Von André Wais
Schon die Fahrt zum Hauptziel Hechingen-Stein führt durch anmutigste Landschaften. Es geht am Fuße der Schwäbischen Alb entlang, die sich hier fast unvermittelt aus den hügeligen, aber recht fruchtbaren Gäulandschaften Württembergs mit beindruckenden Höhenunterschieden erhebt und so eine beachtliche Bergkulisse bildet. »Blaue Mauer« nannte Eduard Mörike diesen Mittelgebirgswall aus Kalkgestein, der sich von West nach Ost quer durch Schwaben zieht.
Die meisten Leser werden sich unserem Ziel von Norden aus Richtung Stuttgart nähern, über die meist vierspurig ausgebaute Bundesstraße 27 geht es an Württembergs ältester Universitätsstadt Tübingen vorbei. Ziemlich unvermittelt fällt dann der Blick auf einen faszinierenden Bergkegel, den auch alle, die aus anderen Richtungen etwa von der Schweiz her anreisen, als Landmarke zuerst ins Blickfeld bekommen. Es ist der Hohenzollern, ein sogenannter Zeugenberg der Schwäbischen Alb. Er bezeugt, dass sich das in dieser Gegend schon fast 1000 m hohe schwäbische Mittelgebirge einst viel weiter nach Norden ausdehnte und über Jahrmillionen durch den Neckar und dessen Nebenflüsse rasant abgetragen wurde. Der Hohenzollern hat mit seinem harten Käppchen aus Jurakalk der Erosion bis heute widerstanden. Auf diesem markanten Kegel steht mit imposanter Silhouette die Burg Hohenzollern, auch als schwäbisches Neuschwanstein bezeichnet. Ob das zutrifft, kann jeder Ankömmling für sich entscheiden. Die romantische Illusion der Bauherren mag übereinstimmen, die landschaftliche Szenerie lässt allerdings weniger an das touristische Traumziel im bayerischen Allgäu denken, sondern eher an die Vision aus Kafkas »Das Schloss«.
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Doch die einstige Stammburg des preußischen Kaisergeschlechts der Hohenzollern kann ebenso auf unseren Besuch warten, wie das ihm zu Füßen liegende Städtchen Hechingen. Wir steuern zuerst einen Vorort an: das ehemalige Dorf Stein. Die Bundesstraße 27 verlässt man bei der Ausfahrt Hechingen-Nord und fährt auf der Landstraße L 410 zwei Kilometer gen Westen bis nach Stein und durch das Dorf. Kurz vor dem Ortsende kann man bei der Bäckerei von Walter Selig in der Römerstraße 9 anhalten, sich einen Kaffee gönnen und vielleicht eine schwäbische Brezel als Wegzehrung mitnehmen. Für Reisende, die weiter herkommen auch eine Gelegenheit, sich schon etwas in die Töne des schwäbischen Idioms einzuhören.
Mittelalter in Hechingen gesucht, Antike gefunden
Nur noch etwa ein halber Kilometer ist es dann bis zum Parkplatz im Gewand »Tuffelbach«. Ein Hangwald, wo man heute noch weiter oben Fichten wie Soldaten in Reih und Glied stehen sieht. Sie wurden einst wenig naturgerecht für den Gerüstbau herangezogen, als man solche Stämme für diesen Zweck noch benötigte. Heute freut sich der Borkenkäfer.
Hier hat der Ortsvorsteher Gerd Schollian im Jahr 1973 eine erste Mauer aus der Römerzeit entdeckt. Kurioserweise wollte er eigentlich gar nichts Römisches suchen, sondern mittelalterliche Reste von Vorgängern seines Dorfes Stein. Archäologen, aus dem nahen Tübingen herbeigerufen, klärten ihn dann auf, dass es sich um deutliche ältere Gemäuer handelt, wohl um ein römisches Landgut, eine »Villa rustica«. Solche gab es im Südwesten hinter dem Limes zu Hunderten. Aber auch die Tübinger Fachleute mussten ihre Einschätzung korrigieren. Als 1978 die erste bis 1981 dauernde Grabungskampagne begann, waren selbst die Fachleute verwundert, welche Dimensionen dieses »einfache« Landgut im Zuge der Grabungen preisgab. Nach und nach wurde immer deutlicher, dass es ganz sicher kein kleines römisches Gehöft sein konnte. Die heute noch andauernden Grabungen brachten einen ganzen Strauß an teilweise einmaligen Funden und Befunden zutage, wobei ein Ende der Entdeckungen und Überraschungen bis heute nicht abzusehen ist. Neben dem Hauptgebäude, der eigentlichen Villa, und einer Mauer mit Eingangsportal, die ein Gelände von insgesamt 4 ha umfasst, wurden die Fundamente von Badegebäuden, einer Mühle, einer Schmiede sowie mehrerer Speicher und anderer Wirtschaftsgebäude ausgegraben.
Prächtige Villa in Halbhöhenlage in Hechingen
Kurz noch einmal zurück zu unserem Parkplatz unten am Hanggelände, wo man sich an einem Übersichtsplan schon mal etwas orientieren kann. Von hier erreicht der Besucher auf asphaltiertem Fahrweg bergauf gehend in zehn Minuten sein Ziel. Kurz noch ein Stück an der eher abweisenden Umfassungsmauer entlang, eröffnet sich dem Besucher die römische Welt in einem Panoptikum von Grabungen in unterschiedlichsten Phasen: Manche sind noch im Gange, andere sind abgeschlossen und die Grundmauern so gesichert, dass die räumlichen Strukturen gut erkennbar sind. So bei dem Mühlenbau, dessen Zweck sich vor allem durch Grabungsfunde offenbarte, und der teilrekonstruierten Schmiede. Besonders augenfällig wird die römische Realität für den Besucher durch recht spektakuläre Rekonstruktionen am Hauptgebäude. Wenn man am Kassenhaus mit Café seinen Eintrittsobolus geleistet hat, trifft man wenige Schritte hangabwärts links auf die Grundmauern des zur Villa gehörenden Badehauses. Einst war es durch einen Säulengang mit dem Haupthaus rechts verbunden. Dieses stellt sich hier eigentlich wieder bezugsfähig dar. Fast den gesamten östlichen Teil des Hauptgebäudes hat man nämlich in den 1980er-Jahren wiederaufgebaut. An den ergrabenen Grundmauern war die einstige Raumaufteilung des großen annähernd quadratischen Gebäudekomplexes noch gut erkennbar. Beim Wiederaufbau orientierte man sich einerseits an vergleichbaren Gebäuden nördlich der Alpen, aber auch an Beispielen aus dem Mittelmeerraum. Prägend für das Gesamtbild des Römergeländes von Stein ist das blendend weiße hervorstehende Eckgebäude mit einem anschließenden Teil des Säulenportikus, das gemeinsam mit seinem nicht wieder errichteten Spiegelbild auf der linken Seite einst die beiden äußeren Punkte der Hauptfassade an der Vorderfront verband und so eine prachtvolle Portikusvilla bildete. Auch die Gebäudeteile hinter dem östlichen Frontbau sind wiederhergestellt und bergen ein Museum, in dem interessante und wichtige Funde gezeigt werden, die bei den Grabungen zutage gekommen sind. Man sieht hier allerlei Gebrauchsgegenstände, Möbel, Handwerkszeug, Keramik, Schmuck wie auch zahlreiche für die Datierung unentbehrliche Münzen: ein Inventar, das vom Alltag in der Römerzeit einiges mehr erzählt als die bloßen Mauern.
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Vom Zeugenberg und der Burg Hohenzollern, über die Synagoge bis hin zum Diözesanmuseum, mit seiner umfassenden Sammlung religiöser Kunst – Hechingen und seine Region haben viel zu bieten.
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Noch plastischer wird das Leben der Menschen hier vor fast 2000 Jahren durch einige rekonstruierte und möblierte Innenräume mit bemalten Wänden und »belebt« durch Figurenpuppen in Originalgröße.
Vom Haupthaus trifft man hangabwärts auf ein ehemaliges Mühlengebäude, das mit nahezu quadratischen Außenmaßen von 20 m knapp innerhalb der Umfassungsmauer lag. Hier fanden die Ausgräber mehrere Mahlstationen – zu sehen im Museum – sowie Darren, die zum Trocknen von Getreide, Obst, Flachs und Fleisch dienten. Ein im Boden eingetiefter Holztrog legt nahe, dass auch Bier gebraut wurde. Bau und späterer Ausbau dieses Komplexes erfolgte wohl zeitgleich mit dem Hauptgebäude.
Am Hang auf gleicher Höhe wie die Mühle, aber außerhalb der Umfassungsmauer, liegt ein ebenso interessanter wie spektakulärer Teil des Gesamtensembles: der Tempelbezirk. Wer dem kultischen römischem Leben und Denken möglichst nahekommen will, wird begeistert sein. In dem 34 m × 34 m großen ummauerten Gelände fand man bei den Grabungen zehn gleichartige quadratische Gebäude, kapellenartige kleinere Tempel mit einer Kantenlänge von 2,5 m sowie eine Säulenhalle, zahlreiche figurale Elemente und die für große Landgüter fast obligatorische Jupitergigantentsäule. Eine Münze, die unter dem Estrich einer der Kapellen lag, deutet auch hier auf eine Bauzeit um 200 n. Chr. hin. Unter der Leitung des Entdeckers Gerd Schollian und des langjährigen Grabungsleiters Thomas Schlipf wurde der »heilige« Bezirk vollständig wiederaufgebaut. Damit nicht genug, man hat sich auch vorgenommen, die aus Gips nachgebildeten Skulpturen und Verzierungen an und in den Kapellen wieder zu fassen. Dabei griff man bei der Farbwahl auf Untersuchungen an originalen Farbresten zurück, die man vor allem in Italien an römischen Relikten der Zeit noch fand. Selbst die Decke der Säulenhalle an der südwestlichen Ecke besticht nun durch Farben und antike Ornamente. Dem Besucher bietet sich so ein buntes, ja, auch dank der zahlreichen Eroten um Venus, ein fast fröhlich-lebendiges Bild des Tempelbezirks.
Von Hechingen-Stein zum Hohenzollern
Bevor man nun das römische Gelände mit seinen vielen facettenreichen römischen Funden und Bauwerken wieder verlässt, sollte man noch den Hang an der Villa und am Eingangskiosk vorbei bis nach ganz oben erklimmen, wo derzeit, wie wohl auch in den nächsten Jahren, noch gegraben wird. Von dort schweift der Blick über das Hauptgebäude hinweg zur Schwäbischen Alb. Vor dem mächtigen Steilabfall des Mittelgebirges, dem sogenannten Albtrauf, sehen wir dann eines der Ziele, die wir Ihnen in der Umgebung von Stein empfehlen können und das Sie keinesfalls versäumen sollten: Der »kaiserliche« Berg Hohenzollern mit dem turmreichen schwäbischen Neuschwanstein auf seinem Gipfel. Wie der Touristenmagnet im bayrischen Allgäu ist die Burg Hohenzollern ein Bauwerk des 19. Jh. und diente nicht mehr dem Zweck, bei kriegerischen Auseinandersetzungen als Zufluchtsstätte dem Feind standzuhalten. Die Bauherren brachten hier ihre romantischen Vorstellungen vom hehren Rittertum des Mittelalters baulich zum Ausdruck. Die Zollernburg ist allerdings nicht ganz so weiß und verspielt wie das Pendant Ludwigs II. Doch fasziniert ihre Lage auf dem ebenmäßigen Kegelberg von oben wie von unten. Zu Füßen des Hohenzollern liegt Hechingen, das Sie nicht links liegen lassen sollten. Ein Besuch verbunden mit einem nicht allzu langen Rundgang lohnt allemal. Mit Hilfe des Handys und einer App kann man sich führen lassen und an den Stationen, Neues Schloss, Unterer Turm, Altes Schloss mit dem Hohenzollerischen Landesmuseum, Rathaus, Marktplatz-Brunnen, Alte Synagoge, sowie an der Stiftskirche sind Tafeln mit QR-Codes angebracht, über die man alles Interessante und Wichtige zum jeweiligen Objekt erfährt. Durch einen kurzen Spaziergang außerhalb des Stadtkerns erreicht man an der Zollernstraße den herrlichen Fürstengarten mit der Villa Eugenia, ein feines klassizistisches Schlösschen. Es diente dem letzten regierenden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen Friedrich Wilhelm Constantin und seiner Frau Eugenie als Wohnsitz. Neben dem europäischen Hochadel gingen hier auch berühmte Musiker wie Franz Liszt oder Hector Berlioz ein und aus, um das Paar mit ihren Kompositionen zu erfreuen.
Wer nach dem Besuch des Hohenzollern und Hechingens noch ein, zwei Tage Zeit nimmt – was man in dieser landschaftlich bezaubernd abwechslungsreichen Gegend unbedingt tun sollte – dem möchten wir noch zwei weitere lohnende Ziele dringend empfehlen. Man erreicht von Hechingen aus mit dem Auto nach Westen fahrend in einer halben Stunde Haigerloch. In der gleichen Zeit gelangen Sie ebenso gen Norden zur Diözesanstadt Rottenburg.
Rottenburg: 1000 Jahre nach den Römern kamen die Habsburger
Dort im ehemaligen Sumelocenna kann man wieder in antikes Leben eintauchen. Mittelpunkt des Römermuseums ist eine der größten und bestens erhaltenen römischen Toilettenanlagen nördlich der Alpen. Mit 32 m Länge und beeindruckenden Reihen von Sitzen entlang der beiden Längsseiten, besticht die Einrichtung auch durch eine ausgeklügelte Wasserspülung. Der Ort lag an einer wichtigen Römerstraße von Cannstatt in die heutige Schweiz und bot den Reisenden noch weitere der Ruhe und der Körperpflege dienliche Gebäude, darunter zwei Badehäuser. Deshalb hat das Museum neben Anrüchigem noch viele weitere sehenswerte Römerstücke zu bieten. Sehenswert in der Stadt am Neckar sind auch die bischöfliche Domkirche und das Diözesanmuseum mit einer Außenstelle im Vorort Sülchen, wo Rottenburgs älteste, historisch ins Jahr 800 zurückreichende Kirche steht. Sie ist seit dem 19. Jh. bis heute die Grablege der Rottenburger Bischöfe. Auch hier gibt es ein kleines Museum, das einen Besuch durchaus lohnt und worüber wir in der AiD 6/2020, S. 66–71 im Rahmen eines Sehenswert-Beitrages bereits berichteten.
Wenn Sie von Rottenburg aus noch das erwähnte Haigerloch besuchen möchten, erreichen Sie den Ort in etwa 30 Minuten neckaraufwärts durch eine recht idyllische Tallandschaft und durch das fruchtbare Gäu, wie diese leicht hügelige Gegend über dem Neckartal genannt wird. In Haigerloch erwartet Sie, malerisch erhöht, auf einem Umlaufberg des Flüsschens Eyach gelegen, ein stattlicher Schlosskomplex. Er bietet gute Gastronomie und ein Viersternehotel. Unbedingt beachtenswert ist die Ende des 16. Jh. erbaute und später barockisierte Schlosskirche. Ihr Hochaltar gilt mit seinen über 60 Schnitzfiguren als ein Prunkstück der Renaissancekunst. Sehenswert ist auch das sogenannte Atomkeller-Museum. Der Chemie-Nobelpreisträger Otto Hahn hat hier während des Zweiten Weltkriegs seine Forschungen betrieben und sich einen Versuchsreaktor gebaut, von dem man noch eine originalgetreue Rekonstruktion sieht. Empfehlenswert ist auch ein Besuch des Wahrzeichens der Stadt, dem »Römerturm«. Der ehemalige Bergfried stammt aus der Stauferzeit und bietet zum Abschied eine schöne Aussicht über Haigerloch und sein Umland.