Von Peter Kracht (†)
Die Existenz einer Burg in Holthusen, in Sichtweite von Warburg im ostwestfälischen Kreis Höxter und dicht an der Landesgrenze zu Hessen gelegen, ist erstmals durch historische Quellen nachgewiesen im Jahr 1191 und zwar im Güterverzeichnis des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg. Hermann und Bernhard von Holthusen hatten die Burg und das zugehörige Dorf Holthusen dem Kölner Kirchenfürsten übertragen – gegen den Widerstand des Mainzer Erzbischofs, der ebenfalls im Gebiet südlich der Diemel territoriale Ansprüche geltend machte.
Im Laufe des 13. Jh. verschärften sich die Spannungen zwischen den Burgherren und den Städten der Umgebung, bis schließlich im November 1294 der Landesherr, der Paderborner Bischof Otto von Rietberg, einer Städteallianz zwischen Warburg, Marsberg, Höxter, Fritzlar, Hofgeismar, Wolfhagen und Naumburg grünes Licht gab, die Holsterburg nicht nur einzunehmen, sondern sie dem Erdboden gleichzumachen. So geschah es: Die Angreifer nahmen die Burganlage ein, viele der Verteidiger kamen ums Leben. Auch die mindestens 40 Gebäude der Ortschaft Holthusen dürften durch Feuer zerstört worden sein.
Beim Sturm auf die Anlage kam, wie die jüngsten archäologischen Untersuchungen ans Tageslicht brachten, offenbar auch ein modernes Belagerungsgerät zum Einsatz, die Blide: Eine Steinschleuder mit erheblicher Durchschlagskraft, die wohl, wie Reparaturen am Mauerwerk der Burg nahelegen, auch schon bei einer früheren Belagerung Anwendung gefunden, aber offenbar nicht zum erhofften Ziel der Einnahme der Burg geführt hatte.
1294 war also ein für alle Mal Schluss mit den (Un)Taten der Edelherren von Holthusen. Bischof Otto stellte am 6. November 1294 eine Urkunde über ein Bündnis zur Wahrung des Landfriedens aus und kündigt denjenigen Feindschaft an, der sie »alle oder einzelne von ihnen wegen Zerstörung der Burg Holthusen […] oder wegen der daselbst Hingerichteten oder noch in Gefangenschaft Befindlichen angreift oder schädigt.«
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Um das Werk vollständig zu machen, taten die Sieger etwas, was bspw. auch so manchem römischen Kaiser, darunter Caligula, Nero und Elagabal, widerfuhr – die »Damnatio memoriae«, also die »Verdammung des Andenkens« durch die Nachwelt.
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Vom Desenberg mit seiner Burgruine, über die Altstadt mit den Resten der Stadtmauer bis zur Holsterburg – die Hansestadt Warburg und ihre Region hat viel zu bieten.
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Bei einer Burg ist eine solche Verdammung schwierig, wenn nicht unmöglich, es sei denn, man schleift sie zur Gänze und bedeckt sie anschließend mit einer meterdicken Erdschicht. So geschah es – und so gab es also ab 1294 keine Holsterburg mehr, dafür aber einen Hügel mitten in der ansonsten ebenen Landschaft südöstlich von Warburg. So ganz klappte es nicht mit der Verdammung des Andenkens, denn der Name der Holsterburg hielt sich in der Bevölkerung über die Jahrzehnte und Jahrhunderte. Archäologinnen und Archäologen des Landschaftsverbandes LWL in Münster vermuteten, dass die Holsterburg eine Motte gewesen sei und auf dem bewachsenen Hügel gestanden habe. Doch im Jahr 2010 begann ein Forschungsprojekt der LWL-Archäologie für Westfalen, das bis 2017 andauerte und das auf ein wahrhaft breites Echo stieß – sowohl in der archäologischen Fachwelt wie auch in der interessierten Öffentlichkeit.
Perle für die Forschung
Historiker und Archäologen sind gemeinhin vorsichtig mit ihrer Wortwahl, erst recht mit Superlativen, aber was hier aus dem Boden der Warburger Börde kam, war und ist schlicht und ergreifend tatsächlich eine Sensation: Die Ausgräber Werner Peine und Kim Wegener formulieren es so: »Mit dem Abschluss der Feldtätigkeiten ist die Holsterburg die bislang einzige vollständig ergrabene und archäologisch datierte oktogonale Burganlage in Europa.« Also doch ein Superlativ – der allerdings ohne jeden Zweifel seine Berechtigung hat!
Die Grabungen erbrachten eindrucksvolle Funde und Befunde. Highlight ist ein einteiliger Doppelkamm aus Elefantenelfenbein. Mehrere Zähne sind abgebrochen. Im Mittelteil finden sich zwei Bildfelder mit Flachrelief. Auf der einen Seite erkennt man eine Jagdszene: Ein Hund schnappt sich einen flüchtenden Hasen. Auf der anderen Seite hat der Künstler zwei Pfauen verewigt, die aufeinander zugehen und sich im Brustbereich berühren.
Die Qualität der Arbeit ist herausragend. Es muss offenbleiben, wo das wertvolle Stück gefertigt wurde: Denkbar ist im Byzantinischen Reich, eventuell aber auch in einer Werkstatt nördlich der Alpen, vielleicht in Köln, Metz, Lüttich – oder gar in einem nah gelegenen Weserkloster. Verloren wurde das kostbare Stück schon bei der Erbauung der Anlage.
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Bollwerke, Bastionen und Bombarden
Schießpulver und Feuerwaffen brachten die mittelalterlichen Stadtbefestigungen ab dem 15. Jh. an ihre Grenzen. Auf die Bedrohung reagierten die Baumeister mit einem neuen Konzept für Festungsbauten. Die imposanten Reste der Anlagen prägten während der gesamten Neuzeit unsere Städte. Heute sind sie vielerorts verschwunden, und Archäologen versuchen zu retten, was zu retten ist.
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Besuchermagnet seit eh und je
Nur wenige Kilometer östlich der Holsterburg liegt eine weitere Sehenswürdigkeit der Stadt Warburg: Der Desenberg, der mit seinen 345 m über dem Meeresspiegel deutlich aus der umliegenden Bördelandschaft herausragt und seine Entstehung wie auch die markante Form vulkanischen Aktivitäten verdankt. Die liegen aber immerhin schon etwa 19 Millionen Jahre zurück. Seine heutige Gestalt dürfte der Desenberg vor etwa 1,5 Millionen Jahren gefunden haben.
Der Berg mit der auf der Spitze »sitzenden« Burgruine ist eine eindrucksvolle »Landmarke«, die wohl zu allen Zeiten Besucherinnen und Besucher begeistert hat. So schrieb etwa Fürstin Pauline zur Lippe auf ihrer Reise nach Mainz am 18. Januar 1807 in ihr Reisetagebuch: »Er verschönert die überhaupt angenehme Gegend und fesselte unsre Blicke dauernd«. Von unten ist der Anblick des Desenbergs mit der Ruine schon ein Foto wert, aber der Rundblick von der Höhe ist noch ein ungleich spannenderes Motiv. Die Aussicht imponierte wohl auch Ferdinand Freiligrath, der im Sommer 1839 den Desenberg bestiegen hat und im Reisebuch »Das malerische und romantische Westphalen« seine Eindrücke so zusammenfasst. »Der Desenberg ist eine hoch aufragende freistehende Höhe von konischer Gestalt, gekrönt von verwitternden Ruinen, aus denen man eine außerordentlich weite Aussicht genießt.«
Vom Parkplatz am nördlichen Hang des Desenbergs geht ein schöner Fußweg hangaufwärts. Etwa 20 Minuten braucht es, bis man die wenigen Reste der Vorburg erreicht. Sie war durch ein Tor gesichert. Ein ehemals größeres Gebäude (18 × 10 m) mit einem viereckigen Turm war nach einer Zerstörung durch drei kleinere Gebäude überbaut worden. Ein Gebäude diente sicherlich dem Wachpersonal. Man wird auch annehmen dürfen, dass in der Vorburg Pferde und Esel untergebracht waren, hier dürfte auch das Gesinde gewohnt haben.
Die Hauptburg umfasst ca. 1050 m2 und war von einer 1,45 m starken Ringmauer umschlossen. Einige Gebäude lassen sich noch deutlich erkennen, wie tonnengewölbte Keller. Im Mittelpunkt steht der begehbare Bergfried, der allerdings mit heute 12 m viel von seiner einstigen Höhe verloren hat. Auch die ebenerdige Tür ist neuzeitlich; ältere Abbildungen zeigen noch den früheren Hocheingang. Vom Bergfried geht der Blick weit über die Warburger Börde bis hin zum Weserbergland.
Ein Brunnen ist bisher archäologisch nicht nachgewiesen. Selbstredend muss es aber im Mittelalter einen Brunnen auf der Burg gegeben haben: Eine Burg ohne Brunnen ergibt keinen Sinn. Es gibt zum Glück einen literarischen Beleg für einen Brunnen auf dem Desenberg, der zurückgeht auf das Jahr 1168: In jenem Jahr belagerte Herzog Heinrich der Löwe den Grafen Widukind von Schwalenberg und seine Mannen auf dem Desenberg. Ein zeitgenössischer Chronist vermerkt dazu: »Doch da der hohe Berg jeder Belagerung und Maschinenkraft spottete, schickte der Herzog hin und ließ sachverständige Männer vom Rammelsberg holen; diese machten sich an die schwierige und unerhörte Arbeit, in den Fuß des Dasenberges einen Stollen zu treiben, untersuchten das Innere und fanden den Brunnen, aus dem die Burgleute Wasser schöpften. Er wurde verstopft, der Besatzung ging das Wasser aus, und Wedekind übergab sich und die Burg der Gewalt des Herzogs«.
Wichtiger militärischer Stützpunkt
Diese Erwähnung der Burg auf dem Desenberg ist keineswegs die erste: Schon 1070 wird die Burg erstmals genannt. Sie sollte sich zu einem wichtigen Stützpunkt der Welfen entwickeln. Über die Jahre hinweg zeigte sich ihre große militärische Bedeutung – und so mancher Potentat hatte schließlich seine Finger im Spiel wie etwa Philipp von Heinsberg, Erzbischof von Köln, Bernhard III., Bischof von Paderborn, und Abt Widukind von Corvey. Bernhard III. und Abt Widukind wechselten kurz nach 1200 die Seiten, unterstützten die welfische Partei nicht mehr, sondern heckten den Plan aus, die Burg auf dem Desenberg gemeinsam zu erobern und dann vollständig zu zerstören.
Das Vorhaben, so erfahren wir aus einer Urkunde aus dem Jahr 1206, gelang – zumindest teilweise. Mit von der Partie waren auch die beiden »Nachbarn« von der Holsterburg: Hermann und Bernhard von Holthusen, welche die Sache der Staufer unterstützten und so ein durchaus nachvollziehbares Interesse daran hatten, die nah gelegene welfische Höhenburg zerstört zu wissen.
Die Burg auf dem Desenberg kam, ohne dass wir wüssten warum, schließlich an den Kölner Erzbischof und die Anlage wurde auch relativ rasch wieder aufgebaut. Auf der Burg übernahm die seit 1256 auf dem Desenberg nachgewiesene Familie Spiegel in den folgenden Jahrhunderten das Sagen. Die Familie Spiegel versuchte, so hat es Warburgs früherer Stadtarchivar Franz-Josef Dubbi formuliert, im Grenzgebiet zwischen Paderborn und Hessen, wo unterschiedliche Machtinteressen aufeinandertrafen, eine eigene kleine Herrschaft aufzubauen. Der Desenberg blieb ihr zentraler militärischer Stützpunkt und die Familie Spiegel gründete überdies die Stadt Liebenau.
Doch die Zeiten blieben kriegerisch: Im Jahr 1390 soll die Burg auf dem Desenberg erneut erobert und zerstört worden sein. Von 1438 bis 1454 führte die Familie Spiegel zum Desenberg eine Fehde gegen die Paderborner Adelsfamilie von Westfalen – die Burg auf dem Desenberg war zwischenzeitlich wieder aufgebaut worden und diente als wichtiger militärischer Stützpunkt.
Die letzte große Belagerung erlebte die Burg im Jahr 1470. Der Paderborner Bischof Simon III. stand mit seinem Heerbann am Desenberg. Nach nur wenigen Tagen musste sich die Burgbesatzung ergeben. Zumindest die Vorburg ist im Gefolge der Belagerung großflächig zerstört worden. Die Hochzeit der Burgen neigte sich unwiederbringlich ihrem Ende entgegen. So verfiel die Anlage auf dem Desenberg nach und nach, obwohl der Landesherr noch 1581 die Auflage gemacht hatte, die Anlage nicht gänzlich verfallen und dort einen Pförtner wohnen zu lassen: »Nachdem der Berg und Hauß Desenberg das Hauptstück da von alhie angezeigete Herrlichkeit und gerechtigkeit gegründet und ihren ursprung gewinnen, So ist unser befehl auch durch unsere Landtsassen und Spiegele bewilliget, daß man das Schloß (aus der Burg ist ein Schloß geworden, d.V.) nicht gantz zumahl in Abgang gerathen laße, sondern den obersten platz in gute zumachte verwahrung richten, daselbst einen pfortner halten, fortan den Thurn wiederumb mit einem dach beleggen, thür machen und ziemblicher maßen restauriren […]«