Von Andrea Bachmann
Schon seit Langem weiß man das antike Erbe der Bischofsstadt am Neckar zu schätzen, die Ende des 13. Jh. direkt auf die Ruinen des römischen Sumelocenna gebaut wurde. Nirgends kommt einem diese Vergangenheit so nahe wie im Sumelocenna-Museum und dem davor angelegten Lapidarium. Hier wird der Alltag in der wichtigsten Römerstadt im rechtsrheinischen Gebiet der Provinz Obergermanien lebendig – was vor allem an einem erstaunlichen Ausgrabungsfund liegt: den Resten einer öffentlichen Latrine aus dem späten 2. Jh.
Als 1986 beim Bau eines Parkhauses römische Funde zutage traten, veranlasste die Stadt eine Rettungsgrabung. Die Archäologen fanden einen gut erhaltenen aufwendigen Baukomplex, zu dem die offensichtlich luxuriös ausgestattete Bedürfnisanstalt gehörte. Noch während der Ausgrabung wurde beschlossen, diese Reste römischer Alltagskultur der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
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Größte Latrine diesseits der Alpen
Seit 1992 laufen die Besucher auf Stegen und Brücken über Heizungsanlagen, Kellerreste, den ehemaligen Abwasserkanal und den mit Sandsteinsäulen unterteilten Toilettenraum der ehemaligen Latrine. Die ausgetretenen Stellen im Plattenboden lassen sogar Rückschlüsse über den Abstand der Sitzplätze zu. Vermutlich konnten 35 Personen die Anlage gleichzeitig benutzen. Die Wände waren teilweise mit Girlanden, Bändern und floralen Ornamenten bemalt, allerdings haben sich die Besucher auch mit Sprüchen und Kritzeleien »verewigt«. Zahlreiche Kleinfunde, die in Vitrinen ausgestellt sind, erzählen vom Alltag der Menschen in Sumelocenna: Schmuck und Spielsachen, Körperpflegeutensilien und Küchengeräte, Schreib- und Handwerkszeug zeugen von einer hoch entwickelten urbanen Kultur. Sumelocenna entstand während der Regierungszeit von Kaiser Trajan (98 – 117 n. Chr.) und war Sitz des Verwalters einer kaiserlichen Domäne, wie sie das Römische Reich in neu eroberten Gebieten einrichtete. Eine solide gebaute Stadtmauer umschloss die etwa 28 ha große Siedlung.
Ein wichtiger Teil der Infrastruktur war die Wasserversorgung, die nicht nur die öffentliche Latrine, sondern auch mehrere Bäder versorgte, von denen sich eines im Keller des Eugen-Bolz-Gymnasiums befindet und das öffentlich zugänglich ist. Das Wasser kam aus einer Quelle im Rommelstal. 74 Liter Wasser wurden pro Sekunde über eine etwa 7 km lange Leitung nach Sumelocenna transportiert. Der Kanal bestand aus zwei sorgfältig gearbeiteten Mauern aus Muschelkalkstein. Am Eingang des Museums ist ein originales Stück dieser Wasserleitung zu sehen – ein Meisterwerk römischer Ingenieurskunst.
Vor dem Museum stehen im sogenannten Lapidarium Kopien von Steindenkmälern und eine Jupitersäule, die aus der ganzen Region stammen. Auch hier liefern die Inschriften eine Vielzahl von Informationen über die Menschen, die in Sumelocenna und Umgebung lebten, wie sie hießen, welche Berufe sie ausübten oder welche Ämter sie bekleideten: Die Römerstadt Rottenburg ist weitaus mehr als nur ihre öffentliche Bedürfnisanstalt.
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