing. Entsprechend der Rechtsfiktion, dass viele Gemeinden innerhalb des Imperiums Verbündete und keine Untertanen waren, behandelte man sie gemäß dem diplomatischen Protokoll. Umgekehrt wurden viele Völker, die nach jedem objektiven Kriterium außerhalb des Imperiums lebten, nur weil sie eine Gesandtschaft geschickt hatten, so betrachtet, als hätten sie sich Rom unterworfen. [...] Manchen Gesandtschaften musste Elagabal zuhören. Den Ort aber konnte er bestimmen und niemand konnte ihn zwingen, sich zu konzentrieren. [...]

Das Imperium wollte regiert sein, und der Kaiser musste Männer dafür bestimmen. Der Spott der antiken Quellen über Elagabals Entscheidungen steigert sich hier zu einem Crescendo. Herodian hatte Cassius Dio gelesen und die Historia Augusta sowohl Herodian als auch Dio. Jedes Glied in der literarischen Kette setzte auf das furchtbare Unvermögen der Ausgewählten noch eins drauf. [...] Herodians Bericht, der keine Namen nennt, ist geprägt von Wiederholungen, Übertreibungen und Verzerrungen. Der „Wahnsinn“ des Kaisers habe ihn dazu getrieben, „alles Gesindel von der Bühne und aus den öffentlichen Theatern zu holen und in die höchsten kaiserlichen Ämter zu versetzen“ (5,7,6). Posten mit höchster Verantwortung, fährt Herodian fort, wurden „Wagenlenkern, Komödianten und Mimen gegeben“ (5,7,7). [...]

Stimmen zur englischen Originalausgabe 'The Mad Emperor: Heliogabalus and the Decadence of Rome'

'The Mad Emperor' erschafft die antike Welt mit dem Auge eines Dichters und der sicheren Hand eines Gelehrten. Barry Strauss, Autor von "Die Geburt des römischen Kaiserreichs"

Mit dem Tempo eines Romanciers, der Ausbildung eines Gelehrten und dem Instinkt eines echten Historikers ist dies eine wunderbare Erkundung der römischen Welt unter ihrem seltsamsten Kaiser. Adrian Goldsworthy, Autor von "Pax Romana"

Die Geschichte der Antike war nie weniger trocken als in Harry Sidebottoms hervorragend unterhaltsamer und stets wissenschaftlicher Darstellung der Herrschaft des Heliogabalus... Es ist für jeden Leser etwas dabei: Sex, Politik, Skandale und ein fesselndes Porträt der kaiserlichen Gesellschaft und Kultur. Tony Barber „Financial Times, Buch des Jahres“

Das Jahresabonnement der ANTIKEN WELT

Nutzen Sie den Preisvorteil!

  • Abopreisvorteil (D):
    99,- € zzgl. 6,30 € Versand (D) statt 131,55 € im Einzelkauf
  • inkl. Digitalzugang
  • 11.- € pro Ausgabe im Abo
  • insgesamt 9 Ausgaben im Jahr: 6 reguläre Hefte und 3 Sonderhefte
  • ohne Risiko, jederzeit kündbar 
Jetzt gratis testen

Das Jahresabonnement der Archäologie in Deutschland

Nutzen Sie den Preisvorteil!

  • Abopreisvorteil (D):
    99.- € zzgl. 6,30 € Versand (D) statt 131,55 € im Einzelkauf
  • inkl. Digitalzugang
  • 11,- € pro Ausgabe im Abo
  • insgesamt 9 Ausgaben im Jahr: 6 reguläre Hefte und 3 Sonderhefte
  • ohne Risiko, jederzeit kündbar 
Jetzt gratis testen