Von André Wais
Größter eisenzeitlicher Grabhügel, bedeutendster hallstattzeitlicher Holzfund und das zugehörige Museum mit Funden und Grabkammer nur einen kleinen Spaziergang weit entfernt in einer mittelalterlichen Stadt. Der Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen mit herrlicher Aussicht auf Schwarzwald und Schwäbische Alb spart nicht mit Superlativen.
Baden-Württemberg erinnert sich an seine frühe Vergangenheit und will in den nächsten Jahren einiges investieren, um sich als ein Keltenland zu präsentieren. Tatsächlich ist der deutsche Südwesten reichlich mit hochkarätigen Fundstätten der Eisenzeiten gesegnet. Eine davon, der Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen, wird heute unser Ziel. Er ist nicht nur der monumentalste Grabhügel seiner Zeit, er barg mit einem gigantischen Holzfund und 126 Nachbestattungen auch wissenschaftliche Sensationen: für Besucher beispielhaft aufbereitet und vorgestellt.
Die Doppelstadt Villingen-Schwenningen liegt in der Baar, einer hügeligen Hochebene eingegrenzt von Schwäbischer Alb und Schwarzwald, die südlich davon aufeinandertreffen. Man befindet sich dort im alemannischen Sprachgebiet, daher auch der seltsame Name, er bezeichnete im Frühmittelalter eine Verwaltungseinheit. Heute zeigen hier verschiedentlich Industrieansiedelungen mit etlichen mächtigen Logistikzentren, wie auch ausladende Autobahnkreuze und raumgreifende Zubringer virulente Geschäftigkeit an. Wir werden aber bei unserem Ausflug letztlich in einer Idylle ankommen, in Villingen, das sich seinen mittelalterlichen Kern bewahrt hat. Das Pendant Schwenningen haben wir im Verkehrsstrom unbemerkt südlich umfahren und rechts liegen lassen. Eigentlich schade, denn das geschäftige schwäbische Städtchen wäre durchaus einen Besuch wert, auch wenn Kriege, vor allem der Dreißigjährige, hier nur wenig Mittelalterliches übrig ließen, hat es eine durchaus schmucke Innenstadt und der schwäbische Musenfluss, der Neckar, entspringt hier, um nach 362 km bei Mannheim in den Rhein zu münden. Die beiden einstmals selbständigen großen Kreisstädte wurden im Zuge einer Verwaltungsreform 1972 zwangsverheiratet. Nicht zum Wohlgefallen aller Einwohner, denn die Schwenninger fühlten sich dem schwäbischen Württemberg verbunden, während die Villinger bis 1803 zu Vorderösterreich gehörten und dann zum heutigen Landesteil Baden geschlagen wurden. Zu allem Überfluss liegt auch noch die europäische Wasserscheide zwischen ihnen, denn die Villinger Brigach bringt mit der Breg, beide aus dem Schwarzwald kommend, sprichwörtlich die Donau zuweg. Diese beginnt wenige Kilometer südlich bei Donaueschingen ihren Lauf zum Schwarzen Meer. Vielleicht auch ein Grund, warum sich hier einst die Kelten niedergelassen hatten. Dazu aber später mehr, vorerst begeben wir uns erst einmal ins Mittelalter.
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Vom Magdalenenberg über die Benediktinerkirche bis hin zum Franziskanermuseum – in und um Villingen-Schwenningen gibt es viel zu entdecken.
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Mittelalter fast unverfälscht
In Villingen parkt man wohlweislich vor der Stadtmauer, denn schon mancher Besucher, der in den fast noch kompletten Befestigungsring gefahren ist, hat ihn nach einer längeren Irrfahrt durch enge Gässchen wieder motorisiert verlassen, ohne dass er einen Abstellplatz für sein Gefährt gefunden hätte. Auch gibt der historische Kern Villingens nur dem Fußgänger seinen ganzen Charme preis. Den ovalen Grundriss durchzieht längsseitig eine Magistrale, die rechtwinkelig von einem noch breiteren Gegenstück, dem Marktplatz, gekreuzt wird. Beide Boulevards wurden durch imposante Stadttürme mit Eingangstoren begrenzt, von denen bis heute nur der südliche an der Längsverbindung abhanden gekommen ist. Die im Maueroval von der Hauptstraßenführung geteilten Wohnbezirke prägen eher kleine gemütliche Häuschen, die nicht unbedingt auf eine sehr reiche Bürgerschaft hinweisen. Umso imposanter wirken deshalb einige mächtig hochragende Bauwerke. Es sind neben dem zweitürmigen Münster, bei dem man unbedingt auch das Innere anschauen sollte, natürlich die Torbauten und vor allem die Klöster, von denen Villingen eine ganze Reihe besaß. Neben den Bauten der Benediktiner mit einer gewaltigen Dachlandschaft und einer feinen Barockkirche ist es heute noch das Franziskanerkloster, das die Stadt auch kulturell prägt. Birgt es doch im ehemaligen Gotteshaus einen stattlichen Konzertsaal und vor allem das weit über die Region bekannte Museum, dem man unbedingt einen Besuch abstatten sollte. Vorher aber ist ein abwechslungsreicher Altstadtbummel zu empfehlen, bei dem neben mittelalterlichem Flair zahllose kleine, oft sehr feine Läden mit hochwertigem Angebot manchen zum Shopping animieren werden. Gestärkt und etwas ausgeruht sollte man dann aber im Museumskloster gleich neben dem westlichen Stadtturm ankommen, denn es gibt hier viel Wissenswertes und Spektakuläres aufzunehmen.
Narren, Hightech und eine bewegende Stadtgeschichte
Bevor wir ins heutige Allerheiligste des Klosters vordringen, nämlich zum Grab des Keltenfürsten vom Magdalenenberg, ist ein Gang durch die anderen Abteilungen anzuraten. Sie geben Einblicke in Brauchtum und Industrie. So zeigen sie Villingen als Hochburg des Feierns während der schwäbisch-alemanischen Fasnacht mit ihren ebenso skurrilen wie fantasievollen Masken und Verkleidungen oder aber die geschäftige Stadt, in der so innovative und namhafte Vorreiter in der Phono- und Computerbranche wie Saba oder Kienzle einst Furore machten. Doch vor allem die Historie des Ortes, der sich um 1000 n. Chr. mit Markt-, Münz- und Zollrecht zur Stadt mauserte, wird im Franziskanermuseum so sehenswert wie unterhaltsam dargeboten. Als ursprüngliche Stadtherren, die wohl auch für den schon beschriebenen geometrisch geradlinigen Grundriss sorgten, gilt das hier im Süden jahrhundertelang agile und bedeutende Fürstengeschlecht der Zähringer. Auch Bern, Thun und zweimal Freiburg gehören neben Villingen zu den zwölf von diesem Geschlecht gegründeten oder stark geprägten Städten im Alemannischen.
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Interview mit dem Archäologen Dirk Krausse: Spannende Kelten-Forschungen in Südwestdeutschland
1962 in Haan bei Mettmann geboren, promovierte Dirk Krausse bei Alfred Haffner in Kiel über die kulturgeschichtliche Einordnung der Trink- und Speisegeschirre aus dem Grab von Hochdorf. Die Kelten bestimmen seither seinen beruflichen Werdegang, zuerst an der Uni in Kiel und dann seit 2003 am Landesamt für Denkmalpflege in Baden-Württemberg, wo er seit 2008 die Aufgabe des Landesarchäologen wahrnimmt. Am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen hat Krausse seit 2011 zusätzlich eine außerplanmäßige Professur inne.
Exklusiv in der AiD 5/2021
Auf der Suche nach dem Fürstensitz
Aber die Geschichte der Besiedelungen auf der Baar hatte schon weit über 1000 Jahre vor den Zähringern einen Höhepunkt. Es war die Zeit ab 800 v. Chr., als das harte Eisen mehr und mehr auch die Kulturen nördlich der Alpen von Ostfrankreich bis in die heutigen Donauländer prägte. Keltische Stämme verstanden mit dem Werkstoff umzugehen. Hinzu kam ein aufblühender Handel über die Alpen hinweg mit den mediterranen Völkern wie den griechischen Kolonien und den Etruskern. Es entstand eine hierarchisierte arbeitsteilige Gesellschaft mit Gebiets-Fürsten an der Spitze. Diese ließen sich gerne auf erhöhte Sicherheit und Übersicht bietenden Landmarken nieder. Unter anderen auf dem Mont Lassois im nördlichen Burgund. Im deutschen Südwesten waren es der Münsterberg in Breisach, der Hohenasperg bei Stuttgart oder auch der Ipf, ein Zeugenberg der Schwäbischen Alb am Meteorkrater des Nördlinger Rieses. Nicht an Höhe, aber an Bedeutung überragt allerdings die an der jungen Donau nur 70 km westlich von Villingen gelegene Heuneburg alle anderen (siehe Interview in diesem Heft S. 44). Hier wird seit Jahrzehnten intensiv geforscht, sensationelle Funde kamen zutage und es ist ziemlich sicher, dass es sich bei diesem Fürstenzentrum um das von Herodot im 5. Jh. v. Chr. erwähnte Pyrene handelt. Damit wäre es die erste schriftlich erwähnte Stadt nördlich der Alpen.
Alle diese Orte lassen sich aufgrund der archäologischen Funde und Forschungen zu einem Kulturkreis zählen, der nach einem Fundort in Oberösterreich bei Hallstatt benannt wird. Nach diesem gedanklichen Ausflug kommen wir wieder ins Franziskanermuseum zurück, denn die Hallstattzeit wird neben den Fürstensitzen auch von sogenannten Fürstengräbern determiniert und ein solches stellt unser Museum in Villingen im Original vor. Fast ungläubig staunend steht der Besucher vor einem 6 × 8 m großen Rechteck das mit mächtigen, sauber zugebeilten Eichenbalken ausgelegt ist. Kein Beuys, sondern wirklich eine Sensation: Die Eichen dieser Balken wurden im 7. Jh. v. Chr. gefällt und bildeten den Boden der Grabkammer eines Hallstattfürsten. Diese war unter dem größten bekannten Grabhügel der Hallstattzeit »gesichert«. Magdalenenberg heißt die gewaltige künstliche Kuppe auf einer Anhöhe südwestlich der Altstadt. Vermutlich stand hier vor Jahrhunderten eine Kreuzigungsgruppe mit Maria Magdalena.
Grabräuber sorgten für gute Erhaltung
Wasser, das sich in dem gigantischen Hügel gestaut hatte, bewahrte das Holz über zweieinhalb Jahrtausende vor dem Zerfall und besorgte der Hallstatt-Forschung, was die genaue Zeiteinteilung angeht, einen Quantensprung. Mithilfe der Jahresringforschung (Dendrochronologie) konnten die Umstände der Grablegung und die damit verbundenen Holzfunde jahrgenau auf 616 v. Chr. datiert werden. Was aber drin in der Grabkammer war, können wir nur erahnen. Wie bei so vielen alten Grabstätten waren Grabräuber nur ein halbes Jahrhundert nach der Grablegung zur Stelle und ließen zur Enttäuschung der neuzeitlichen Forscher fast nichts zurück. Ein paar Reste von Radreifen und zugehörige Nägel zeigen immerhin, dass wohl ein prunkvoller Wagen im Grab war. Nichts Ungewöhnliches für ein Fürstengrab. Aber die Arbeit der antiken Schatzsucher war für die Wissenschaft in gewisser Weise ein Glück, denn durch ihren Grabungstrichter gelangte eben das holzerhaltende Wasser an die Kammer und hielt diese bis in unsere Zeit feucht. Auch ließen die Räuber Arbeitsgerät in Form von drei Holzspaten zurück, sodass die Dendrologie außer der Kammer auch die Beraubung zeitlich genau bestimmen konnte.
Bei den musealen Restfunden in den Vitrinen bei der Grabkammer liegt ganz unscheinbar ein 4 cm langer Bronzenagel mit einem vogelförmigen Kopf. Er wird uns nun gleich hinaus zum Magdalenenberg begleiten, und zwar vielfach vergrößert in Form von Wegzeichen. Doch vorher sollten Sie noch Vitrinen um die Grabkammer herum beachten. 1890 gruben die ersten neuzeitlichen Forscher wieder von oben zur Grabkammer hinab und hofften wohl auf einen prachtvollen Goldschatz. Als sie bemerken mussten, dass vor zweieinhalb Jahrtausenden schon jemand auf gleiche Weise die Kammer erreicht hatte, waren sie natürlich bitter enttäuscht. Aus dem Kammerboden sägten sie sogar ein großes rechteckiges Stück heraus, um nachzusehen, ob nicht vielleicht darunter noch etwas Schatzartiges verborgen wäre. Den wissenschaftlichen Wert der zurückgelassenen Hölzer konnten sie ja noch nicht ermessen. Die Dendrochronologie mit diffizilen, in vergleichbare Kurven abzubildenden Jahrringmessungen wurde erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt. Eine zweite drei Jahre dauernde Untersuchung des Magdalenenbergs mit wissenschaftlich natürlich erheblich feineren Methoden führte 1970 eine große Mannschaft unter der Leitung von Konrad Spindler durch. Dieser wurde 1992 weltberühmt, weil er als erster Archäologe die Eismumie Ötzi in Innsbruck, wo er Professor war, zu Gesicht bekam und sofort die Bedeutung dieses Jahrtausendfundes aufgrund des mitgeführten Kupferbeils erkannte. Die Fachwelt schätzt aber seine Leistung am Grabhügel bei Villingen, den er nun vollständig untersuchte, erheblich höher ein. Neben der noch erhaltenen Grabkammer wurden 126 Nachbestattungen untersucht, die von nur zwei bis drei Generationen nach dem Tod des Fürsten in den fertigen Hügel eingebracht wurden. In Wandvitrinen rund um die Grabkammer sind zahlreiche teils einmalige Funde der Hallstattkultur ausgestellt. In ihrer Lage und Anordnung wird die wirklich verblüffende Menge der Nachbestattungsgräber an einem Hügelmodell dargestellt, wobei jedes Grab beleuchtet und gemäß seiner Position und genauen Zeitstellung sichtbar gemacht wird.
Das Fürstengrab eine Sternwarte?
Das im Museum Gezeigte verlockt nun sicher dem Magdalenenberg selbst einen Besuch abzustatten. Wir verlassen deshalb gleich beim Kloster durch das Riettor die Altstadt und treffen gegenüber in der Vöhrenbachstraße schon auf die erste Informationstafel des »Keltenpfads«. Er führt dann immer dem Vogelschild nach in einer halben Stunde durch ein paar Wohnstraßen hinaus ins freie Feld und hinauf zum Hügel. Nach den Grabungen in den 1970er-Jahren wurde er wieder dem Original gemäß mit 33 000 m3 Erdmaterial aufgeschüttet und bietet von oben eine fantastische Rundsicht über die Baar hin zum Schwarzwald und hinüber zur Schwäbischen Alb. Bei aller Fron der Arbeit am Grab muss es den Kelten hier ja gefallen haben!
Heute kann man sich oben auf eine den Grabkammerbalken nachempfundenen Bank niedersetzen, die Gedanken schweifen lassen und sich fragen, wo er wohl residiert haben mag, der so aufwendig Bestatte. Irgendwo ganz in der Nähe sollte es ja gewesen sein. Ein Rätsel, das ohne die Hilfe von Asterix oder Miraculix noch niemand lösen konnte. Vielleicht stößt man irgendwann auf einen Zufallsfund, der den Weg zum erhöht liegenden Fürstensitz weist.
Ein Rätsel ist auch die seltsame Stangenreihe, die neben anderen Holzkonstruktionen, von außen allerdings bis 1970 unsichtbar, im Hügel steckte. Da die Lage der Toten und ihrer Gräber im Hügel sehr strukturiert wirkte, hat der Archäologe Allard Mees 2010 die Stangensetzungen als auf die Mondwenderichtungen zielend interpretiert. Daraus entwickelte er dann die Hypothese, dass der ganze Hügel mit seinen hölzernen Einbauten eine Art kosmisches Observatorium gewesen sei und die Lagen der Gräber Sternbilder wie Kleiner Bär oder Großer Bär, Kassiopeia oder Hercules widerspiegeln. – Was könnte es wohl geheimnisvoll Schöneres geben, als in einer lauen Sommernacht der Perseidenströme auf dem Hügel liegend die aufblinkenden Meteoriten zu beobachten und über die Zeit der Kelten zu fantasieren?